Der gute Ruf der Rechtsprechung

Wenn man so etwas liest, denkt man zunächst einmal an Südamerika in den 80er Jahren:

Wir machen, was wir wollen, und wem es nicht passt, den zeigen wir an: Getreu dieser Devise spielen […] Strafrichter im Gerichtssaal noch immer gern „königlich-bayerisches Amtsgericht“. Nach Laune verteilen sie Ordnungsstrafen und fahren Zeugen, Angeklagten und Verteidigern über den Mund. Beweisanträge fegen sie ohne Begründung vom Tisch. Selbst wenn der Vorsitzende während der Verhandlung laut schnarcht, tut das der Gültigkeit seines Spruchs keinen Abbruch. Zwar gibt es eine Strafprozessordnung. Die aber dürfen Richter gefahrlos ignorieren.

Da scheint irgendetwas außer Kontrolle geraten zu sein. Oder es war noch nie unter Kontrolle.

Die Ausbildung der Juristen dort korrespondiere mit diesen Zuständen:

Jurastudenten […] müssen nur zwei Semester Strafrecht belegen, eine wissenschaftliche Hausarbeit in diesem Fach wird von ihnen nicht verlangt. Fachanwälte für Strafrecht gibt es nicht. „Es ist mehr eine Art Rechtskunde, was den Studenten geboten wird“, sagt Velten, „so wie in Deutschland in der Ausbildung zum Rechtspfleger.“ Die elend ausgebildete Strafrichterschaft bleibt in jedem Fall unter sich: Das Verfassungsgericht kann – anders als in Deutschland – keinen noch so fehlerhaften Bescheid der obersten Richter aufheben.

Nordafrika? Nein. Österreich. Schreibt Norbert Mappes-Niediek in der Berliner Zeitung.

Kritik an dem von ihm beschriebenen System sei nicht erlaubt:

Als jetzt die in Linz lehrende deutsche Strafrechtsprofessorin Petra Velten eine Richterin für ihre Verhandlungsführung kritisierte, ging die Richtervereinigung zum Staatsanwalt. Veltens Kritik, nicht das Benehmen der Richterin, bringe den „guten Ruf der Rechtsprechung in Gefahr“, beschwerte sich der Vize-Vorsitzende Manfred Herrnhofer. Und fügte gleich noch einen Satz an, der einen tiefen Einblick in sein Weltbild erlaubt: „Wir sind nicht in der Türkei.“

Nicht Südamerika, nicht Nordafrika. Und die Türkei also auch nicht. Österreich!

PS:
Falls jemand den Beitrag von Petra Velten im „Journal für Strafrecht“ hat: Über eine Zusendung würde ich mich freuen. (Fax: +49 30 69503881 / eMail: hoenig@kanzlei-hoenig.de)

Dieser Beitrag wurde unter Justiz veröffentlicht.

9 Antworten auf Der gute Ruf der Rechtsprechung

  1. 1
    RA FK says:

    Kein Vergleich zum gut ausgebauten Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich!

  2. 2
    Sebastian says:

    Hallo Carsten,

    habe leider nur die aktuelle Ausgabe. In deren Vorwort wird darauf hingeweisen, dass Grund der Strafanzeige nicht der Artikel im JSt war, sondern dieser hier:

    http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/chronik/2604979/tierschuetzerprozess-scharfe-kritik-rechtsexpertin.story

    bis bald

    Sebastian

  3. 3
    nippnok says:

    Im öst. Strafrechtssystem liegt einiges im Argen, wenn man zum deutschen Nachbarn schaut.

    Geschworenengerichte haben in Österreich Verfassungsrang und dieses Laientheater wird insb. bei Mordverfahren gespielt: Das Mordurteil erhält man auf höchstens 1,5 Seiten, weil die Geschworenen ihren Spruch NICHT begründen müssen (vgl. § 340 öStPO). Die Urteile von Geschworenen sind in der Praxis kraft Rechtsmittel in ihrer mat. Begründung de facto nicht bzw. kaum angreifbar – dafür sorgt § 345 öStPO.

    Inwieweit sich das mit dem in-dubio-pro-Grundsatz verträgt, dass man auch in den Bau gehen muss, wenn 3 von 8 Geschworenen den Angeklagten nicht als Mörder ansehen (vgl. § 331 öStPO), möchte ich nicht weiter erörtern.

  4. 4
  5. 5
    Malte S. says:

    Wenn ich an meine StA-Station denke, die ja nun noch nicht weit zurückliegt, dann habe ich das Gefühl, dass die österreichischen Zustände denen in Deutschland gar nicht unähnlich sind.

  6. 6
    fertig says:

    Zumindest stellen Geschworenengerichte den Sachverhalt nicht absichtlich falsch fest.

  7. 7
    Hans says:

    Ein deprimierender Artikel. Ich wußte gar nicht, wie gut wir es in Deutschland haben. Allerdings sollten wir uns trotzdem nicht das Schlechtere zum Maßstab erheben.

  8. 8
    Martin Rath says:

    Wer historisch etwas in die Tiefe gehen möchte, mag vielleicht folgendes Buch beschaffen, das ich trotz seiner 500 Textseiten mit heißen Ohren gelesen habe: Reinhard Merkel, „Strafrecht und Satire im Werk von Karl Kraus“ (Suhrkamp, 1998 also noch Ffm.).
    Kraus hat sich, das war mir bis dahin nicht so bewusst, nicht nur auf die Journalisten seiner Zeit gestürzt, auch die Institutionen des Straf(prozess)rechts hat er aufs Korn genommen. Das Buch ist, weil es bis in die nähere Vergangenheit reicht, erschreckend und erhellend. Kein austriazistisches Werk, auch für deutsche Leser zugänglich!

  9. 9
    Joseph says:

    Was die Juristenausbildung anbelangt frage ich mich wie viel schlechter als in Deutschland die österreichische sein kann? In beiden Ländern ist ist die Mindestdauer 8 Semester bis zum Magister. Staatsexamen gibts in Österreich nicht. Als Magister kann man nach dem Gerichts“jahr“ (gerade von 9 auf 5 Monate verkürzt) die Ausbildung zum RA, Notar, Richter beginnen. Auch StA müssen zuerst Richter gewesen sein, da gibts eine Eignungsprüfung vor der Ausbildung.

    Was das Strafrecht anbelangt ist die Ausprägung je nach Uni unterschiedlich, in Wien muss man zum Beispiel zwei Pflichtübungen und eine 3-Stündige schriftliche Prüfung bestehen. Wer mehr machen will kann Wahlfächer belegen, der Schwerpunkt liegt aber auf eine umfassenden Ausbildung die alle Rechtsgebiete abdeckt. Die wenigen (deutlich unter 50%) die RA oder Ri/StA werden wollen müssen in der Ausbildung ohnehin weitere Prüfungen ablegen, in der RA Prüfung ist Strafrecht ein Schwerpunkt, bei den Richtern auch.

    So what? Nicht jeder Jurist muss Strafrechtsexperte sein, die am Gericht verhandeln müssen viel höhere Kenntnisse nachweisen.

    Der Autor hätte beim Schreiben ein wenig mehr denken sollen. Auch wenn man natürlich in der StPO immer was verbessern kann.