Wahrheitsfindungsfeindlich

Eine Uraltgeschichte aus dem Jahre 2003. Es ging um den Vorwurf der Beleidigung eines Polizeibeamten.

Der Angeklagte erschien nicht zum Termin, wohl aber die fünf ebenfalls geladenen Zeugen.

Es wurde daraufhin im Strafbefehlsverfahren eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten verhängt. Glück im Unglück: Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Gegen diese Entscheidung erhob der Angeklagte Einspruch, allerdings erst deutlich nach Ablauf der Frist. Deswegen wurde sein Rechtsmittel folgerichtig als unzulässig zurück gewiesen. Dagegen wehrte sich nun der Angeklagte. Er schreibt ans Gericht:

Ich lege sofortige Beschwerde gegen Ihren extrem wahrheitsfindungsfeindlichen Beschluß ein.

Da hat er ja nun eigentlich Recht: Die so genannte formelle Rechtskraft verhindert die Beantwortung der Frage nach der materiellen Wahrheit. Das versteht natürlich der einfach strukturierte Mensch nicht. Und seine damalige Verteidigerin hatte auch keine Lust mehr, ihm das zu erklären, nachdem sie von ihm wenig erbauliche Post bekommen hatte.

Deswegen nimmt er nun selbst das Heft des Handelns in die Hand und schreibt lange Briefe an das Gericht. Und zwar mit hohem Unterhaltungswert, wie ich meine:

Ich habe nicht übel Lust, diesem Arschloch von Richter den verkackten Hosenboden zu versohlen. Wenn ich doch nur könnte. Ich denke, ich wende mich an übergeordnete Stellen.

Die sofortige Beschwerde wurde vom Landgericht in einem weiteren Beschluß, unterschrieben von drei völlig humorlosen Richtern, verworfen:

Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die Entscheidung des Amtsgerichts aufzuheben.

Das will der Mensch aber nicht auf sich beruhen lassen. Er schreibt an das Landgericht:

Geben Sie Auskunft über legale Rechtsmittel gegen diesen hochgradig kriminell korrupten Beschluß! Der ist einfach so kriminell und hirnrissig dreist, daß ich einfach Beschwerde einlegen muß. Ich will diese Sache verhandeln. Woher nehmen Sie sich das Recht, wie Ärsche zu benehmen.

Die Richter haben die Nerven behalten. Es hat kein neues Verfahren wegen Beleidigung gegeben.

Allerdings: Weil er in einer neuen Geschichte sich nicht ganz regelkonform verhalten hat, hat die Staatsanwaltschaft nun beantragt, die Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen.

Jetzt soll der arme Mann wegen dieser Geschichte aus 2003 doch noch in den Knast. Und ich habe nun einen ganz feinen Job …

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten, Verteidigung veröffentlicht.

18 Antworten auf Wahrheitsfindungsfeindlich

  1. 1
    Andi says:

    Du hast keine Chance, aber nutze sie…

    Ist der Mandant denn nur querulantenhaft oder streift das schon die Grenze der psychischen Beeinträchtigung?

  2. 2
    RA JM says:

    Fünf Monate für eine Beleidigung eines Polizeibeamten? Da war doch schon einiges im Vorlauf, oder?

    Ansonsten ein schönes Beispiel für nicht wirkende Spezialprävention. ;)

  3. 3
    Hannes says:

    Das erinnert mich an „akkaly“. Viel Spaß beim Verteidigen und beim anschließenden „Debriefung“ mit dem neuen Klienten :)

  4. 4
    Dante says:

    Tja, der Vorsitzende meiner Kammer sagt immer: Wer mich beleidigen kann, entscheide ich immer noch selbst. Recht hat er.

  5. 5
    Kampfschmuser says:

    Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass manche zum besseren Verständnis und um zukünftiges Theater zu vermeiden, einfach mal die 5 Monate abreißen soll(t)en. Bei guter Führung sind es wohl nur 3 Monate, sollten aber ausreichen dem Herrn Benehmen beizubringen.

    Falls nicht, kann man ja die Latte beim nächsten Mal höher legen.

  6. 6

    Beleidigung eines Polizeibeamten? Wie geht das denn?

  7. 7
    Till says:

    @RA Siebers: „Herr Kollege…“ ;-)

  8. 8
    Brick says:

    Ich hoffe, in den Vorschuss wurden Kompensationszahlungen für zu erlebende Qualen einkalkuliert.

  9. 9
    fernetpunker says:

    „Und ich habe nun einen ganz feinen Job … “

    Ich beneide Sie nicht!

  10. 10
    Stephan says:

    Sehe es schon kommen das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die letzte Beschwerde entscheidet…und um den Beschwerdeführer nicht zu verletzen und im Mut zu geben, rügt es dann die überlange Verfahrensdauer in Deutschland :-)

  11. 11
    BV says:

    Ich finde, bevor Sie irgendwelchen sinnlosen Quatsch versuchen, sollten Sie erstmal Verfassungsbeschwerde erheben. Das macht ordentlich Eindruck beim Mandanten und kann ja gar nicht verkehrt sein ;-)

  12. 12
    Peter says:

    Unzurechnungsfähigkeit. Sollte hier funktionieren …

  13. 13
    Ein Staatsanwalt says:

    Jetzt wird eine Bewährung aus dem Jahr 2003 widerrufen? Da muss zwischenzeitlich noch so einiges mehr passiert sein, damit dass überhaupt noch rechtlich möglich ist, oder?

      Einiges?!? Der Mann hat zwischenzeitlich drei gestandene Berufsbetreuer zum Wahnsinn getrieben.

      Nebenbei: In einer anderen Sache, in der ich ihn verteidigt habe, ist mein KFA aus dem Jahre 2008 (!!) bis heute noch nicht bearbeitet worden, weil die Akten quer durch Moabit gekarrt werden; wenn sie gerade mal nicht zur Senatsverwaltung für Justiz unterwegs sind. crh

    (Die knackigste Richterbeleidigung, die ich je in einer Akte lesen durfte, war nebenbei bemerkt ein Ablehnungsgesuch hinsichtlich einer Zivilrichterin. Es lautete wörtlich: „Hiermit wird die völlig perverse und offensichtlich geisteskranke Richterin am Amtsgericht XY wegen Befangenheit abgelehnt. Ihr bisheriges Verhalten im Prozess lässt sich nur durch massive Korruptheit und Schmiergeldzahlungen erklären.“ Sie hatte zu dem Zeitpunkt in dem Verfahren noch nichts anderes gemacht als nach Eingang der Klage selbige zuzustellen und einen frühen ersten Termin zu bestimmen. Strafantrag hat sie übrigens auch nicht gestellt.)

  14. 14
    Das Ich says:

    ;-) Verfassungsbeschwerde ,
    klar, wenn der Mandant schonmal die üblichen 500€ Missbrauchsgebühr bereitstellt.

  15. 15
    isi says:

    Um diesen Job beneide ich Sie zwar nicht, aber das Popcorn darf ich trotzdem auspacken, oder? ;-)

  16. 16
    Donnerkatze says:

    Hmm, vielleicht schriftliches Tourette Syndrom? ;-)
    Mit dieser geistigen Diarrhoe, die auch noch in den Briefen an die Gerichte manifestiert wurden, hat er doch das Urteil in Abwesenheit nur bestätigt und bei den Richtern den Zwang ausgelöst, daß Bewährung zu milde war.
    Popcorn scheint eine gute Idee zu sein. Bei Ihnen „sitzt man auch in der ersten Reihe“ ;-)
    Aber um diesen Mandanten wird Sie wohl niemand beneiden :-(
    Grüße ;-)

  17. 17
    Duncan says:

    http://swittersb.files.wordpress.com/2009/07/duct-tape.jpg

    dürfte die erfolgversprechendste Vorgehensweise sein ;)

  18. 18