Es ist ein Dauerthema, das eigentlich auch schon bei dem allerletzten Beamten der Ordnungsbehörden angekommen sein sollte. Nur wenn sich eine schriftliche Vollmacht, also eine Vollmachtsurkunde (oder auch nur eine Kopie derselben), in der Ermittlungs- oder Gerichtsakte befindet, kann die Behörde oder das Gericht wirksame Zustellungen auch an den Verteidiger vornehmen. Wenn nicht, dann nicht.
So sehen das § 145a StPO sowie § 51 Abs. 3 OWiG mit unmißverständlichen Worten vor und darüber wurde hier, da und dort in epischer Breite berichtet.
Aber im Alltagsgeschäft ist ein Beamter auch nur ein Mensch, der Fehler macht und gern einmal etwas übersieht. Wie in einem Fall, den mein Kollege Rechtsanwalt Tobias Glienke verteidigt hat. Er hatte sich für seine Mandantin als Verteidiger bei der Bußgeldbehörde gemeldet, aber – wie in unserer Kanzlei üblich – keine schriftliche Vollmacht vorgelegt. Trotzdem wurde ihm – und nicht seiner Mandantin – der Bußgeldbescheid zugestellt.
Das Amtsgericht Spaichingen entschied ein wenig später in einem Beschluß vom 20.05.2010 (1 OWi 25 Js 3451/10):
Diese Zustellung war unwirksam. Nach § 51 Abs. 3 OWiG können Zustellungen zwar an den Verteidiger bewirkt werden, Voraussetzung ist jedoch beim gewählten Verteidiger, dass sich die Vollmacht bei den Akten befindet. Da dies nicht der Fall war, hätte wirksam nur an die Betroffenen selbst zugestellt werden können.
Eine „Reparatur“ dieses Fehlers war der Behörde und dem Gericht nicht mehr möglich, so daß die der Mandantin vorgeworfene Ordnungswidrigkeit verjährt ist. Der Bußgeldbescheid über 200 Euro mit einem Fahrverbot von einem Monat war damit Makulatur und die Eintragung von 4 Flens unterblieb dann auch.
Verfahrensregeln sind dazu da, den Bürger vor Fehlern der Staatsgewalt zu schützen. Verteidiger sind dazu da, auf die Einhaltung dieser Regeln zu achten. Werden Regeln zulasten des Bürgers verletzt, ist es nicht „ungerecht“, wenn eine angebliche Tat ungesühnt bleiben muß. Alles andere wäre Rechtsanwendung aus dem Bauch. Und wohin ein solches gesundes Volksempfinden hinführt, ist bekannt; hatten wir schon, wollen wir nicht wieder.
aus interesse mal andersrum gefragt: in welchen fällen ist eine schriftliche vollmacht zu den akten den sinnvoll?
Z.B. dann, wenn der Verteidigter eine Zustellung an sich für sinnvoll hält, um damit den Erlaß eines Haftbefehls zu verhindern. § 411 II StPO enthält auch eine Regel, die eine Vollmachtsvorlage sinnvoll macht. Es gibt weitere Beispiele … crh
Trotz der berechtigten Amerkung zum Formalismus bleibt zu hoffen, daß der Mandant innerlich Buße tut und sich nicht mehr derart verkehrsgefährdend verhält.
Soviel gesundes Volksempfinden habe selbst ich.
Ok, ich werde ihn in die Kirche schicken, damit er dort ein Kerzlein anzündet. crh
*muss* der Verteidiger, dem der Bescheid faelschlich zugestellt wurde, dies eigentlich reklamieren („is‘ hier falsch“), oder ist es zulaessig das ganze gemuetlich auszusitzen und dann mit „aetschbaetsch, habt ihr falsch geschickt“ zu triumphieren, nachdem alle Fristen durch sind?
@gb
Der Verteidiger darf schweigen und geniessen, wie auch die Behörde bei Fehlern der Verteidiger. Dieses Spielchen ist das Salz in der Suppe.
Irgendwie ist das bei den Gerichten nicht immer so ganz eindeutig:
OLG Rostock v. 20.04.2004:
Die gesetzliche Fiktion der Zustellungsvollmacht des § 51 Abs. 3 OWiG führt dazu, dass ein Bußgeldbescheid an den gewählten Verteidiger auf Grund er diesem erteilen rechtsgeschäftlichen Vollmacht auch dann wirksam ist, wenn sich keine schriftliche Vollmacht bei den Akten befindet.
OLG Dresden v. 15.01.2007:
Die Bevollmächtigung bedarf keiner bestimmten Form. Es kann deshalb auch aus den äußeren Umständen auf ein Verteidigerverhältnis geschlossen werden. Es ist daher unbeachtlich, wenn die gewählte Form der Vollmachtsurkunde erkennbar dazu dienen soll, eine förmliche Zustellung des Bußgeldbescheides an den Betroffenen zu vermeiden, um anschließend zu einem geeigneten Zeitpunkt die Stellung als Verteidiger zu bestreiten und sich auf eine vermeintlich eingetretene Verfolgungsverjährung zu berufen.
OLG Zweibrücken v. 08.04.2008:
Ist der Rechtsanwalt im Ordnungswidrigkeitenverfahren von Anfang an zweifelsfrei als Verteidiger aufgetreten und hat Akteneinsicht verlangt, ist die Zustellung eines Bußgeldbescheids an ihn auch ohne Zustellungsvollmacht wirksam. Eine entgegenstehende Wortfassung der Vollmacht rechtfertigt keine andere Beurteilung, wenn dass Bußgeldverfahren dadurch sabotiert werden soll, dass eine förmliche Zustellung an den Rechtsanwalt und nicht an den Betroffenen erfolgt, um danach die (anfängliche) Stellung als Verteidiger zu bestreiten und sich auf eine Verfolgungsverjährung zu berufen.
OLG Karlsruhe v. 01.07.2008:
Hat ein Rechtsanwalt gegenüber der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren eine als „außergerichtlich“ bezeichnete Vollmacht vorgelegt (sog. „Verjährungsfalle“), so ist die Zustellung des Bußgeldbescheids an ihn dennoch als wirksam anzusehen (§ 51 Abs. 3 S. 1 Halbs. 1 OWiG), wenn er gleichzeitig oder im folgenden eine typische Verteidigertätigkeit in Bußgeldsachen ausübt.
KG Berlin v. 17.03.2009:
Handelt es sich bei dem Bevollmächtigten um einen Rechtsanwalt, so darf im Hinblick auf dessen Stellung als Organ der Rechtspflege gemäß § 1 BRAO der Nachweis der Bevollmächtigung durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nur ausnahmsweise aus besonderem Anlass gefordert werden. Wird in einer Vollmacht eines Anwalts seine Zuständigkeit zur Entgegennahme von Zustellungen nicht ausdrücklich ausgeschlossen, ist eine Zustellung des Bußgeldbescheides an ihn zulässig und kann die Verjährung unterbrechen.
AG Nürtingen v. 23.04.2009:
Die Bevollmächtigung eines Verteidigers bedarf keiner bestimmten Form. Deshalb ist im Einzelfall zu prüfen, ob aus der Gesamtheit der – auch äußeren – Umstände auf das Vorliegen einer Verteidigungsvollmacht geschlossen werden kann. Hat der Verteidiger mitgeteilt, dass er von der Betroffenen beauftragt worden sei, eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung anwaltlich versichert und gleichzeitig Akteneinsicht beantragt, in der Folgezeit Einspruch eingelegt, Fristverlängerung beantragt, den Einspruch mehrmals begründet, beantragt, die Betroffene vom Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden und ist dann schließlich auch in der Hauptverhandlung für die Betroffene – weiterhin ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht – erschienen, so sind dies typische Verteidigertätigkeiten, so dass auch die Zustellung des Bußgeldbescheides an ihn die Verjährung wirksam unterbrochen hat.
Weiterhin frage ich mich, warum die Bußgeldbehörden nicht einfach „immer“ ein Schreiben an den Betroffenen sowie an den bestellten Verteidiger übersenden. Nein, es soll so bleiben wie es ist. Pro salute omnium
hallo, ein paar der vorstehenden Entscheidungen beschäftigen sich mit der sog. Verjährungsfalle :-). Die hat hier aber wohl nicht vorgelegen. So etwas würde der Kollege Hoenig nie tun :-)).
@ SLW:
Die Entscheidung des OLG Rostock ist so begründet schlicht falsch, und im Übrigen ist selbst in diesem Fall – wie wohl in den meisten anderen – eine Vollmacht zur Akte gelangt, wenn auch meist in „beschränkter“ Form, was dann völlig zu Recht nach hinten los-ging.
…und Verkehrsregeln sind da um sie zu befolgen. Nicht das Sie in nächster Zeit den Mandanten noch verteidigen müssen, weil er ein Schulkind Totgefahren hat…
Nur mal so am Rande.
@Das Ich:
Genau, deshalb sollte kein „Verkehrssünder“ ein Recht auf ein Rechtstaatliches Verfahren haben.
Wo kommen wir denn da hin…
@ Max
Das sagen Sie solange, bis Sie sich selbst der Staatsgewalt ausgeliefert sehen. Spätestens dann werden Sie um ein rechtsstaatliches Verfahren winseln und sich einen Strafverteidiger und keinen Beichtvater suchen.
[…] die Praxis immer wieder, und beschäftigen auch immer wieder die Blogs, vgl. zuletzt hier, aber auch hier, hier und hier. Zu dem Thema mal eine andere Entscheidung bzw. ein anderer Aspekt, […]