Monatsarchive: Februar 2011

Kein Haftbefehl zur Ahndung von Ungehorsam

Auf welche krude Ideen manche Strafrichter kommen, zeigt der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 26. Januar 2011 (Az.: 537 Qs 8/11).

Sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch die Richterin am Amtsgericht hielten eine Hauptverhandlung entbehrlich; es wurde also auf dem Dezernatswege ein Strafbefehl erlassen und gegen die Angeklagte eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen erlassen. Dagegen hatte die Angeklagte Einspruch eingelegt und die Richterin hatte einen Termin anberaumt, zu dem die Angeklagte nicht erschienen war.

Die Angeklagte ließ sich durch ihren Verteidiger vertreten, sie machte also von seinem Recht aus § 411 II StPO Gebrauch. Offenbar ging der Richterin das gegen den Strich, sie wollte die Angeklagte trotzdem sehen, weil sie „einen persönlichen Eindruck von der Angeklagten unabdingbar“ hielt. Weitere Gründe nannte sie nicht und erließ – quasi aus der Hüfte geschossen – einen Haftbefehl nach § 230 StPO.

Das fand nicht nur die Angeklagte, sondern auch das Landgericht ungeheuerlich:

… der Erlass des Haftbefehls war im vorliegenden Fall unverhältnismäßig. Der Haftbefehl im Strafbefehlsverfahren, dem die Verhaftung des Angeklagten strukturell fremd ist, erfüllt nicht den Selbstzweck, den Ungehorsam des Angeklagten zu ahnden.

Es ging in diesem Verfahren nicht darum, z.B. die Täter-Identität feststellen zu können. In diesem Fall hätte gar nicht erst ein Strafbefehl erlassen werde dürften. Folgerichtig schrieb das Landgericht:

Es ist nicht ersichtlich, weshalb hier das persönliche Erscheinen der Angeklagten zur Sachaufklärung geboten war.

Zu allen weiteren wesentlichen Punkten war die Anwesenheit der Angeklagten im übrigen entbehrlich, die sich bereits seit dem Ermittlungsverfahren durch Schweigen verteidigte:

Dies ist jedoch angesichts des Schweigerechts der Angeklagten und der Tatsache, dass sie auch im Ermittlungsverfahren keinerlei Einlassungen zur Sache getätigt hat, nicht nachzuvollziehen,·da der persönliche Eindruck vor allem für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage von Bedeutung sein kann, hier jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Angeklagte sich zur Sache äußern wolle.

An dieser Stelle stand also schon fest, daß der Haftbefehl wohl nur der Maßregelung der Angeklagten dienen sollte und nicht etwa dem eigentlichen Zweck, der Sicherung der Durchführung der Hauptverhandlung.

Worum ging es eigentlich? Um 50 Tagessätze Geldstrafe, im konkreten Fall um 1.000 Euro. Und dafür soll jemand verhaftet werden, der sich verteidigen läßt und deswegen meint, nicht zum Gericht zu müssen, weil das Gesetz ihm diese Möglichkeit eröffnet. Ein Haftbefehl geht gar nicht in so einem Fall, meint das Landgericht:

Schließlich hat das Amtsgericht nicht erkennbar berücksichtigt, dass es sich um den Vorwurf einer Tat von eher geringer strafrechtlicher Bedeutung handelt, worauf bereits die Festsetzung einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen in dem Strafbefehl schließen lässt.

Diese Richterin sollte sich schämen; der Beschluß des Landgerichts gibt ihr reichlich Stoff zum Nachdenken.

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Alice Schwarzer raus!

Wie man eine lästige Journalistin aus dem Gerichtssaal schafft, hat der Verteidiger Schwenn am Donnerstag in dem Verfahren gegen Herrn Kachelmann vorgeführt. Er stellte eine simplen Beweisantrag, der ungefähr wie folgt gelautet haben dürfte:

Zum Beweis der Tatsache, daß

Alice Schwarzer angeblich direkt in das Verfahren selbst eingegriffen habe und es nicht nur von außen beobachtete, ….

beantragt die Verteidigung, die Journalistin Bild-Reporterin als Zeugin zu laden und zu hören.

So etwas führt dann, wenn der Beweisantrag sauber gestellt wurde und nicht völlig abwegig ist, zur Anwendung des § 58 StPO und zur Metamorphose der Prozeßbeobachterin zur Zeugin, die draußen vor der Tür warten muß, bis sie vernommen werden soll. Und das könnte dauern …

„Donnerwetter“, kommentierte Frau Schwarzer die Wegweisung. That’s StPO.

Ich möchte Herrn Schwenn nicht unterstellen, daß er mit seinem Beweisantrag genau und nur dieses Ziel verfolgt hat. Aber schmunzeln mußte ich schon, als ich den Bericht von Hannelore Crolly in der Welt gelesen habe. Solche Beweisanträge gehören eben zum Handwerkszeug eines soliden Strafverrteidigers. 8-)

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Katzenkontent

Quelle: Tom via taz vom 3.2.2011

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Liebig 14 bleibt nicht

Gentrifizierung in der Liebigstraße:

Nachdem der Antrag des Vereins Liebig 14 e.V. auf eine Aussetzung der Räumung heute [am 1.2.2011 – crh] Morgen vom Amtsgericht abgelehnt wurde, hat der Verein eine Beschwerde beim Landgericht eingereicht. Die zuständige Richterin hat daraufhin festgestellt, dass sich der Gerichtsvollzieher davon vergewissern muss, dass der Verein Liebig 14 e.V. tatsächlicher Nutzer des Hauses ist.

Quelle: Pressemitteilung des Liebig 14 e.V. vom 1.2.2011

Hat nicht funktioniert, der Rechtsweg:

Trotz Anweisung durch das Landgericht am Dienstagabend, kam der Gerichtsvollzieher der Aufforderung im erklärten Einverständnis mit den Bewohner_innen das Haus zu besichtigen, um sich von der Rechtsunwirksamkeit der ausgestellten Räumungstitel zu überzeugen, nicht nach.

Quelle: Pressemitteilung des Liebig 14 e.V. vom 3.2.2011

Da darf man sich nicht wundern, wenn die Leute das Recht selbst in die Hand nehmen.

(Video-Clip gefunden beim Pantoffelpunk)

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Kein Fernsehverbot

Der Verteidiger eines mutmaßlichen Straftäters muss es hinnehmen, dass er aufgrund des Aufsehen erregenden Prozesses gefilmt wird und diese TV-Aufnahmen ausgestrahlt werden. Als Organ der Rechtspflege steht er im Blickpunkt der Öffentlichkeit und hat nicht im selben Maß Anspruch auf Schutz der Privatsphäre wie eine von dem Verfahren betroffene Privatperson.

Quelle: KG Berlin, Beschl. v. 14.10.2010 – Az.: 10 U 79/09, gefunden bei der Kanzlei Dr. Bahr, die die Entscheidung etwas ausführlicher zitiert.

Gegenmittel gegen die TV-Paparazzi: Grinsend in die Kamera winken.

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Rücksichtsvoller Richter

Der Mandant ist im Finanzdienstleistungsgewerbe tätig. Ihm wird vorgeworfen, im Rahmen seiner Tätigkeit einen Betrug begangen zu haben. Die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht war nicht zu verhindern, allerdings war nach dem ersten Teil der Beweisaufnahme auch der Staatsanwalt nicht mehr so felsenfest davon überzeugt, daß der Vorwurf zutrifft.

Für einen Freispruch reichte es allerdings (noch) nicht, dazu war noch mindestens ein weiterer Verhandlungstag notwendig.

Im Zuschauerraum saßen die Geschäftspartner des Mandanten, die zuvor als Zeugen ausgesagt hatten. Es waren weitere Zuhörer anwesend, die ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hatten. Der Mandant stand also am Pranger und kämpfte um seine berufliche Zukunft und wirtschaftliche Existenz.

Es war an der Reihe, den Auszug aus dem Strafregister des Mandanten zu verlesen. Der enthielt einen durchaus peinlichen Eintrag aus grauer Vorzeit. Der Richter nahm das Blatt aus der Akte …

Hier haben wir noch einen grünen Zettel, den ich den Beteiligten ‚mal zum Lesen gebe.

… und reichte ihn dem Staatsanwalt und der Verteidigung, die den Inhalt des Registerauszuges jeweils schweigend zur Kenntnis nahmen.

Bei den Zuschauern waren die Fragezeichen und die Enttäuschung in den Gesichtern erkennbar; ein Kollege, der ebenfalls als Beobachter „hinten drin“ saß, grinste sich seinen Teil.

Vor dem Hintergrund, daß der Freispruch in diesem Verfahren eher wahrscheinlich war als eine Verurteilung, war das eine faire Geste des Richters. Ein Verfahrensverstoß, ja, aber einer mit Augenmaß.

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Urteil gegen Berliner „Drogenarzt“ aufgehoben

Das Landgericht Berlin hat einen 51 Jahre alten auf psychotherapeutische Behandlungen spezialisierten Arzt u. a. wegen Körperverletzung mit Todesfolge und der Überlassung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn mit einem dauerhaften Berufsverbot für eine Tätigkeit als niedergelassener Arzt und als Psychotherapeut belegt. [Hier der Prozeßbericht im Spiegel vom 10.05.2010. crh]

Nach den Urteilsfeststellungen führte der Angeklagte sog. psycholytische Sitzungen durch. Bei diesen Gruppensitzungen wurden Patienten durch Drogen in ein „Wachtraumerleben der Objektumgebung“ versetzt. Ziel dieser in Deutschland wissenschaftlich nicht anerkannten Methode soll es sein, an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen. Im September 2009 führte der Angeklagte eine Intensivsitzung durch, in deren Rahmen sich sechs Gruppenmitglieder zur Einnahme des Rauschgifts MDMA bereiterklärten. Wegen eines ihm unterlaufenen Wiegeversehens übergab er an diese jedoch mindestens die zehnfache Menge der beabsichtigten Menge, woraufhin es bei ihnen zu heftigen körperlichen Reaktionen kam. Trotz der von der herbeigerufenen Notärztin veranlassten Hilfsmaßnahmen verstarben zwei Gruppenmitglieder an Multiorganversagen aufgrund der Überdosis MDMA. Weitere Teilnehmer konnten nach intensivmedizinischer und stationärer Behandlung gerettet werden.

Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil auf die Revision des Angeklagten hin aufgehoben und das Verfahren an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die bisherigen Feststellungen des Landgerichts tragen die Annahme eines vorsätzlichen Körperverletzungsdelikts nicht. Angesichts der freiwilligen Drogeneinnahme und dadurch erfolgten Selbstgefährdung der Gruppenmitglieder war zur Begründung einer Strafbarkeit hiernach eine vom Vorsatz des Angeklagten umfasste Handlungsherrschaft erforderlich. In der erneut durchzuführenden Hauptverhandlung wird vorrangig eine kritische Überprüfung der Angaben des Angeklagten zu einem vorgeblichen Wiegefehler vorzunehmen sein. Danach wird zu beurteilen sein, ob eine Vorsatztat oder lediglich ein fahrlässiges Tötungsdelikt anzunehmen ist.

Quelle:
Pressemitteilung Nr. 019/2011 vom 01.02.2011 der Pressestelle des Bundesgerichtshofs, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10

(Vorinstanz: LG Berlin – (535) 1 Kap Js 1885/09 Ks 3/10 – Urteil vom 10. Mai 2010)

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Der Copy-Shop der Staatsanwaltschaft

Der Verteidiger hatte drei Beweisanträge vorbereitet und verlesen. Die unterschriebenen Anträge – insgesamt 20 Blatt – gab er zu Protokoll. Es entwickelte sich folgender Dialog:

Staatsanwalt:
Haben Sie auch Abschriften für mich??

Verteidiger:
Nein, tut mir Leid. Aber wenn Sie mir einen Euro geben, können wir kurz unterbrechen, ich gehe dann ins Anwaltszimmer und fertige Kopien für Sie an.

Staatsanwalt:
So weit kommt’s noch, daß ich für die Abschriften auch noch bezahle!!

Verteidiger:
Was glauben Sie eigentlich, wer die Kosten für die Abschriften trägt, wenn der Verteidiger sie Ihnen zur Verfügung stellt?

… Ich beantrage eine Unterbrechung, ich möchte die Anträge für den Herrn Staatsanwalt kopieren …

Der Verteidiger stellt sich darauf ein, daß über die Kosten für die Kopien der Beweisanträge, die er für die Staatsanwaltschaft angefertigt hat, später noch mit dem Kostenbeamten diskutiert werden muß. „Notwendige Kosten“ ist dann das Gesprächsthema.

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