Der Commodore 64 und die Talionsformel

Der Student Majid Movahedi hatte sich in Ameneh Bahrami verliebt. Sie aber nicht in ihn. Im November 2004 griff er sie mit Schwefelsäure an. Der Anschlag hatte Gesicht und Körper der Iranerin verstümmelt und sie das Augenlicht gekostet, weil sie seine Gefühle zurückgewiesen hatte.

Das Ganze hatte ein juristisches Nachspiel, in dem sich Strafrichter den Fall anschauten. Für so etwas gibt Spielregeln, also Gesetz und Recht, an die auch im Iran die Richter gebunden sind. Allerdings gibt es in jenem iranischen Gottestaat andere Gesetze, es gilt anderes Recht, wie in unseren Breiten.

Laut islamischen Gesetzen gibt es das „Auge-um-Auge“-Prinzip, das dem Opfer erlaubt, dem Täter das gleiche Leiden zuzufügen.

schreibt die Süddeutsche

Dieses Prinzip – zutreffend als Talionsformel bezeichnet – war einmal ein Fortschritt in der Geschichte des Rechts:

Nach überwiegender rabbinischer und historisch-kritischer Auffassung verlangte die sogenannte Talionsformel (von lateinisch talio: Vergeltung) einen angemessenen Schadensersatz in allen Fällen von Körperverletzung vom Täter, um die im Alten Orient verbreitete Blutrache einzudämmen und durch eine Verhältnismäßigkeit von Vergehen und Strafe abzulösen.

kann man in Wikipedia nachlesen.

Vor der Einführung des Rechtssatzes:

„… so sollst du geben Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme.“

ging es also noch einen Zacken härter zu. Das war aber mit dem Ende des Mittelalters und dem Beginn der Neuzeit erledigt. Die Menschheit entwickelte sich weiter.

Jedenfalls in vielen Teilen der Welt. Leider nicht überall. Und es gibt Länder bzw. Kulturen, die eine umgekehrte Entwicklung beschreiben, nachdem sie einmal ein gewisses humanes Niveau erreicht hatten:

Möglich wird diese grausame Körperstrafe durch die vom Islam aus dem altarabischen Stammesrecht übernommene Praxis der Blutrache, Qissas genannt, was wörtlich Vergeltung oder Züchtigung heißt. 1982 wurde sie ins iranische Strafrecht übernommen. Danach darf eine vorsätzliche Körperverletzung oder ein Mord gerächt werden durch eine gleichartige Verwundung beziehungsweise durch die Tötung des Täters.

hält Martin Gehlen in „Der Westen“ fest.

Im September 1982 kommt der erste Commodore 64 auf den Markt. Und das Mullah Regime in Teheran schafft die wenigen Menschenrechte ab, die sich bis dahin auch in Persien entwickelt hatten.

Das war jedoch nicht der Endpunkt der rückwärts gerichteten Entwicklung dieser Kultur: 2007 wird die öffentliche Steinigung wieder eingeführt.

Der heutige Samstag ist der Tag, an dem die Geschädigte die Augen des Täters mit Säure verätzen darf. Ganz legal, nach Recht und Gesetz.

Dieser Beitrag wurde unter Philosophisches, Strafrecht veröffentlicht.

20 Antworten auf Der Commodore 64 und die Talionsformel

  1. 1
    Johannes says:

    Sie haben mit Ihrer Kritik völlig recht. Ich kann mich Ihren Ausführungen nur anschliessen.

    Seltsamerweise, und da muss ich mir an die eigene Nase fassen: Mitleid mit dem Täter möchte sich nicht so recht einstellen. Komisch.

  2. 2
    Mops says:

    Sehr geehrter Herr Hönig,
    Sie haben da noch was vergessen – denn der Irrsinn geht ja noch weiter:
    „Nach der Scharia, so erzählt die Iranerin unlängst einer spanischen Zeitung, „sind zwei Augen einer Frau nur eins eines Mannes wert“. Man sagt ihr, dass sie umgerechnet noch 20000 Euro zuzahlen muss, wenn sie auch das zweite Auge ihres Peinigers wolle. Letztendlich kommt es zu einem Vergleich, weil Mowahedi ihr noch Schmerzensgeld schuldet. Bahrami bekommt so auch das zweite Auge zugesprochen.“
    Es können einem doch nur die Menschen leid tun die in einer solchen Rechtsordnung leben müssen.

  3. 3
    Auke says:

    Man sollte bei der Unmenschlichkeit der Strafe auch auch beachten, dass der Täter zusätzlich zu 12 Jahren Haft und 130.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt wurde.

    Das Rechtssystem verkennt das nicht vollständig, die Richter baten das Opfer darum, die Strafe nicht zu „vollstrecken“. Vermutlich wurde deswegen die Vollstreckung des Urteils jetzt doch noch kurzfristig verschoben.

  4. 4
    Trulla says:

    Es wird behauptet, dass dieses Urteil schon jetzt dazu geführt hat, dass die Gewalt gegenüber Frauen im Iran nachgelassen hat. Früher waren solche Verstümmelungen an Frauen gang und gäbe. Insofern hat sich die Rechtslage und auch der Status der Frauen im Iran deutlich verbessert. Dass es sich nicht um einen Rechtsstaat nach westlichem „Vorbild“ handelt, kann man kritisieren. Es ist wichtig, ein neues Rechtsverständnis zu entwickeln. Es benötigt aber Zeit, ein neues Rechtsverständnis in der Bevölkerung zu verankern. Die Frau, der das Recht zugesprochen wurde, die Augen des Mannes zu verätzen, der ihr das gleiche angetan hat, hatte die Wahl gehabt zwischen einer Kompensation in Form von Geld, das nicht bei ihr ankommen würde (Da die Familie des Täters nicht über genügend Mittel zur Komensation verfügte) oder ein Exempel zu statuieren. Dieses Urteil sorgt dafür, dass Frauen im Iran kein Freiwild mehr sind – und damit wird eine Gleichstellung von Frau und Mann wohl eher erreicht, als wenn sich die Familie des Täters hätte freikaufen können. Ich weiß, dass meine Schlussfolgerung nicht von allen hier geteilt wird – insofern bitte ich dies als eine andere Sichtweise zu akzeptieren. In einem Rechtsstaat nach westlichem Vorbild wäre eine Kompensation in dieser Form nicht legitim.

  5. 5
    Tourix says:

    Von einer Weiterentwicklung seit Mittelalter und beginn der Neuzeit zu sprechen, wird der Sache nicht ganz gerecht.
    Man konnte es sich früher schlicht und einfach nicht erlauben, Straftäter durchzufüttern. Wo doch die meisten „normalen“ Menschen regelmäßig unter Hungersnot und Missernten zu leiden hatten.
    Diebstahl war nicht einfach nur Wegnahme von Besitz, sondern es war existenzbedrohend.
    In eben diesen Kontext muss man die früheren harten Strafen sehen.
    Seit dem zweiten Weltkrieg sind die Ernten 14fach ergiebiger als früher und dementsprechend können wir uns eine humanere Gerichtsbarkeit erlauben.
    Es ist ziemlich peinlich, wenn trotz dieser Entwicklung Staaten zu historischen Bestrafungen zurückkehren.

  6. 6
    Tourix says:

    Korrektur:
    Seit dem zweiten Weltkrieg wurde die Ergiebigkeit der Ernten um das 14fache gesteigert.

  7. 7
    mad twatter says:

    Wieso sind Sie so intolerant mit Ihrem westlichen Rechtschauvinismus? Sollten wir uns nicht vielmehr über die Vielfalt freuen, die auf der Welt herrscht?

    Mal im Ernst: Was Sie hier propagieren lässt sich durchaus als westlicher Werteexport bezeichnen. Ihnen muss klar sein, dass Sie dafür aus manchen politischen Parteien ausgeschlossen würden. Auch wenn Sie nur fordern, dass diese Werte hier bei uns kompromisslos eingehalten werden.

  8. 8
    budweiser says:

    ich finde die Idee gut.

    Wenn man ein Verbrechen begeht überlegt man es sich vielleicht noch einmal, wenn einem selbst das gleiche Schicksal droht….

  9. 9
    DerSchuki says:

    Und hier in DE ging die Panik unter den Taxifahrern um, weil der Taximörder floh. Bei einem Freigang unter Bäumen und Blümchen.

    Strafe muss weh tun, ansonsten wirkt es nicht. Egal ob man 1 oder 15 Jahre im Knast sitzt.
    Resozialisierung… süßes Wort. Auch wenn das, was da gerade im Iran geschieht für uns schrecklich erscheinen mag, aber der Typ wird nie wieder auf die Idee kommen einer Frau auch nur ein Haar zu krümmen.

  10. 10
    Verkehrsteilnehmer says:

    Auf dem Deutschlandfunk kam eben ein Beitrag dazu.

    Das Urteil wurde auch aus Gründen der Abschreckung so beschlossen. Der Frau wurde für einen Verzicht auf die Vergeltung mehrfach sehr viel Geld angeboten.
    Auch der oberste iranische Justizchef hat sie persönlich gebeten auf die Vollstreckung zu verzichten und zwar aus Angst um das internationale Ansehen.

    Zu hören war unter anderem Frau Ameneh Bahrami im O-Ton:

    „Nur wenn ich weiß, dass eine Aussetzung der Vollstreckung mehr bewirken könnte, würde ich auf sie verzichten. Denn man kann nicht alles mit Gewalt erreichen. Heute bin ich aber der Ansicht mit der Vollstreckung könnte ich mehr erreichen.“

    Die Aussetzung des Vollzugs würde also dem äußeren Ansehen des Iraks, vor allem vor den westlichen Ländern, dienen – die Vollstreckung würde den Rechten der Frauen im Iran dienen.

  11. 11
    egal says:

    Ich denke, an ihrer Stelle würde ich auch nicht anders handeln wollen. Die Strafe mag sich sehr hart anfühlen, wenn man den Vergleich etwa zum deutschen Strafrecht sieht (Tagessätze/Absitzen).

    Aber man darf auch nicht vergessen, dass dieser Mann die Frau gesellschaftlich getötet hat. Man muss das so deutlich formulieren.

    Im Iran leben solche Verstümmlungsopfer noch schlimmer als sie in einer westlichen Gesellschaft lebten. Dazu kommt, dass solche Frauen auch nur selten eine Unterstützung bekommen werden, vom Staat nicht, von den Nachbarn nicht, usw. An Arbeit oder gar Selbstverwirklichung ist auch nicht zu denken.

    Da kann man sich schon mal fragen, was das Leben eines Menschens danach noch wert ist.

    Und all das wollte der Täter ja. Das war seine Absicht sogar.

    Von daher kann man hier sicherlich nicht von einer zu harten Strafe sprechen. Dem Talionsprinzip wohnt doch immer noch eine gewisse Form von Gerechtigkeit und Ausgleich inne, die man oftmals bei den Entscheidungen deutscher Strafrichter vermissen lässt.

    Sicherlich ist diese Form der Bestrafung nicht in unserer Gesellschaft akzeptabel und glücklicherweise gibt es diese massiven Verstümmelungstaten hier in Deutschland nur sehr selten. Dennoch muss man sich fragen, ob man (zumindest im Erwachsenenstrafrecht) mit den jetzigen beiden Hauptstrafen wirklich noch die Menschen erreichen kann.

    Geldstrafen schrecken viele nicht ab, insbesondere diejenigen nicht, die eh kein Geld haben (so würde ich das beim o.g. Täter auch vermuten) und Haftstrafen bringen dem schwerst Geschädigten am Ende doch auch kaum eine Befriedigung.

    In dem o.g. Fall wäre der Täter nach x Jahren also wieder frei und könnte dann sein Leben wieder frei gestalten; das Opfer lebt hingegen in Scham, Armut und Leid. Wie kann denn bei einem solchen Ergebnis eine Haftstrafe (ggf. in Kombination mit Geldstrafe) eine tatsächlich gerechte Strafe sein?

  12. 12
  13. 13
    Scharnold Warzenegger says:

    Es ist durchaus gerecht, wenn das Opfer über die Strafe entscheidet oder Vergeltung übt; sofern die Strafe nicht höher ist, als das, was dem Opfer angetan wurde.

    Es entspricht nur nicht den hiesigen Werten.

  14. 14
    Advocatus diaboli says:

    Wer in einem Rechtssystem, das solche Strafen vorsieht (ob man sie nun für angemessen hält oder nicht), Straftaten begeht, kennt das Risiko, das er eingeht. Und zudem: In den USA befördert die Justiz Menschen regelmäßig vom Leben zum Tode. Gibt es da jeweils weltweite Proteste?

  15. 15
    Tourix says:

    In der USA frönt man imer noch in einigen Staaten den alten Vergeltungsprinzipien.
    Aber ist die USa dadurch sicherer ?
    Absolut NEIN !

  16. 16
    Mr.Joe says:

    Ich bin selbst ein Gegner dieser Blendung und schätze die Menschenrechte hoch ein.

    Solange allerdings westliche zivilisierte Staaten wie die USA die Todesstrafe praktizieren, sollten wir mit unserer Bewertung des „Auge um Auge“-Prinzips vorsichtig sein und nicht über das Wertesystems einer völlig anderen Kultur urteilen.

  17. 17
    Scharnold Warzenegger says:

    Was soll der unsinnige Vergleich mit den USA? Das dortige Justizsystem hat mit dem des Iran ja wohl wenig gemein.

    Die Behauptung, dort würde die Todesstrafe nicht zur Sicherheit beitragen, ist völlig aus der Luft gegriffen. Niemand weiß nämlich, wie hoch die Kriminalität dort ohne Todesstrafe wäre.

    Im Übrigen kann man durchaus darüber nachdenken, warum die Allgemeinheit die Kosten für Straftäter tragen soll. Eine (nicht wie in den USA jahrelang aufgeschobene) Hinrichtung eines Mörders würde erhebliche Kosten sparen.

    Nur um das klarzustellen: ich bin GEGEN die Todesstrafe. Schon allein, weil sie immer wieder Unschuldige treffen würde und es dem Staat nicht zusteht Menschen zu töten. Aber ich maße mir nicht an jene Belehren zu wollen, die sie mit nachvollziehbaren Argumenten befürworten.

  18. 18
    Tourix says:

    @ Scharnold Warzenegger
    Die Morde 2003 betrugen 2003 in der USA 6 pro 100.000 In Deutschland 2000 nur 1,6 pro 100.000.
    http://www.heise.de/tp/artikel/24/24489/1.html
    2005 saßen in der USA 738 pro 100.000 im Knast.
    In Deutschland nur 95 pro 100.000
    http://www.hgeiss.de/fremde/us-knast.htm
    http://www.freace.de/artikel/200712/091207a.html
    http://de.wikipedia.org/wiki/Gef%C3%A4ngnissystem_der_Vereinigten_Staaten

  19. 19
    ExRA says:

    Wenn mir einer absichtlich Säure in das Gesicht schütten würde, möchte ich mit ihm das selbe machen dürfen. Ob ich das dann wirklich machen würde, weiss ich nicht. Vielleicht kann ich ihm ja auch verzeihen. Aber ich kann mir vorstellen, dass unzählige Opfer von Gewalttaten gerne in einer Rechtsordnung leben würden, in der die prinzipielle Möglichkeit des „Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn“ besteht. Für jeden (sich selbst als „zivilisiert“ bezeichnenden) Aussenstehenden ist das natürlich ein unerträglicher Gedanke.

  20. 20
    Scharnold Warzenegger says:

    @Tourix: Was sollen die Statistiken aussagen, außer daß man die USA nicht mit DE vergleichen kann? Richtig, nichts.

    Die Kriminalitätsraten als solches dürften wohl weniger vom Strafrecht abhängig sein, eher vom unterschiedlichen Sozialsystem. Oder von der Möglichkeit Waffen in den USA beliebig kaufen zu können. Oder von der herrschenden Mentalität. Oder, oder, oder… Aber das ist nicht Gegenstand der Diskussion.

    Im Übrigen sagen die Zahlen gerade nichts darüber aus, wie die Anzahl der Morde in den USA wäre, wenn es die Todesstrafe dort nicht gäbe. Ich wiederhole mich da zwar, aber vielleicht denken Sie jetzt drüber nach.

    Bevor Sie nochmal Äpfel mit Flugzeugen vergleichen, denken Sie doch bitte über das Thema Statistik nochmal gründlich nach.