Von nun an ging’s bergab

Per Strafbefehl wurde der Mandant zu 70 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt. Dagegen hat er Einspruch eingelegt.

Nach einer zweiseitigen Verteidigungsschrift und einer halbstündigen Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht wurde der Mandant freigesprochen.

Gegen diesen Freispruch hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Aus der Berufungsbegründung:

Es ist unstreitig … (ist es gerade nicht!);
es bestehen keine vernünftigen Zweifel … (auf Seiten der Verteidigung durchaus reichlich!)
mit kriminalistischer Erfahrung … (aber ohne belastbaren Belege)
als Schutzbehauptung zu werten … (was nicht widerlegt werden kann, ist eben eine Schutzbehauptung)
hingegen nahezu ausgeschlossen … (heißt: kann nicht vollständig ausgeschlossen werden)
lebensfremd … (wo leben die denn?)

In der Besprechung vor der Berufungshauptverhandlung bietet der Richter an: Geständnis und dann gibt es nur 60 Tagessätze, statt der ursprünglichen 70. Der Mandant lehnt nach Beratung ab.

Der Richter bietet 50 Tagessätze. Der Mandant lehnt nach Beratung ab.

Die Staatsanwältin weigert sich, über eine Einstellung nach § 153 a StPO nachzudenken.

In der Beweisaufnahme werden drei Zeugen gehört. Und ein Sachverständiger. Dann wurde die Sitzung unterbrochen.

Der Richter bietet die Einstellung nach § 153 a StPO an. Die Staatsanwältin will mitmachen, aber nur gegen Auflagenzahlung in Höhe von 2.000 Euro.

Der Verteidiger zeigt ihr einen Vogel wendet ein, der Mandant lebe von ALG II (359,00 Euro monatlich). Die Staatsanwältin bietet 1.500,00 in sechs Raten zu 250,00 Euro.

Der Mandant lehnt nach Beratung ab.

Das Gericht unterbricht die Hauptverhandlung und setzt zwei Fortsetzungstermine fest.

Es geht u.a. um die Frage, was sich in einem Cache des Firefoxbrowsers befindet, wie das da rein kommt und ob der Nutzer darauf (freien) Zugriff hat. Der Richter hat sich aber von dem Sachverständigen erklären lassen, was ein Browser ist, wie Bilder einer Website dargestellt werden und wozu ein Cache taugt bzw. nicht taugt.

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten, Richter, Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

8 Antworten auf Von nun an ging’s bergab

  1. 1
    Anonymer Zyniker says:

    Noch nie über den praktischen Versuchsaufbau mit dem 1×1 Pixel großen Bild in einer ansonsten harmlosen Seite und der vorhergehenden und anschließenden Analyse des Caches nachgedacht?

  2. 2
    Lurker says:

    *seufz*

    Noch viel schöner wird dieser Fall, wenn der Staatsanwalt dem Gutach… polizeilichen Sachverständigen diese elementaren Zusammenhänge erklären muß. Und dem Richter.

    Naja, der Strafverteidiger damals hat sich über die unverhoffte Schützenhilfe gefreut… ;-)

  3. 3
    ITler says:

    NICHTS, aber auch garnichts in einem Browser-Cache ist so belastbar, dass es für 2,50 Strafe reichen würde.

    Ähnlich ist es mit einer IP.

    Wann kommt das bitte endlich mal bei den berufsverbeamteten Juristen an?

  4. 4
    gulliver says:

    Die Sätze der StA sind so massenhaft auch in Schreiben von Rechtsanwälten, besonders zivile Rechtsstreitigkeiten, zu lesen, die Gegenargumente fallen auch so aus.

  5. 5
    Kuddel says:

    Geht es in der Sache auch irgendwie um die technische Realität, nämlich das praktische Unvermögen, sich vor ungewollten Datenabrufen zu schützen? Ob an irgendeiner Stelle während des Datenabrufs noch ein Cache sitzt, ist dabei doch egal. Könnten sich nicht alle OStA einfach mal zusammensetzen und eine Arbeitsanweisung erstellen, wonach ein Datenabruf alleine nicht mehr verfolgt wird mangels objektiver Beweise, dieser sei auch gewollt gewesen?

  6. 6
    Waldbaer says:

    Nur der Vollständigkeit halber, da es noch nicht erwähnt wurde:
    http://en.wikipedia.org/wiki/Link_prefetching
    Da kann sich Zeug im Cache befinden, von dem man nicht mal wusste, daß es existiert, geschweige denn, draufgeklickt hat.

  7. 7
    fernetpunker says:

    StaatsanwältIN, natürlich. ;-)

  8. 8

    […] Versuch eines Richters und einer Staatsanwältin, sich um eine Entscheidung zu drücken, hatte ich hier bereits berichtet. Nach der Berufung der Staatsanwaltschaft machten die beiden dem Mandanten im Laufe einer […]