In Strafsachen ist das Rechtsmittel gegen ein (erstinstanzliches) Urteil des Landgerichts die „Revision“. Erhebt der Angeklagte, also der Verurteilte, oder die Staatsanwaltschaft diese Revision, muß der Bundesgerichtshof (BGH) darüber entscheiden. Das Spiel findet also nicht gerade in der Kreisklasse statt, man hat es mit richtigen Profis zu tun. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die Spieler.
Die ehrenwerten Richter am Bundesgerichtshof hören sich aber nun nicht mehr die ganzen Zeugen oder Sachverständigen noch einmal an. Sie beschränken sich auf das Wesentliche. Und das sind zwei Dinge – nämlich das schriftliche Urteil und das Protokoll der Hauptverhandlung vor dem Landgericht. Mehr braucht und will der BGH nicht.
Wenn nun dem Angeklagten das Urteil des Landgerichts nicht gefällt, das der Vorsitzende Richter am Ende der Verhandlung mündlich verkündet hat, darf er sich exakt eine Woche Zeit nehmen, um dies dem Gericht mitzuteilen. Dazu reicht ein einfacher Satz, etwa: „Gegen das Urteil erhebe ich Revision.“ Wenn diese sechs Worte dann beim Gericht rechtzeitig – also binnen Wochenfrist – ankommen, wissen die Richter, jetzt müssen sie sehr sorgfältig arbeiten.
Das Ergebnis dieser Arbeit ist dann das schriftliche Urteil. Sobald dieses Urteil dem Verurteilten zugestellt wurde, beginnt eine neue Frist zu laufen. Er hat nun einen Monat Zeit, diese Revision zu begründen. Und damit das auch mit der Begründung klappt, braucht der Verteidiger des Verurteilten nicht nur das Urteil, sondern auch noch das Sitzungsprotokoll.
Dieses Protokoll rückt das Gericht aber nicht freiwillig heraus, sondern nur auf Antrag. Stellt der Verteidiger den Antrag auf überlassung einer Protokollabschrift zu spät, läuft ihm die Zeit weg. Die Monatsfrist, innerhalb der er die Revision begründen muß, läßt sich nicht anhalten oder verlängern. Frei nach Wilhelm Busch:
Eins, zwei, drei, im Sauseschritt,
es läuft die Frist, wir laufen mit,
Dann gibt es aber noch einen weiteren Grund, weshalb die Zeit eng werden könnte: Das Gericht trödelt herum. Meist aus Gründen der Überforderung, manchmal (wesentlich seltener!) aber auch aus Böswilligkeit. Dann muß der Verteidiger sich um das Feuer kümmern, das er unter die gerichtlichen Hinterteile legen wird.
Mit ein wenig Routine geht das aber alles in der Regel recht geschmeidig über die Bühne. Insbesondere dann, wenn die Verhandlung nur ein paar Stunden gedauert hat, das Urteil wenige Seiten umfaßt und das Sitzungsprotokoll auf eine Postkarte paßt.
Nun gibt es aber auch Verhandlungen, die ein wenig umfangreicher sind: Über 120 Hauptverhandlungstermine, in denen eine hohe zweistellige Anzahl an Zeugen gehört wurden, zig Anträge gestellt wurden und reichlich Sachverständige kluge Gutachten erstattet haben. Da hat das Urteil schon einmal den Umfang eines Fortsetzungsromans.
Und nicht nur das Urteil, sondern auch das Sitzungsprotokoll wird keine Kurzgeschichte sein. Wenn nun das Gericht mit der Übersendung diese Protokolls zögert – aus welchen Gründen auch immer – dann hat der Revisions-Verteidiger ein Problem. Und das wissen die Vorsitzenden der Strafkammern beim Landgericht.
Ich habe Richter erlebt, die sich quasi nur unter Androhung von Waffengewalt dazu veranlaßt sahen, das Protokoll herauszurücken. Es wird von Verteidigern berichtet, die sich quer vor das Richterzimmer gelegt haben und erst aufstehen wollten, nachdem man ihnen das Protokoll ausgehändigt hat.
Vorbildlich und erwähnenswert ist aber diese Mitteilung eines Strafkammervorsitzenden:
Obwohl das Gericht weiß, daß diese Revision nicht auf einem Ponyhof entschieden wird, gibt man dem Verurteilten und seinem Verteidiger alle Möglichkeiten für eine faire Auseinandersetzung.
Dafür sei dem Vorsitzenden ausdrücklich gedankt – auch wenn es sich eigentlich um eine Selbstverständlichkeit handelt.
Wissen Sie, warum manche Gerichte so damit zögern, das Protokoll herauszurücken? Fertig muss es ja sein (§ 273 Abs. 4 StPO). Was kann deren Motivation sein, sich so zu verhalten?
Sauerei, dass das überhaupt möglich ist. Vielleicht sollte man genannten Paragraphen umformulieren, dass Fertigstellung allein nicht ausreicht.
Womit wir beim Problem Gesetzgeber wären …
Gibt es eigendlich eine Frist für die Erstellung des schriftlichen Urteils, nachdem Revison gefordert wurde?
@zingo:
§ 275 I 2 StPO (unabhängig von der Revision)
Es sind diese Vorschriften, die unser Rechtssystem so lächerlich und zugleich eines Rechtsstastes unwürdig machen.
Ein Protokoll, das unmittelbar nach Sitzungsende nicht fertiggestellt ist, verdient den Namen nicht.
Ein Protokoll, in dem nichts von Relevanz (bsp. Der Zeuge xy sagte zur Sache aus, nicht etwa „er erkannte den Angeklagten“) steht, verdient diesen Namen auch nicht.
Das Richter am LG und OLG in der Lage sind, ein revisionssicheres Urteil zu schreiben und Richter am BGH ein „gerechtes“ Urteil gegen jeden Revisionsangriff zu bestätigen, ist doch ein ungeschriebenes Gesetz.
Wozu also die Aufregung?
Wenn man weiss, wie lange das Gericht Zeit hat, ein schriftliches Urteil zu formulieren und wie hoch die Pflichtverteidigervergütung für die Revisionsbegründung ist, dann weiß man auch eine Menge über die Waffengleichheit in unserem Rechtsstaat, ungefähr Porsche gegen Rollator, wobei die Porschefahrer die sind, die über Überlastung klagen.
btw. Wie stellen die Götter eigentlich sicher, dass der Berichterstatter das Urteil revisionsfest schreibt, wenn er bei der Abstimmung (oh,oh Bereatungsgeheimnis) überstimmt wurde?
Wo wir schon beim Thema Revision sind … könnte mir als Nicht-Jurist mal bitte erklären (wenn’s geht ohne allzuviel Juristen-Deutsch), was es mit dem so oft gelesenen Satz „Eine Revision wurde nicht zugelassen“ auf sich hat?
Kann denn nicht jedes Urteil von Instanzen unterhalb der obersten Gerichte durch eine Revision durch die nächsthöhere Instanz überprüft werden?
Was sind die Voraussetzungen dafür, dass ein Gericht sagen kann, für dieses eine Urteil lassen wir keine Revision zu?
*Kopfkratz*
Bei manchen vielzitierten K.omikern in Moabit läuft das dann so ab:
„haben Sie sich ja, wie ich entsprechenden Vermerken der hiesigen Geschäftsstelle entnehme, die Akteneinsicht unter Umgehung der vorherigen richterlichen Genehmigung eigenmächtig bei den Damen der Urteilskanzlei verschafft.
Wie dieser Vorgang rechtlich zu bewerten ist, Wird sicher noch zu prüfen sein.“
Es wurde dann später vom KG beurteilt. Mit Urteilsaufhebung und Backenfutter für den K.omiker…;-)
@Matthias: Vermutlich haben Sie noch nicht ein Protokoll aus einem mehrtägigen (-monatigen) Verfahren gesehen, in dem x Besetzungsrügen, Anträge auf wörtliche Protokollierung, Anträge auf Gerichtsentscheidung, Beschlüsse, Ablehnungen, Beweisanträge etc. gelaufen sind. Da krakelt der Vorsitzende nicht einfach erleichtert nach der Urteilsverkündung mal seine Unterschrift drunter, sondern sieht auch nach, ob z.B. Alles, was als „Anlage zu Protokoll“ genommen wurde, auch tatsächlich dabei ist, in der richtigen Reihenfolge, die Beschlüsse, die Entscheidungen der Vertreterkammer bei Ablehnungen etc, die Beteiligten an der HV (z.B. bei Verteidigerwechsel, Staatsanwaltswechsel), die Sitzungsdaten richtig und vollständig sind oder prüft auch Tippfehler bei den Daten von verlesenen Urkunden etc.
Abgesehen davon, dass auch bei den popeligen Amtsgerichtsprotokollen manche Richter (gibt es wirklich!) durchaus mal nachsehen, ob denn Namen richtig geschrieben sínd, Zahlendreher oder Tippfehler zu korrigieren sind.
Und „die Götter“ prüfen das Urteil des widerborstigen Berichterstatters auf Revisionsfestigkeit durch den Vorsitzenden und ggf. den weiteren Beisitzer. Es soll Kammern geben, in denen der weitere Beisitzer nicht nur dabeisitzt, sondern auch durchliest, was er unterschreiben soll.
@mainefrage
Das hört sich ja an wie das Märchen vom edlen, unfehlbaren Richter.
Ach nee, das ist hier ja Realität.
@Mathias:
Schön, dass Sie sich in der Realität so gut auskennen. Selbst Herrn Hoenig kommt ja gelegentlich so eine märchenhafte Rarität unter, wie sein Ausgangsbeitrag zeigt.
@ Jens
Es gibt zwei verschiedene Rechtsmittel gegen Urteile. Die Revision und die Berufung.
Bei der Berufung werden Tatsachen sowie die Rechtsanwendung nachgeprüft. Im Zivilrecht ist die Tatsachenprüfung dabei meist nur eingeschränkt möglich während im Strafverfahren ein komplett neuer Prozess stattfindet. Sie ist im Zivilverfahren nahezu immer statthaft und im Strafverfahren gegen Urteile des Amtsgerichts.
Mit der Revision können nur Rechtsfehler gerügt werden, was allerdings eine inhaltlich unzureichende Beweiswürdigung einschließt, so dass man sich zumindest in gewissen Grenzen auch gegen Tatsachenfeststellungen wehren kann. Sie ist im Strafverfahren immer zulässig, während im Zivilverfahren eine Zulassung entweder durch das Berufungsgericht oder das Revisionsgericht erfolgen muss.
Im Ergebnis kann man sich also gegen nahezu jedes Urteil zumindest mit einem Rechtsmittel wehren. Ausnahmen sind nur Urteile in denen Ordnungswidrigkeiten festgestellt werden oder Urteile mit geringem Streitwert. Hier muss auch für das erste Rechtsmittel eine Zulassung erfolgen. Auch hier gibt es aber Rettungsanker: Notfalls kann man sich noch mit der Anhörungsrüge oder der Verfassungsbeschwerde wehren.
@Andreas
Und das alles, ohne einen einzigen lateinischen Ausdruck :-)
Vielen Dank!