Ethische Differenz

Im Jahr 1988 hat noch niemand daran gedacht, daß der Staat geklaute Daten kauft, um damit für Steuermehreinnahmen zu sorgen. In jenem Jahr schrieb der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Hassemer in seiner Festschrift für Werner Maihofer:

Das Problem dieser Entwicklung liegt in dem Verlust an Würde und überlegener Distanz, den der ermittelnde Staat sich selber zufügt; er greift zu Mitteln der intimen Ausforschung, der Hinterlist und des Taktierens mit Tatverdächtigen und verkleinert so die ethische Differenz zwischen Strafverfolgung und Straftat. Er begibt sich damit in die Gefahr, die moralische Überlegenheit des Strafverfahrens zu verspielen, welche die Rechtfertigung für die einschneidende Maßnahmen ist, die in ihm verhängt werden dürfen.

Wer als Organ der Rechtspflege mit Straftätern gemeinsame Sache macht, darf sich am Ende nicht wundern, wenn die ethische Differenz sich auch beim Normalbürger verringert – zwischen bürgerlicher Rechtschaffenheit einerseits und der Bereitschaft, eben dieser den Mittelfinger zu zeigen.

Zitat gefunden bei Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg im beck-blog.

Dieser Beitrag wurde unter Philosophisches, Politisches, Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

4 Antworten auf Ethische Differenz

  1. 1
    Rudi_Ratlos says:

    Dieser Aussage kann ich uneingeschränkt zustimmen.

    Was mich allerdings stört, das die moralischen Bedenken erst bei Steuerhinterziehern, also den Menschen, die sich selbst als Elite bezeichnen, nachdrücklich geäußert werden.

    Bei Otto-Normal-Straftäter soll es dagegen sinnvoll, praktikabel und rechtmäßig sein, auch unrechtmäßig erworbene „Beweismittel“ verwerten zu dürfen, weil es eben kein Verwertungsverbot gibt.

  2. 2
    JJ Preston says:

    „Das Problem dieser Entwicklung liegt in dem Verlust an Würde und überlegener Distanz, den der ermittelnde Staat sich selber zufügt; er greift zu Mitteln der intimen Ausforschung, der Hinterlist und des Taktierens mit Tatverdächtigen und verkleinert so die ethische Differenz zwischen Strafverfolgung und Straftat.“

    Das lässt sich ebenso gut auf das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit und sämtliche Antiterrorgesetze nebst Kipo-Sperre anwenden. Wer solche Gesetze erlässt, darf vor dem Kauf von Daten nicht zurückschrecken. Es sei denn, er startet eine großangelegte Überprüfung sämtlicher Steuerunterlagen aller Bürger. So viele Knäste gibt es allerdings auf der Welt nicht…

  3. 3
    RA Anders says:

    Schön ein solches Zitat zu lesen.
    Dass das mit den Gesetzen heute nicht mehr so genau genommen wird, weil es unpraktisch ist, zeigt sich beeindruckend auch an anderer Stelle.
    http://www.spiegel.de/auto/aktuell/0,1518,676185,00.html

  4. 4
    A.N. says:

    @Rudi_Ratlos: Sie täuschen sich. Steuerhinterziehung ist Delikt auch des kleinen Mannes.