Schutzbehauptung

Der Vermerk der Staatsanwaltschaft nach Eingang einer gut 50-seitigen Verteidigungsschrift

Nach umfangreichen Ermittlungen sind nur hinreichend nachweisbar die 4 Taten aus dem Strafbefehlsantrag. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ergab sich ein Tatverdacht für noch 19 Taten. Diese sind auf BI. 226 I ff. aufgelistet.

Die sehr gute Stellungnahme des Verteidigers widerlegt den Tatverdacht zu den Fällen 1-14 und 19. Er hat zu diesen Taten eine Einlassung gereicht, die eine Rechtsfertigung des Verhaltens nicht ausgeschlossen macht.

Soweit das Lob. Und nun der Tadel:

Die Einlassung zu den Fällen 15 bis 18 überzeugt mich jedoch nicht. Die Einlassung zur Tatzeit nicht anwesend gewesen zu sein, ist nicht überzeugend. Es wurde zwar ermittelt, dass zu dieser Zeit zwar tatsächlich eine auswärtige Tätigkeit angesetzt war, aber wer und wie daran teilgenommen wurde, wird nicht vermerkt, vgl. BI. 55 I. Auch die Hypothese, dass jemand anders mit der Nutzernummer des Angesch. und dessen Passwort sich eingeloggt haben könnte, ist als Schutzbehauptung anzusehen.

Schutzbehauptung. Ahja, aber was ist das eigentlich? Nach meiner Erfahrung als Strafverteidiger in zahlreichen Verfahren argumentiert die Staatsanwaltschaft mit dieser Worthülse immer dann, wenn es ihr nicht gelingt, mit substantiierten Gegenargumenten den erforderlichen Beweis zu führen.

Es wird nun darauf ankommen, wie das Gericht im Rahmen der Beweisaufnahme mit den Argumenten der Verteidigung und denen der Staatsanwaltschaft umgehen wird. Die Beweislastverteilung im Strafprozeß ist jedenfalls knackig geregelt: Die Strafverfolgungsbehörden bzw. das Gericht müssen nachweisen, daß der Angeklagte die Tat begangen hat. Es ist nicht so, daß der Angeklagte nachweisen muß, daß er die Tat nicht begangen hat. Heiße Luft statt Argumente hilft hier nicht weiter.

Dieser Beitrag wurde unter Verteidigung veröffentlicht.

9 Antworten auf Schutzbehauptung

  1. 1
    BV says:

    Ich würde sagen, Schutzbehauptungen betreffen auch gerne solche Fälle, in denen der Angeklagte irgendeine Geschichte erzählt, die auch gerne ein wenig weit hergeholt und abstrus sein darf, und der Meinung ist, dass es allein aufgrund der Tatsache, dass ihm seine Geschichte nicht widerlegt werden kann, zu in dubio pro reo kommen muss.

      Ich schrieb von „substantiierten“ Gegenargumenten, nicht von „abstrusen“. Es geht – jedenfalls der Verteidigung – nicht darum, dummes Zeug zu schwätzen. crh .
  2. 2
    Trude says:

    Natürlich stellt der Beschuldigte immer „Schutzbehauptungen“ auf. Daß man sich mit einer Behauptung schützen und sich nicht ans Messer liefern will, ist doch das Wesen einer nicht geständigen Verteidigung. Ich finde den Ausdruck einfach nur dämlich, weil er ohne Nachzudenken immer dann gebraucht wird, wenn der StA oder dem Gericht nichts Besseres einfällt. Ehrlicher wäre es zu sagen: „Der Angeklagte lügt.“. Dann muß man das aber auch belegen.

  3. 3
    Ref.iur. says:

    Ich verstehe nicht, dass Gerichte nicht viel häufiger die Eröffnung eines Hauptverfahrens ablehnen. Häufig lässt sich schon aus dem Abschlussvermerk entnehmen, dass lediglich die nicht widerlegbare Möglichkeit einer Schutzbehauptung gegeben ist, zugleich aber auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Tat vorliegen.

    Anstatt ein kostenintensives Verfahren anzustellen, sollte die Eröffnung gleich abgelehnt werden (was nach der StPO auch eigentlich zwingend wäre…). Aus praktischer Sicht dürfte es für den Richter auch schneller gehen, einen Ablehnungsbeschluss zu schreiben als ein Hauptverfahren mit mehreren Zeugen durchzuführen und dann ein komplexes Urteil schreiben zu müssen.

    Nichtsdestotrotz kommt die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens in der Praxis nur sehr selten vor. Wahrscheinlich, weil man sich damit bei den „Kollegen“ bei der StA unbeliebt macht…

  4. 4
    BV says:

    @ Ref.iur.: Und was hätte die Unbeliebheit eines Richters bei der Staatsanwaltschaft für negative Folgen für ihn? Die Staatsanwaltschaft kann auf die Zuständigkeiten beim Gericht keinen Einfluss nehmen und muss daher auch mit unbeliebten Richtern klarkommen. Außerdem könnte das auch einen Erziehungseffekt haben, indem die Staatsanwälte vor der (arbeitsintensiven) Anklageerhebung vielleicht noch einmal genauer prüfen, ob die Voraussetzungen gegeben sind. Vielleicht wird das aber auch schon gemacht, so dass die Schlussfolgerung, der seltene Gebrauch dieser Möglichkeit sei (maßgeblich) auf sachfremde Erwägungen zurückzuführen, einfach falsch sein könnte.

  5. 5
    Ref.iur. says:

    @ BV

    Natürlich hat die Unbeliebtheit eines Richters bei der StA keine direkten Konsequenzen für den Richter. Nur, die meisten Menschen sind halt nicht gerne unbeliebt bei anderen… Man sollte bedenken, dass zwischen Staatsanwälten und Richtern häufig ein sehr vertrautes Verhältnis besteht (insbesondere wenn die StA so organisiert ist, dass immer die gleichen StA bei den gleichen Richtern zuständig sind). Das will man sich (unterbewusst) als Richter vielleicht nicht verderben.

    Ich denke, jeder Praktiker wird Ihnen bescheinigen, dass viel zu viele Anklagen einfach durchgewunken werden. Als Praxis-Tipp gab meine AG-Leiterin bei der StA einmal an, dass man lieber etwas mehr anklagen solle. Das könne man ja in der Hauptverhandlung klären und ggf. noch teilweise einstellen. Das war auch die grundlegende Haltung, die mir sonst bei der StA begegnet ist. Wenn es unklar ist, dann klagt man einfach mal an…

  6. 6

    @ Ref.iur.

    „Ich verstehe nicht, dass Gerichte nicht viel häufiger die Eröffnung eines Hauptverfahrens ablehnen.“

    1. weil die Eröffnung nicht mehr verlangt als eine Unterschrift und ein Kreuz auf einem Formular. Die – anfechtbare – Ablehnung der Eröffnung erfordert Arbeit, die oftmals viel angnehmer in der HV zu bewältigen ist.

    2. es kein Rechtsmittel gegen die Eröffnung gibt.

  7. 7

    Verteidiger, die sich später über die Freispruchgebühren freuen, erleben tatsächlich häufig, dass die StA von Schutzbehauptung spricht, dann aber später das Gericht formuliert „… hat sich der Angeklagte unwiderlegbar dahingehend eingelassen …“ Dann passt es doch :-)

  8. 8
    MadameLa StA says:

    Jetzt tut doch mal nicht so, als wenn nicht die weit überwiegende Zahl aller Verfahren ohnehin von der Staatsanwaltschaft eingestellt würde (Statistik bitte selber googeln).
    Die Ablehung der Eröffnung hat übrigens (zumindest hier) auch den unangenehmen Nebeneffekt, über die Behördenleitung geschickt zu werden, da hat also keine ein Interesse dran.

  9. 9

    @ MadameLa StA:

    Ich habe es bisher (gefühlte) ein- oder zwei-, maximal dreimal erlebt, daß der Antrag nach § 199 II StPO vom Gericht abgelehnt wurde. In all diesen Fällen beschäftigte sich anschließend das Landgericht mit der Beschwerde der StA gegen die Nichteröffnung.

    Das tuen sich nur gefühlte ein, zwei oder maximal drei Richter an. Und das wiederum auch nur ein einziges Mal in ihrer Karriere. Danach machen sie – und alle anderen ohnehin – ein Kreuzchen auf einem Formular und haben damit die Akte vom Tisch (vgl. oben Klaus Wilpert, Ziffer 2).

    Das System, so wie es in der Praxis gehandhabt wird, ist grob fehlerhaft und entspricht nicht meiner Vorstellung von einer fairen Auseinandersetzung zwischen gleichberechtigten Verfahrensbeteiligten.

    Deswegen verzichten Verteidiger i.d.R. auf die Rechte im Zwischenverfahren und nörgeln an der mangelhaften Qualität der Eröffnungsbeschlüsse herum (vgl. nur hier http://snipurl.com/xjvyk).