Zum zweiten Mal beim Schwurgericht

Über einen Mandanten, den ich gleich zweimal vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht verteidigt habe, berichtet Berlin Kriminell. So ein wiederholter Auftritt eines Angeklagten beim Schwurgericht ist eigentlich höchst selten, urteilt diese Spezialkammer des Landgerichts doch über solche Taten, die auf das Ende des Lebens eines Geschädigten gerichtet sind, also – knackig formuliert – über Mord und Totschlag.

Auch wenn ich nie den Blick auf die Geschädigten in einem solchen Verfahren verliere, so ist es doch meine eigentliche Aufgabe als Verteidiger, das Wohl und Wehe des Mandanten im Auge zu behalten. Und bei diesem Mandanten, mit dem ich auch nach der Verbüßung seiner ersten Freiheitsstrafe noch Kontakt hatte, muß ich sagen, daß er die zweite Tat nicht verdient hat.

Und was er auch nicht verdient hat – darüber berichtet Berlin Kriminell nicht – war ein solches Verfahren. Zunächst wurde ihm in dem Haftbefehl, der unmittelbar nach der Tat verkündet wurde, eine gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde daraus später u.a. der Tatvorwurf eines versuchten Totschlags.

Diese Änderung des Tatvorwurf teilte die Haftrichterin unserer Mitarbeiterin telefonisch mit – allerdings fehlte bei dieser Information das Wort „Versuch„; mir teilte die Mitarbeiterin dann folgerichtig mit, daß der Geschädigte nach Mitteilung der Richterin verstorben sei. Als ich dies dem Mandanten, der mittlerweile zwei Wochen in der Untersuchungshaft saß, sagte, brach er zusammen. Er sah dem Termin für die Verkündung des neuen Haftbefehls mit großer Furcht entgegen.

Die Haftrichterin hat sich ob dieses Mißverständnisses bei ihm entschuldigt, konnte damit aber das, was dadurch bei ihm angerichtet wurde, nicht wieder reparieren.

Ein weiterer stark emotional besetzter Moment war die Begegnung meines Mandanten mit dem Geschädigten im Gericht. Die Entschuldigung, um die mein Mandant am Ende der Vernehmung bat, war erkennbar ehrlich gemeint und berührte alle Anwesenden, auch den Staatsanwalt – der nach Verkündung des Urteils meinem Mandanten die Hand gab, und sich den guten Wünschen des Gerichts anschloß.

So böse wie die Tat war, es gab keinen Grund, diesem Mann, der in der Obhut einer psychisch kranken Mutter aufgewachsen ist, nicht dabei zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Ich bin sicher, das wird ihm mit professioneller Hilfe in den nächsten Jahren gelingen.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemeines (Kanzlei) veröffentlicht.

11 Antworten auf Zum zweiten Mal beim Schwurgericht

  1. 1
    Zivilrechtler says:

    Was kam denn raus? Bewährung?

  2. 2
  3. 3
    le D says:

    @Kollege Zivilrechtler: „Am 27. Januar 2010 verurteilt die 29. große Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Angelika Dietrich den Angeklagten Mario E. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren.“

  4. 4
    egal says:

    Und in 6 Jahren wieder Kunde beim Schwurgericht?

  5. 5
    Pascal says:

    Inwiefern kann denn ein Täter seine Tat „nicht verdient“ haben?

  6. 6
    MaM says:

    Das ist wirklich allerhand. Verglichen mit der Lappalie, eine Bierflasche über den Kopf gezogen zu bekommen und sie anschließend – zersplittert – in den Bauch gerammt zu kriegen, ist die falsche Benennung der zur Last gelegten Tat ein starkes Stück.

  7. 7
    Scharnold Warzenegger says:

    Der arme Straftäter.

    Wenn man jemanden mittels Gewalttat so verletzt, daß der Tod plausibel ist, dann muß man natürlich gestreichelt werden…

    Ich weiß: Strafverteidiger verteidigen ihre Mandanten. Aber als Außenstehender muß man das nicht genauso sehen.

  8. 8
    Sebastian says:

    @ Warzenegger

    Es gibt ihn nicht „den Straftäter“, weder den armen noch den reichen. Das zeigt das psychologische Gutachten in diesem Fall deutlich.

    Und genau genommen verteidigt man auch nicht den Mandanten, sondern dessen Rechte.

  9. 9
    fein says:

    Er sollte in Sicherheitsverwahrung.
    § 64
    Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

    Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen…

  10. 10
    Moritz says:

    Wenn zwei Jahre Therapie etwas bringen und der Mandant trocken ist, warum sollte er dann etwas später nicht wieder frei herumlaufen? Zwar wird er in der Nähe von Alkohol immer ein erhöhtes Gefährdungspotential aufweisen, das kann man aber auch unter dem allgemeinen Lebensrisiko verbuchen. Spinner gibt es immer.

  11. 11
    Tom says:

    Ein echtes Schätzchen, der Mandant: „…, als Mario E. plötzlich in rasender Wut eine Bierflasche aus dem Beutel holt, um es ihm über den Kopf zu schlagen. Daniel C. hat kaum Zeit, Blut, Glassplitter und das über ihn rinnende Bier und zu realisieren. Mario E., erzürnt darüber, dass eine der beiden Bierflaschen, die er soeben anschreiben lassen musste, kaputt ging, rammt diesem kurz darauf den abgebrochenen Flaschenhals in den Unterleib. Daniel C. taumelt rückwärts, stützt sich an ein parkendes Auto, sieht an sich herunter und sieht die aus der Bauchwunde ausgetretenen Darmschlingen. …“

      Wer hat denn diesen Müll zusammen geschrieben? crh

    Interessant auch, dass bei berlinkriminell steht: „Daniel C. verlässt … eine Woche nach der Notoperation schon wieder das Krankenhaus.“ Und eine weitere Woche später soll der Mandant „zusammengebrochen“ sein, weil ihm versehentlich mitgeteilt wird, das Opfer sei verstorben??