Monatsarchive: Juni 2011

Ein eigenartiges Völkchen

In die Akten der Staatsanwaltschaft und des Gerichts kann der Vertreter des Beschuldigten bzw. Angeklagten hineinschauen. So steht es im § 147 StPO und das gilt auch für ein Mord- und Totschlagsverfahren. In der Regel stellen sich da keine wesentlichen Probleme ein.

Anders sieht es aus, wenn es nicht um Leben oder Tod geht, sondern um’s Geld. Um das Geld des Staates, kurz: Um’s Steuerrecht.

Wir haben Einspruch eingelegt gegen eine Verfügung des Finanzamtes, mit dem unserem Mandanten eine Stange Geld abgeknöpft werden soll. Der Mandant vertritt die Ansicht, daß die Steuerforderung zu Unrecht erhoben wird. Und außerdem: Er hat überhaupt nicht soviel Geld.

Damit wir den Einspruch auch ordentlich begründen können, haben wir gleichzeitig Akteneinsicht beantragt. Quasi der klassische Reflex eines Strafverteidigers. Auf diesen Einspruch reagiert das insoweit empfindliche Finanzamt nun aber wie folgt:

Ich finde, der Erfolg des Verfahrens wird gerade durch die Verweigerung der Akteneinsicht gefährdet. ;-)

Dieser Ablehnung war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt:

Dann streiten wir uns jetzt erst einmal in aller Ruhe um die Akteneinsicht und werden dann später irgendwann auf die eigentliche Sache zurück kommen. Diese Finanzbeamten sind doch ein eigenartiges Völkchen. Nicht ganz unsympatisch.

Gut ist, daß hier die Zeit für den Mandanten arbeitet.

 

18 Kommentare

Platzen oder Schieben und dann Aufheben

Eine üble Auswahl hatte das Gericht da zu treffen.

Am 28. Juli hatte das Gericht die Beweisaufnahme geschlossen, der Staatsanwalt plädiert und die Verhandlung wurde unterbrochen. Im nächsten Hauptverhandlungstermin – am Vormittag des 18. August – sollten noch die Verteidiger plädieren, damit dann – noch am selben Tage – das Urteil verkündet werden kann. Das war der Plan A.

Nun erkrankte aber eine Schöffin, so daß dieser Plan so nicht mehr umzusetzen war. Länger als drei Wochen darf aber eine Hauptverhandlung nicht unterbrochen werden, sagt § 229 Abs. 1 StPO. Sonst muß man eben wieder bei Null anfangen. Das will – in der Regel – keiner der Beteiligten.

Es mußte also ein Plan B herbei, der das Platzen der Verhandlung verhindern soll. Die (gesunden) Verfahrensbeteiligten änderten kurzer Hand das Programm.

    1. Es wird nicht am Vormittag verhandelt, sondern am Nachmittag.
    2. Es wird nicht im Gericht verhandelt, sondern in der Klinik.
    3. Es wird eine Urkunde verlesen.
    4. Es wird ein neuer Termin vereinbart, in dem dann der Plan A wieder fortgeführt wird.

Es ging also um einen so genannten „Schiebetermin“ (oder auch Brückentermin).

In einem solchen Termin wird dann nur ganz kurz verhandelt, erneut unterbrochen und dann ein weiterer Termin innerhalb der neuen Drei-Wochen-Frist festgesetzt. In diesem neuen Termin kann dann „ganz normal“ weiter verhandelt werden. So wird aus einer Drei-Wochen-Frist eine solche mit sechs Wochen.

Daß die Gerichtsverhandlung nicht im Gerichtsgebäude statt findet, stellt lediglich ein paar Anforderungen an die formelle Organisation, ist aber grundsätzlich zulässig

Dies erinnert ein wenig an einen flachen Steinwurf über’s Wasser: Der Stein ditscht kurz auf der Wasseroberfläche auf, springt weiter und erreicht so das andere Ufer. Eine pfiffige Idee im Zusammenhang mit einer Strafsache wegen Raubes, wie ich meine.

Solche Kunststückchen werden von der Kontrollinstanz in der Teppich-Etage allerdings nur sehr ungern gesehen. Dieser Bundesgerichtshof (BGH) fordert daher, daß ein solcher Schiebetermin nur dann zulässig ist, wenn

in ihm zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird. Dabei genügt bereits jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente (BGH NJW 2006, 3077; NStZ-RR 1998, 335). Nicht ausreichend sind dagegen so genannte (reine) ‚Schiebetermine‘, welche die Unterbrechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen (BGH NStZ 2008, 115).

Also:
Sich mal eben im Gerichtssaal (oder im Krankenhaus) zu treffen, um sich zu begrüßen (und sich gute Besserung zu wünschen), wäre zu wenig. Dann „platzt“ das Verfahren zwar nicht, dem nachfolgenden Urteil droht dann aber die Aufhebung durch das Revisionsgericht.

Im vorliegenden Fall kannten die Beteiligten – also Richter, Staatsanwalt und Verteidigung – diese Anforderungen (was nicht immer der Fall ist!). Also wurde in dem Schiebetermin ein Durchsuchungsbericht sowie das zugehörige Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokoll verlesen und damit grundsätzlich auch zur Sache verhandelt, also auf dem Weg zum Urteil voran gegangen. Das reicht grundsätzlich, auch wenn das Ganze nur acht Minuten dauert.

Trotzdem:
Hier reichte es nicht, dem BGH war die Trickserei ein bisschen viel:

Ein sachlich-nachvollziehbarer Grund, erneut in die Beweisaufnahme einzutreten, lässt sich weder dem angefochtenen Urteil oder den dienstlichen Stellungnahmen der beteiligten Berufsrichter entnehmen …

Soweit erst einmal:
Die Dreiwochenfrist ist nicht eingehalten, wenn in einem Schiebetermin nach dem Schlußvortrag der Staatsanwaltschaft erneut in die Beweisaufnahme eingetreten und nur ein relativ unwichtiges Dokument verlesen wird. Und wenn das 8-Minuten-Theaterstück dann auch noch im Hospital stattfindet, sei der Bogen überspannt. Das ist nachvollziehbar.

Spannend wird die Geschichte aber am Ende. Der BGH liefert den Praktikern einen Gedanken, der dann doch noch verhindern kann, daß der Stein in der Mitte des Sees versinkt.

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Hauptverhandlung erst an einem einzigen Sitzungstag stattgefunden hat, wäre es auch mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz noch vertretbar gewesen, die Verhandlung innerhalb kurzer Frist von neuem zu beginnen, …

Hätten also bereits mehrere Termine stattgefunden und man hätte mit demselben Steinwurf versucht, sich über die Zeit zu retten, dann sähe es doch wieder anders aus.

In der Konsequenz ist das Problem nicht eindeutig gelöst. Wenn RiAG Carsten Krumm in seinem Blogbeitrag (dem ich den Hinweis auf die Entscheidung des Gerichts entnommen habe – Danke!) tenoriert: „Schiebetermin von nur 8 Minuten ist kein echter HVT“, könnte es dann doch irgend wann ‚mal heißen: „8 Minuten reichen aus!“

Tja, der BGH, Beschl. vom 7.4.2011 – 3 StR 61/11 –, liefert einmal mehr einen Beleg für die These, daß man sich stets auf Hoher See befindet, wenn man eine Revision schreibt – egal wie schön flach die Steine sind, die man über’s Wasser wirft.

Also schieben wir in der Praxis weiter die Termine, im Einzelfall auch mal bis ins Krankenhaus.

 

1 Kommentar

Feststellungen

Die Ermittlungen wurden von einer Polizeibeamtin geführt, die – so sagt sie von sich selbst – stets gewissenhaft und sorgfältig gearbeitet hat. Sie habe sowohl Belastendes als auch Entlastendes ermittelt, sagt sie.

Sie schreibt in einem Vermerk:

Abschließend wird festgestellt, dass der Beschuldigte im vorliegenden Verfahren in insgesamt neunzehn Fällen einen Betrug begangen hat.

Das ist die schiere mit Arroganz gepaarte Ahnungslosigkeit, was das Verfahrensrecht angeht. Und wenn der Psychologe sich das genauer anschaut, findet er vielleicht auch noch Hinweise auf ein äußerst spärliches Selbstbewußtsein in dieser Passiv-Formulierung „wird festgestellt“; ist die Beamtin zu feige für ein „Ich habe festgestellt!“?

Am Ende stellte das allein dazu berechtigte Gericht etwas fest. Nämlich das, was Staatsanwaltschaft und Verteidiger unisono beantragt hatten. Freispruch aus  tatsächlichen Gründen. Der Beschuldigte hatte in keinem einzigen Fall einen Betrug begangen.

Es waren lediglich die schlampigen Ermittlungen, die zu der falschen Ansicht (sic!) der Ermittlerin geführt haben. Sie hat  – entgegen ihrer eigenen Behauptung – die Belastungen fein säuberlich eingesammelt und es der Verteidigung in der Beweisaufnahme vor Gericht überlassen, die Entlastungen vorzulegen. Eine Aufgabenteilung, die so nicht im Gesetz steht. Aber das Leben einer Polizeibeamtin wesentlich einfacher macht.

Die Dame ermittelt jetzt auch nicht mehr. Sie betreibt nun Öffentlichkeitsarbeit beim Polizeipräsidenten. Gut so, da kann man jedenfalls nichts falsch machen.

 

7 Kommentare

Der Strafverteidiger empfiehlt – 5

Heute:

Mongolen verboten

Google stört und haftet mit

Ciao PolPräs und Dresdner Bauernopfer oder die Rochade

Keiner will die 500,00 €

Grobe Geschmacksverletzung

 

Kommentare deaktiviert für Der Strafverteidiger empfiehlt – 5

Ex-Jurastudent als Jetzt-Methadon-Zombi

Mal was zum Innehalten:

Gero W. wird 1960 in Gelsenkirchen geboren. Nach dem Abitur, das er mit 2,0 besteht, geht er 1978 nach Berlin und studiert Jura.

 

Der Obdachlose from berlinfolgen on Vimeo.

Ein Film unter Mitwirkung von Plutonia Plarre von der taz.

Paßt bloß auf Euch auf, liebe Studis, die Grenzen sind fließend!

 

13 Kommentare

Der vierte Haftgrund

Das deutsche Strafprozeß-Recht kennt drei Gründe, die – neben dem Tatverdacht – Voraussetzung für den Erlaß eines Haftbefehls sind:

Fluchtgefahr – § 112 Abs. 2 Ziffern  1, 2 StPO,
Verdunklungsgefahr – § 112 Abs. 2 Ziffern  3  StPO und
Wiederholungsgefahr – § 112a StPO.

Die Realität im deutschen Strafprozeß kennt einen weiteren Haftgrund:

Die fehlende Aussage des Beschuldigten,

vorzugsweise eine Aussage in der Form eines Geständnisses und – noch besser – in der qualifizierten Form als Verrat Aufklärungshilfe (§ 46b StGB). Böse Zungen sprechen dann auch von

Aussageerpressung.

Aber soweit soll es hier nicht gehen.

Dies voraus geschickt scheint Gulli in einem prägnanten Beispiel erörtern zu wollen, wie so etwas in der Praxis aussehen kann.

Wobei ich jetzt nicht sagen will, daß der Entlassene ein Verräter sei. Nein! Wahrscheinlicher ist wohl, daß schlicht sein Nervenkostüm der massiven Belastung durch Verhaftung, Verschubung und Inhaftierung nicht standhalten konnte. Ihm ist sicherlich kein Vorwurf zu machen.

Soweit erst einmal ein erster Hinweis; ein weiteres schönes Beispiel für die Haftpraxis in diesem unseren Lande werde ich in Kürze mal skizzieren.  Hier schonmal ein kleiner Ausblick:

 

12 Kommentare

Bayern-Trojaner im Einsatz

Das bayerische Justizministerium führte bereits mehrere Online-Durchsuchungen durch. Der „Landestrojaner“ oder „Bayern-Trojaner“ wurde insgesamt fünfmal eingesetzt, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner morgen erscheinenden Printausgabe berichtet. Zwischen 2009 und 2010 gab es insgesamt fünf Online-Durchsuchungen in Augsburg, Nürnberg, München und Landshut.

Quelle: Gulli

In Bayern war man schon immer recht fortschrittlich. Oder? Aber ob die Spitzelsoft auch irgendwas Verwertbares zu Tage befördert hat, wurde bislang nicht bekannt.

 

2 Kommentare

Party bei „Berlin City“ und „Berlin Eastgate“

Geladene und ungeladene Gäste gestern auf der Rockerparty der Bandidos in Reinickendor anläßlich ihres 10. Geburtstages.

Darüber berichtet heute der Tagesspiegel. Alles und jeder wurden kontrolliert. Gefunden wurde … nichts. Aber die Polizei hat einmal mehr ein paar nette Fotos für’s Familienalbum geschossen. Man weiß ja nie, wofür man sowas mal gebrauchen kann.

Es dauert nicht mehr lange, da werden die Gäste solcher Feiern nur nach erfolgter Speichelprobe für die DNA-Datenbank aufs Festgelände gelassen.

 

4 Kommentare

Nazis verprügelt und beleidigt

Vertauschte Rollen:

Innerhalb von nur vier Tagen sind in der vergangenen Woche drei NPD-Politiker sowie ein Wahlhelfer von Unbekannten verprügelt oder beleidigt worden.

berichtet die Berliner Morgenpost.

Die Polizei vermutet Täter in der linksextremistischen Szene.

Sonst waren es doch immer die Linken, die von den Nazis verprügelt wurden. Man kann sich aber auch auf nichts mehr verlassen.

Vorsorglich:
Ich finde das auch nicht in Ordnung, auf diese Weise den Wahlkampf zu betreiben. Mein Mitleid mit den Geschädigten hält sich – entsprechend der von mir gepflegten Vorurteilen – allerdings in Grenzen.

 

11 Kommentare

Liebe Blogleser,

wenn Sie morgen, am Montag, den 27.06.2011, in diesem Blog keinen neuen Beitrag bzw. überhaupt nichts mehr lesen können, dann hat Frau Eva Herman wieder einmal Recht behalten.

Und wenn Sie mich dann suchen sollten … ich bin nebenan, bei John Watson, alias „Wonko der Verständige“. Grüßen Sie den Herrn Kollegen aus Essen von mir.

So Long, and Thanks For All the Fish.

PS:
Hier ein Hinweis an alle Überlebenden.

 

11 Kommentare