In der Ruhe liegt die Kraft

… denkt man sich wohl beim Amtsgericht Tiergarten.

Es ging um eine Kaffeedose. In einem Männerwohnheim, Oktober 2009. Nachts um halb zwei. Die Dose mutierte im Verlauf einer szenetypischen Kommunikation zu einem gefährlichen Werkzeug.

Das Ganze endete schließlich mit einem Ermittlungsverfahren und einer Anklageschrift, die mit folgendem Hinweis endete:

Die Staatsanwaltschaft schickt diese Anklageschrift Ende 2009 an das Gericht. Also von der zweiten Etage des Kriminalgerichts in die dritte. Das Gericht hatte nun die Aufgabe, diese Anklage dem Männerwohnheims-Insassen zuzustellen.

Genau das hat der zuständige Richter dann auch der Geschäftsstelle aufgegeben. Im Juli 2010.

Es ist atemberaubend, mit welchen Ruhe das Gericht an das Verfahren herangeht, in dem es um mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe geht.

Aber dem Angeschuldigte wird aufgegeben, binnen einer Woche zu dieser Anklageschrift Stellung zu nehmen und Beweisanträge zu formulieren. Ja, nee, is klar.

Dieser Beitrag wurde unter Gericht veröffentlicht.

7 Antworten auf In der Ruhe liegt die Kraft

  1. 1
    Jens says:

    Der Beschuldigte hatte doch bereits über 9 Monate Zeit, sich auf das Schreiben vom Gericht und seine Stellungnahme vorzubereiten. Er war doch dabei und weiß, worum es geht. Das muss man doch jetzt nur noch aus der Schublade ziehen und eintüten.

    Und wieso überhaupt Stellung nehmen? Ich dachte immer, Schweigen ist die beste Verteidigung …

  2. 2
    Marco says:

    Hmm, ist das tatsächlich richtig, §§ 77, 77b StGB zu zitieren, wenn Antragsdelikte angeklagt werden?

    Mit der gleichen Logik könnte man auch immer §§ 1, 2, 3, aber auch z.B. § 78 StGB zitieren…

  3. 3
    fernetpunker says:

    Der Richter mag überlastet sein, aber dass die Geschäftsstelle, wenn ich das richtig sehe, zwei Monate braucht, um ein Schreiben auszufertigen, geht wohl nicht mehr an. Ab wann muss eigentlich eine Verfahrensverzögerung im Strafmaß berücksichtigt werden, Stichwort: faires Verfahren, Art. 6 EMRK?

  4. 4
    whocares says:

    @marco: 224, 241 und 252 (gef. KV, Bedrohung, räuberischer Diebstahl) sind Offizialdelikte, und dagegen ist das Antragsdelikt „Beleidigung“ echt killefit.

    Oder handelt es sich bei Ihnen bei dem Wort „Antragsdelikt“ um eine Verwechselung und sie meinten stattdessen „Offizialdelikt“? Dann entnehme ich der Paragraphenkette, daß der Beleidigte deswegen Strafantrag gestellt hat und so 194 I, 77 und 77b reinkommen).

  5. 5
    Malte S. says:

    @whocares: Beleidigung ist doch wohl ein Antragsdelikt. Und genau deswegen hat der Beleidigte wohl Strafantrag gestellt. Die Zitierung von §§ 77, 77b StGB ist aber tatsächlich merkwürdig.

    btw: wäre nicht ne Beschränkung auf Gef.KV und Räuberischen Diebstahl vorzunehmen? In Anbetracht der Strafrahmen dürften die Beleidigung und Bedrohung kaum ins Gewicht fallen.

  6. 6
    egal says:

    „Die Zitierung von §§ 77, 77b StGB ist aber tatsächlich merkwürdig.“

    Nein, diese Form der Zitierung ist eine lokale Sitte.

  7. 7

    […] das Beschleunigungsgebot nicht überall bekannt ist, teilt der Kollege Hoenig hier […]