Nicht zu gebrauchen (2): Die Anklage

Der Staatsanwalt hatte meinem Mandanten ein Angebot gemacht: 12 bis 13 Jahre, wenn er die Vorwürfe, die in der Anklage stehen, einräumt. Ich hatte darüber bereits berichtet, daß dieses Angebot eines ist, daß man nicht annehmen kann. Immerhin: Eine verbotene Sanktionsschere tat sich danach nicht auf – mehr als 15 Jahre wären ohnehin nicht drin gewesen.

Nun haben sechs Verhandlungstage stattgefunden. Zwei davon haben sich mit einem Verlöbnis beschäftigt, das außer dem Vorsitzenden offenbar sonst keinen Menschen im Saal interessierte. In den übrigen vier Sitzungen, in denen ernsthaftere Themen behandelt wurden, stellte sich dann heraus, daß die Staatsanwaltschaft aus drei möglicherweise begangenen Taten, die von einem Verräter Kronzeugen behauptet wurden, eine einzige zusammen gebastelt hat.

Das bedeutet, die Anklage war in Teilen unwirksam, weil der Tatvorwurf in der Anklageschrift eben nicht – wie von § 200 StPO gefordert – konkret genug abgegrenzt wurde. Damit war auch der Beschluß, mit dem das Hauptverfahren eröffnet wurde, unwirksam. Die Verteidigung hat beantragt, diesen Teil der Anklage abzutrennen und durch Urteil einzustellen.

So ist es nun geschehen. Dieser Vorwurf …

Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Herbst 2007 verbrachte der Angeschuldigte Wilhelm Brause einem gemeinsamen Tatplan mit dem Angeschuldigten Friedhelm Brause folgend eine unbestimmte Menge, jedenfalls aber mehrere Päckchen Heroin in Form von „Backkartoffeln“ gegen eine Beteiligung von 8.000,- Euro aus [der weiten Welt] nach Berlin, wo dieses – wie beabsichtigt – gewinnbringend von ihnen veräußert wurde.

… wurde nun per Urteil in den Orkus geschickt.

Die Straferwartung der Staatsanwaltschaft ist nach Einschätzung der Verteidigung damit um 1/3 gesunken. Und dies vor dem Hintergrund, daß der Mandant sich bisher noch gar nicht zur Sache eingelassen hat. Die Verteidigung durch Schweigen hat sich also insoweit als richtig erwiesen.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht, wenn demnächst dann unter anderem die drei Turnschuhe zur Sprache kommen werden.

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft, Verteidigung veröffentlicht.

10 Antworten auf Nicht zu gebrauchen (2): Die Anklage

  1. 1
    Till says:

    Hui, soviel für Drogenschmuggel? Das hätte ich nicht gedacht und sehe ich auch nicht ganz ein. Soll man wirklich jemanden härter bestrafen, der einem anderen – wenn auch aus wirtschaftlichem Eigeninteresse – hilft, sich aus dem Leben zu schießen, als den durchschnittlichen Totschläger? Und das, wo Politiker mit ähnlich gefährlichen Weinköniginnen auftreten, und massiv Tabaksteuer einnehmen?
    Und zur Bezeichnung des Kronzeugen als „Verräter“ – ich bevorzuge da „Whistleblower“ oder „couragierten Mitbürger“ ;-)

  2. 2

    Die Strafen für Verstöße gegen das BtmG fallen regelmäßig höher aus als solche wegen einer Körperverletzung oder eines Totschlags. Und wenn man weiß, mit welchen Handlungen und Gedanken bzw. mit welchem Verhalten man gegen das BtmG verstossen kann, wird einem erst einmal schwindelig.

    Vergleiche zwischen Cannabis und Alkohol/Tabak sind nicht zielführend.

    Verrat wird nicht dadurch gesellschaftsfähig, wenn man ihn mit höflichen Begriffen umschreibt.

  3. 3
    Franz says:

    Die Gleichsetzung von Verräter und Kronzeugen erscheint mir doch befremdlich. Die hier zum Ausdruck kommende Verächtlichkeit hinterlässt den Eindruck, als identifiziere sich der Anwalt doch sehr mit seinem Mandanten. Ob das so zum Organ der Rechtspflege passt.

  4. 4
    Subsumtionsautomat says:

    Die (hohen) Strafrahmen für Betäubungsmitteldelikte gibt der Gesetzgeber nunmal so vor. Da muss man als Richter nicht glücklich drüber sein, trotzdem hat man sie anzuwenden und ggf. auch auszuschöpfen. Dass in anderen Bereichen die möglichen Strafrahmen teils nicht ausgeschöpft werden, was dann zu (im Verhältnis) womöglich unpassenden Ergebnissen führt, ist eine andere Geschichte.

    Und ob die Anklage wirklich nicht hinreichend abgegrenzt war, wenn statt drei Taten nur eine angeklagt wurde, ist auch so eine Frage. Die Anklage besteht ja nicht nur aus dem Anklagesatz, sondern beschreibt einen Lebenssachverhalt. Andersherum wäre es wahrscheinlich problematischer… Ich hätte nach entsprechenden Hinweisen in der Hauptverhandlung verurteilt oder teils eingestellt – nach meinen Erfahrungen hätte es gehalten. Hängt natürlich von den konkreten Umständen ab, zu denen die Schilderung wenig hergibt.

  5. 5

    @Subsumtionsautomat:

    Es sind nicht nur die hohen Strafandrohungen, sondern auch und gerade die uferlosen Tatbestände. Es sei hier nur an den Versuch des Handeltreibens erinnert, den es in praxi nahezu nicht mehr gibt: Von der (straflosen) Vorbereitung ohne Übergang in den Erfolg. Hier und da gibt es eben doch noch mal eine Kammer, die das nicht mitmachen möchte.

    Aber das ist eigentlich kein Thema für eine Diskussion hier im Blog.

    Zum angesprochenen Thema Einstellung durch Urteil: Dem Sitzungsvertreter bleiben noch genügend andere Geschichten, die er in der Beweisaufnahme erzählen kann. Die Anklageschrift umfaßt über 80 Seiten …

  6. 6
    Josef says:

    @ Franz: Die Gleichsetzung von Verräter und Kronzeugen ist in diesem Blog üblich, und für Ihr Befremden über die darin zum Ausdruck kommende Verächtlichkeit hat der Blogautor keinerlei Antenne. Was er aber hat, ist ein klares Feindbild, halt „wir“ (Straftäter + Strafverteidiger) gegen „die“ (Staat, Justiz, Gesellschaft …).

  7. 7

    @Josef:
    Legen Sie sich bitte für Ihren eigenen Kommentar ein Lesezeichen an, damit Sie ihn nachlesen können, wenn Sie mal einen Strafverteidiger brauchen.

    Und dann fragen Sie sich noch einmal, welche Feindbilder „Ihr“ Strafverteidiger haben sollte.

  8. 8
    Tobias H. says:

    DAS glanzvolle deutsche Rechtssystem.

    Was spricht dagegen, das ein Strafverteidiger eine negative Einstellung zu Kronzeugen/Verrätern hat?

    Schließlich ist ein Strafverteiger dazu da seinen Mandanten zu verteidigen oder soll er mit seinem Gegner sympathisieren?

    Letzendlich ist es absolut irrelevant ob ein Strafverteidiger das Verhalten des Mandanten für „richtig“ oder „falsch“ hält, für den RA hat die Strafminderung oberste Priorität und wenn er dann noch mit Mandanten sympathisiert…2 Fliegen mit einer Klappe ;)

  9. 9
    Josef says:

    Ich finde es gut, dass auch mutmaßliche Mörder, Kinderschänder oder eben Leute, die gewerbsmäßig mit Heroin handeln (wie in diesem Fall der Mandant), einen Anwalt bekommen, der sie nach allen Regeln der Kunst verteidigt.

    Ich finde es deshalb auch gut, dass es Strafverteidiger gibt, die bereit sind, mutmaßliche Mörder, Kinderschänder oder eben Leute, die gewerbsmäßig mit Heroin handeln, nach allen Regeln der Kunst zu verteidigen.

    Ich finde es aber verabscheuungswürdig, wenn diese Strafverteidiger mit dem mutmaßlichen Mörder, Kinderschänder oder gewerbsmäßigen Heroin-Dealer geradezu sympathisieren und umgekehrt diejenigen, die den mutmaßlichen Mörder etc. der angemessenen Strafe zuführen wollen (Richter, Staatsanwalt, Polizist, Kronzeuge …), geradezu verabscheuen. Genau dies scheint mir aber bei dem Strafverteidiger CRH der Fall zu sein.

  10. 10

    @ Josef
    ich sympathisiere nicht mit dem Angeklagten, den ich verteidige. Er bestreitet in dem vorliegenden Fall die ihm zur Last gelegten Taten; die vorgetragenen Beweise reichen meines Erachtens nicht, ihn als „mutmaßlichen“ Täter zu bezeichnen.

    Deswegen setze ich mich dafür ein, das das Verfahren, das gegen ihn geführt wird, nach den Regeln der Kunst geführt wird. Und Stimmungen, von denen sich das unwissende Publikum tragen läßt, nicht in die Entscheidung des Gerichts einfließen werden.

    Ich bedauere so Leute wie Sie, die mit ihrem „gesunden Volksempfinden“ an eine Strafsache herangehen. Weil sie aus der Geschichte nichts gelernt haben. Gar nichts.

    Vergessen Sie nicht, das Lesezeichen zu setzen.