Die Staatsanwaltschaft übermittelte mir die Ermittlungsakte und belehrte mich in dem Anschreiben:
Die wirtschaftlichen Verhältnisse Ihrer Mandantschaft sind gemäß § 136 StPO aufzuklären.
Sie können bei der Bemessung einer eventuellen Geldstrafe (§ 40 StGB) oder von Geldauflagen (§§ 153a StPO, 56b, 59a StGB) bedeutsam sein. Wenn Ihre Mandantschaft hierzu keine Angaben machen möchte, müßte eine für Ihre Mandantschaft unter Umständen nachteilige Schätzung (§ 40 Abs. 3 StGB) erfolgen.
Ich bedanke mich ganz recht herzlich für diese Hinweise und frage zurück: Unter welchen Umständen müßte eine vorteilhafte Schätzung erfolgen?
Es ist nachvollziehbar, wenn die Ermittlungsbehörden die Furcht der Beschuldigten ausnutzen und gern eine Art Drohszenario aufbauen, um an die erwünschten Informationen heranzukommen. Der Versuch, einem Strafverteidiger auf diese Tour zu kommen, ist eher befremdlich. Zumal ich davon ausgehen darf, daß ein Gericht nicht vor- oder nachteilig schätzt, sondern möglichst richtig.
Um die oben von mir gestellte Frage selbst zu beantworten: Unter Umständen hat die Staatsanwaltschaft gar keine Vorstellung von dem hohen Einkommen meiner „Mandantschaft“ und geht irriger Weise von einem gewöhnlichen Durchschnittsauskommen aus. Dann hätte sich die Staatsanwaltschaft unter Umständen vorteilig verschätzt.
Und überhaupt: Eine nachteilige Verschätzung läßt sich in der Regel durchaus später noch einmal korrigieren. Deswegen gilt auch insoweit der Rat: Keine Auskunft. Schweigen. Trotz versteckter Androhung empfindlicher Übel. Denn: Ein Beschuldigter muß keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen machen. Dann sollte er es in der Regel auch nicht – wenn er nicht gerade ALG II bezieht.
Gerade wenn ein Beschuldigter ALG II bezieht, sollte er in vielen Fällen erst recht keine Angaben zu seinen (tatsächlichen) Einkünften und wirtschaftlichen Verhältnissen machen ohne es mit seinem Verteidiger abzustimmen. Ansonsten ist das nächste Ermittlungsverfahren absehbar.
Kann die Staatsanwaltschaft nicht einfach beim Finanzamt nachfragen? Oder ist genau das verboten?
@Tilman: vgl. § 30 AO
@RA Hoenig: Naja, die StA sagt lediglich, dass die Schätzung nachteilig sein _kann_. Diesen Hinweis halte ich auch durchaus für geboten, um dem Beschuldigten die möglicherweise nachteiligen Konsequenzen eines Schweigens vor Augen zu führen. Im Gegenteil dürfte es sogar im Hinblick auf das materielle Rechtsstaatsprinzip geboten sein, dem Beschuldigten diese Konsequenz klar zu machen. Darin kann ich nichts Verwerfliches erkennen.
„Drohszenario“ ist hier deutlich übertrieben. Der StA und dem Gericht ist es doch letztlich egal, wie hoch die Tagessatzhöhe ist. Der einzige, für den das wirklich von Interesse ist, ist halt nun mal der Beschuldigte.
@ Referendar
Der Hinweis auf §30 Ao ist zwar nett, aber dem Laien nicht hilfreich. Der ist „verschwurbelt“, also für Normalmenschen möglichst unverständlich gestaltet.
Ich verstehe das so, daß Auskünfte nur bei schweren Straftaten gegeben werden dürfen; also gerade nicht bei solchen, wo Tagessätze in Frage kommen.
Könnten Sie das klarstellen?
@ Referendar: „Drohszenario“ ist nicht übertrieben. Die StA schätzt in aller Regel das Einkommen (viel) zu hoch ein. Über die Gründe lässt sich spekulieren. Ich vermute, dass es zum kleineren Teil die Sorge um die Staatskasse ist, die von Geldstrafen profitiert. Den größeren Teil dürften prozesstaktische und ökonomische Überlegungen ausmachen.
@RA Neldner: Wäre ja auch ziemlich sinnlos, wie Sie sicher zugestehen, wenn StA bzw. Gericht immer zu gering schätzen würden. Schließlich soll auch eine Geldstrafe „Strafe“ sein.