Der Brief des Richters an den Verteidiger

Auf der Mailing-Liste der Rechtsanwälte reklamierte ein junger Kollege das Schreiben eines Richters in einer Bußgeldsache. Der Verteidiger hatte ergänzende Akteneinsicht beantragt und daraufhin Post vom Bußgeldrichter erhalten:

… dass sich die Akte seit der letzten Akteneinsicht nicht wesentlich verändert hat. Einer neuerlichen Akteneinsicht bedarf es daher nicht.

Der Kollege argwöhnte, der Richter verweigere ihm zu Unrecht die Akteneinsicht, und er machte sich Gedanken, wie er am besten die Interessen seines Mandanten durchsetzen könne. Dazu befragte er die Schwarm-Intelligenz der Anwaltsliste:

Reicht das für einen Ablehnungsantrag aus? Seit wann entscheidet denn der Richter, ob und wann eine Akteneinsicht erforderlich ist??

Da ich mich nun seit vielen, langen Jahren auch auf den Fluren der Bußgeldgerichte herumgetrieben habe, wollte ich dem Kollegen ein wenig weiterhelfen:

Die Verkehrsrichter sind manchmal ungewollt etwas ruppig; wenn ich als Richter so einen Mist permanent bearbeiten müßte, wäre ich es wohl auch.

Was Ihnen der Richter eigentlich mitteilen wollte … ich übersetze es mal:

Lieber Verteidiger, lieber Kollege,

ich weiß, daß es für uns beide eine ganze Menge schöne Beschäftigungen gibt, denen wir viel lieber nachgehen würden, als uns über dieses bedeutungslose Zeug zu streiten. Zum Beispiel ein Biergarten- oder Baggerseebesuch. Leider muß ich hier in diesem vorsintflutlichen Amtsgericht meine Brötchen verdienen und kann nicht mit Ihnen gemeinsam den sonnigen Nachmittag verbringen.

Aber damit wenigsten *Sie* die Gelegenheit haben, sich ein Eis zu kaufen und sich in den Park zu setzen, möchte ich Ihnen mitteilen, daß sich seit Ihrer letzten Akteneinsicht nichts Relevantes getan hat. An meinen langweiligen Dezernatsverfügungen haben Sie ganz bestimmt kein Interesse.

Vergessen Sie die doofe Akte und gehen Sie mit Ihrer Mitarbeiterin ins Kino oder so. Denken Sie dabei an mich armen Schlucker, der hier im Altbau an einem Plastiktisch vor sich hinbrüten muß.

Ich wünsche Ihnen eine entspannte Zeit und freue mich, Sie demnächst in der Hauptverhandlung begrüßen zu dürfen. Wenn der Termin nach Ihrem ausfällt, haben wir vielleicht Gelegenheit für eine Tasse Caffè beim Italiener gegenüber.

Bis bald und freundliche, kollegiale Grüße
Ihr auf Ihren Job neidischer Kollege, Richter am Amtsgericht.

Liebe mitlesende Ordnungswidrigkeitenrichter, liege ich mit meiner Übersetzung nicht richtig? :-)

 

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Strafverteidiger veröffentlicht.

13 Antworten auf Der Brief des Richters an den Verteidiger

  1. 1
    doppelfish says:

    Wie ist das, bekommt der Mandant dann auch ein Eis?

  2. 2
    Ernst says:

    d’accord. Schade, dass es das nicht als Formular OWi77a gibt.
    (Aber: fehlt da nicht nach “Ihrem“ ein “Geschmack“?)

  3. 3
    klabauter says:

    Muss ein OWi-Richter wirklich einen OWi-Anwalt beneiden, den sein Mandant ggf. abends und am Wochenende mit Anrufen nervt,ob er denn schon dies und das und jenes getan hat?
    Angeblich ist doch die Rendite bei OWi-Mandaten nicht die beste?

      Erstaunlich, Ihr Mut, öffentlich wiederholt über Sachen zu reden, von denen Sie erkennbar keine Ahnung haben. Und verdammt humorlos scheinen Sie auch noch zu sein, oder? crh

  4. 4
    Herr T. says:

    Der gemeine deutsche OWi-Richter trinkt Kaffee, nicht Caffè – selbst beim Italiener gegenüber.

      Ja, da haben Sie auch wieder Recht. :-) crh

  5. 5

    ok. ich verstehe auch nie, warum man eigentlich immer gleich nach der Ablehnung ruft/schielt :-)

  6. 6
    Burschel says:

    Als OWi-Richter a.D. kann ich sagen, dass Sie die Gedankengänge des Kollegen (mit Ausnahme des Neides) durchaus zutreffend interpretiert haben.
    Der Owi-Richter empfindet für den Owi-Anwalt zumeist Mitleid (mit Betonung auf Mit). Das gemeinsame Sinnieren über die Feinheiten der Berechnung einer Anhängerstützlast führt fast zwangsläufig zur Solidarisierung

  7. 7
    Alexandra Braun says:

    In einer kleinen Sache sagte mir der Staatsanwalt am Mittwoch am Telefon: „Wissen Sie, Sie hätten doch auch lieber ein feines Mandat mit Mord und Totschlag und nicht so einen Mist. Geht mir auch so. Ich wollte die Sache einstellen, wie sieht´s aus?“

  8. 8
    egal says:

    Ordnungswidrigkeiten sind durchaus lukrativ, wenn man oftmals den geringeren Arbeits- und Zeit-Aufwand mitberücksichtigt. Denn oftmals steigt man ja schon beim Bußgeldbescheid direkt ein und kann dann auch schon das Wirken bei der Verwaltungsbehörde mitberechnen. Das Auftreten beim Amtsgericht schließt sich da ja oftmals fast automatisch an, so dass man auf gut 400 Euro kommt (wenn man nach RVG) abrechnet.

    Dazu kommt natürlich, dass der Druck beim Mandanten in Verkehrssachen üblicherweise recht hoch ist und in Verkehrssachen fast immer ne RSV zahlt.

    Wenn man das mit einem ausufernden Strafverfahren, das über Monate geht und am Ende – zumindest nach RVG – auch nicht viel mehr Gebühren bringt, vergleicht, ist das schon recht profitabel für den Anwalt.

  9. 9
    Dante says:

    Ich würde die Neidkomponente aus dem Schreiben streicht, sonst stimmt’s.

    Allerdings verstehe ich auch das Misstrauen Ihres Anwaltskollegen. Raten Sie ihm doch einfach, nochmal anzufragen, er wolle sich selbst überzeugen.

    Er wird die AE sicher bekommen.

  10. 10
    Hans says:

    OWis machen Spaß und sind finanziell lukrativ. Das für den Spaß gilt zwar selten für Verkehrs-OWis, wohl aber für die spannende Gebiete des Umwelt- oder Jagdrechts. Bei letzterem sind schon die Einlassungen des Mandanten jeden Cent wert:

    „Als das Tier in der Morgendämmerung auf die Lichtung trat, sprach ich es als 12-Ender an. Wie sich herausstellte, handelte es sich aber um die Kuh von Bauer Piepenbrink, bei dem ich mich herzlich für seinen Verlust entschuldigen möchte.“

    Oder:

    „Es ist richtig, daß ich nur eine Abschußgenehmigung für einen Rehbock hatte. Daß es sich bei dem erlegten Tier um einen kapitalen 24-Ender handelte, war im Zwielicht nicht zu erkennen. Die der Einziehung unterliegende Trophäe ist mir leider auf unbekanntem Weg abhanden gekommen.“ (Subtext: Bitte durchsuchen Sie nicht die Scheune meines Schwagers)

    Was meinen Sie, was so ein Waidmann bereit ist, Ihnen an Honorar zu zahlen, wenn Sie es schaffen, ihm seine Jagdlizenz zu erhalten…

  11. 11
    JLloyd says:

    „An meinen langweiligen Dezernatsverfügungen haben Sie ganz bestimmt kein Interesse.“ So ungern ich die hiesige Harmonie durchbreche: Auch aus den Dezernatsverfügungen bzw. deren zeitlicher Abfolge lassen sich u.U. relevante Schlüsse ziehen.

  12. 12
    Metallkopf says:

    Hihi, ein Jägersmann, der in dieser Art seine eigene Unfähigkeit, aus der Dickung tretendes Wild anzusprechen, dokumentiert wie in diesen beiden Einlassungen, der verdient es eigentlich ja, die Büchse ein paar Jahre lang an den Nagel zu hängen.

    „Das ist des Waidmanns oberstes Gebot: Was Du nicht klar erkennen kannst, das schieße auch nicht tot!“

  13. 13
    Tourix says:

    Naja, der Waidmann ist halt immer auf Trophäenjagd.
    Aber es gibt unter den Jägern schon ein paar ausgesprochene Urrumpel.