Der erste Hauptverhandlungstermin nach dem Urlaub. Es geht um § 265a StGB, Schwarzfahrt mit der U-Bahn. Die klassische Norm, gemacht für Menschen, die ohnehin im sozialen Abseits stehen.
Der Mandant ist chronisch krank, auch und gerade psychisch. Er erscheint nicht rechtzeitig zum Termin, läßt aber mitteilen, daß er etwa 45 Minuten später kommt. Der Grund für die Verspätung liegt in seiner multiplen Erkrankung.
Gegen den Mandanten wurde zuvor ein Strafbefehl erlassen, gegen den er sich mit meiner Hilfe mit einem Einspruch zur Wehr gesetzt hat. Für diese Art des Strafbefehls-Verfahrens hat der Gesetzgeber in § 411 Abs. 2 StPO geregelt:
Der Angeklagte kann sich in der Hauptverhandlung durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen.
Ich bin ein solcher Verteidiger, allerdings auch bewaffnet mit häßlichen Beweisanträgen. Der Richter hätte gern den Mandanten gesehen und möchte nicht ohne ihn verhandeln. Warten will er aber auch nicht. Deswegen fragt er die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, was sie denn beantragen möchte.
Wie aus der Pistole geschossen kam der Antrag der schneidigen Staatsanwältin: Erlaß eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO.
Das sind genau die Momente, in denen ich in den Tisch beißen möchte, um zu verhindern, daß mir (!) Schlimmeres passiert. Die Staatsanwaltschaft als objektive Behörde wird wissen, daß der Erlaß eines Haftbefehls in dieser Konstellation nicht vorgesehen ist. Die Staatsanwältin als (Sitzungs-)Vertreterin dieser Behörde wußte es nicht.
Der sinn-lose (sic!) Reflex dieser Strafverfolgerin zeigt einmal wieder sehr deutlich, wie in der Justiz gearbeitet wird. Und welche Einstellung manche Staatsanwälte zu ihren Mitmenschen haben, die in ihrem Leben nicht auf Rosen gebettet sind. Im besten Falle war es nur Inkompetenz oder schlicht eine Gedankenlosigkeit der Frau Staatsanwältin.
Ich freue mich auf meinen nächsten Urlaub …
Was soll Ihnen passieren? Zahnfleischbluten oder eine Anzeige wegen Beleidigung, Meldung Ihrer Antwort auf den Antrag an die Kammer? Wie ging das ganze denn aus?
Wie verlief die Verhandlung denn weiter?
Eventuell mit einer Belehrung zur Rechtslage durch Sie und einem hochroten Kopf der Sitzungsvertreterin?
War diese Sitzungsvertreterin vielleicht eine Referendarin oder eine junge Amtsanwältin, der man einen solchen „Anfängerfehler“ verzeihen könnte?
Wie häufig muss bei dem Verkehrsbetrieb „Schwarzfahren“ bis Strafantrag gestellt wird? Wie häufig muss man denn bei diesem Gericht und Staatsanwaltschaft „Schwarzfahren“ bis ermittelt wird und ein Strafbefehl ergeht?
Wie ich jüngst selbst bei einem Mandanten erleben durfte reicht es in Berlin auch schon einmal ein einziges Mal erwischt zu werden – aber vielleicht gilt das auch nur für Ausländer…
M-G spricht ja bloß davon, dass der Erlass eines Haftbefehls in der Regel unverhältnismäßig sein wird. Mit den Formulierungen „nicht vorgesehen“ und „inkompetent“ gehen Sie vielleicht ein bisschen zu hart mit der Sitzungsvertreterin ins Gericht.
Ja, das klingt nachvollziehbar.
Es läßt darauf schliessen, wie in der Justiz abgeurteilt und abgewickelt wird. Es sieht für mich vertraut aus. So gehen sie gern um da!
1) Mich wundert immer wieder, dass – zumindest vom Aussehen her – die Staatsanwaltschaft irgendwelche Azubis schickt, wobei ich natürlich nichts zum konkreten Fall sagen kann. Allerdings ist das für einen anwaltlich vertretenen Angeklagten nützlich :-)
2) Wie ging es weiter?
Die Staatsanwaltschaft schickt keine Azubis, sondern – und das ist den Eingeweihten, auch dem Verfasser des Blogeintrags, bekannt – u.U. Referendare. Oder, wie ebenfalls in den Kommentaren erwähnt, neu eingestellte Amtsanwälte. Und dass diese auch mal falsche Anträge stellen, ist auch hinlänglich bekannt. Folglich müsste man sich dafür einsetzen, dass die StAen ihre Praxis ändern bzw. für eine Änderung des GVG eintreten. Einfacher Sachverhalt. Einfache Abhilfe. Nüchterne Betrachtung. Der Tisch kann nichts dafür.
Und man sollte einen Referendar als Sitzungsvertreter bei solchen Kleinstdelikten auch nicht müde belächeln, er entscheidet nämlich allein ob er einer Einstellung zustimmt oder nicht
@ Horst
Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls liegen doch schon ganz offensichtlich nicht vor, da er nicht zum persönlichen Erscheinen verpflichtet ist und durch einen Verteidiger vertreten wird (§§ 411 (2), 412 erster Halbsatz StPO).
@Referendar LL.M
Die Ausbildung der Referendarinnen und Referendare erfolgt in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis (§ 10 Abs. 1 S. 2 JAG vom 23. Juni 2003, GVBl. S 232).
…und sie sind doch Azubis.
@carl
vgl. insoweit folgenden Link, den Absatz „Nationale Regelungen, Deutschland“
http://de.wikipedia.org/wiki/Lehrling
Zitat von dort:“ Auszubildende erhalten eine […] Ausbildungsvergütung“.
Dann wäre das ja quasi bundeslandabhängig, ob der Referendar Azubi oder nicht wäre. Überwiegend bekommen Referendare nämlich nur eine sogenannte „Unterhaltsbeihilfe“. Diese stellt gerade keine Ausbildungsvergütung dar.
Im Übrigen wird der Azubi im Allgemeinen auch im Gesetz als solcher bezeichnet, vgl. z.B. BBiG. Dies ist bei Referendaren gerade nicht der Fall, vgl. GVG, JAG im Übrigen etc.
http://www.taz.de/Fakten-Check-zur-Idee-der-Piraten/!80217/
– wenn man jetzt die Kosten für die Strafverfahren einrechnet, dazu die Einsparungen im Justizvollzug – was macht das wohl aus?
„Die klassische Norm, gemacht für Menschen, die ohnehin im sozialen Abseits stehen.“
Ja, sollte man abschaffen. Wer kein Geld hat, der braucht auch nicht bezahlen. Das wäre besser.
Im Supermarkt sollten diese Leute dann aber bitte auch kostenlos mitnehmen dürfen, was sie brauchen. Gesetze gegen Diebstahl sind nämlich auch nur Normen, die sich gegen Menschen im sozialen Abseits richten.
Nur beim Anwalt gilt: Hauptsache der Vorschuss stimmt. Kann ja nicht sein, daß Leute aus dem sozialen Abseits eine Leistung ohne Zahlung haben wollen.
Ups.
[…] Blogbeitrag: Dieses fängt ja gut an […]