Döner, Mörder und die Kronzeugenregelung

Schwurgerichtsverfahren sind scheinbar eine einfache Sache, wenn es um das Strafmaß geht. Jedenfalls dann, wenn der Vorwurf „Mord“ lautet. § 211 Absatz 1 StGB schreibt vor:

Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

Punkt.

Nehmen wir nun mal an, es sei nicht nur ein einsamer Fall, sondern zehn Fälle des Mordes. Vielleicht noch den einen oder anderen Banküberfall und/oder Sprengstoffanschlag zusätzlich. Was kommt heraus? Maximal lebenslange Freiheitsstrafe. Mehr geht nicht, jedenfalls in diesem unserem Lande.

Aber geht weniger?

Also für das Gesamtpaket – sagen wir mal – nur zehn Jahre statt lebenslang?

„Nu klar!“, würde der Sachse sagen.

Zehn Jahre für zehn Morde (§ 211 StGB), ein paar Fälle des Raubs (§§ 249, 250, 251 StGB) und ein paar Explosionen (§ 308 StGB); das Ganze verpackt in eine terroristische Vereinigung (§ 129a StGB)?

Geht! Nicht ganz problemlos, aber das Gesetz ermöglicht es. Und zwar so:

Über lange Jahre gelingt es den Strafverfolgungsbehörden – also Landeskriminalämter, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz mit ihren bezahlten Spitzeln – nicht, das oben beschriebene Paket zu erkennen und die darin enthaltenen Taten aufzuklären. Und das, obwohl ansonsten die Aufklärungsrate bei Tötungsdelikten bei nahe 100 Prozent liegt.

Durch einen dummen Kommissar Zufall wird nun zumindest im Groben ein Zusammenhang entdeckt. Und es gibt jemanden – nennen wir sie mal „Felix“ -, die an den Taten beteiligt war und die man erst einmal vorläufig in eine Einzel-Zelle einsperrt. Ein Paar der anderen Beteiligten hat es bereits hinter sich, weitere laufen noch frei in ihrer Terror-Zelle herum.

Wenn Felix sich nun bereit erklärt, den (vermeintlichen) Profis zu zeigen, was sie im Laufe der Jahre alles verpaßt haben. Wenn Felix der versumpften Truppe hilft, das zu tun, wofür sie bezahlt wurden, nämlich Straftaten aufzuklären. Wenn Felix also „Aufklärungshilfe“ leistet. Ja, dann gibt es Rabatt auf die lebenslange Freiheitsstrafe, bis runter auf zehn Jahre.

Das sagt jedenfalls § 46b Absatz 1 StGB:

Wenn der Täter einer Straftat, die […] mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung [dort sind u.a. auch Mord und Totschlag genannt. crh] aufgedeckt werden konnte, […] kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB mildern, wobei an die Stelle ausschließlich angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren tritt.

Im Ergebnis bedeutet das: Ein rechtsradikaler Terrorist, der einer unfähigen Ermittlungstruppe unter die Arme greift, nachdem er zehn Menschen unter die Erde gebracht hat, bekommt zehn Jahre Freiheitsstrafe. Und wenn er sich im Knast gut mit den Wachteln versteht, kann er sich nach Halb- oder Zweidrittelstrafe in fünf bis sieben Jahren wieder einen Döner kaufen gehen.

An diesem Fall wird deutlich, welchen Irrsinn der Gesetzgeber – gegen die Stimmen der meisten Praktiker, den Deutschen Richterbund und die Strafverteidiger-Vereinigungen eingeschlossen – da mit der Kronzeugenregelung des § 46b StGB fabriziert hat.

 
In diesem Zusammenhang:

Einen unbedingt lesenswerten Artikel hat Christian Bommarius am 26.11.2011 in der Berliner Zeitung geschrieben. „Mit Mördern dealen?“ fragt der Journalist.

Herr Bommarius schließt seinen Kommentar optimistisch:

Harald Range, der neue Generalbundesanwalt, scheint das [den Irrsinn. crh] erkannt zu haben. Er beteuert, mit Beate Zschäpe keinen Deal machen zu wollen. Die Begründung seines Zögerns kann sich hören lassen: „Bei zehn Morden tue ich mich furchtbar schwer, mit jemandem ernsthaft in Verhandlungen zu treten.“ Es sollte allerdings nicht erst einer Mordserie bedürfen, um die Verantwortlichen darüber grübeln zu lassen, ob ein Deal mit Schwerstverbrechern eventuell des Staates unwürdig ist.

Der Journalist verkennt dabei allerdings, dass nach dieser Vorschrift gar nicht darauf ankommt, ob ein GBA Harald Range dealen will oder nicht.

Wenn Felix aussagt und ihre Komplizen verrät, wird am Ende, ganz am Ende, ein Richter entscheiden, ob sie für ihre Taten zehn Jahre oder „LL“ bekommt.

Dafür braucht es keinen Deal mit der Staatsanwaltschaft. Sondern „nur“ ein Urteil, in dem das Gesetz – der § 46b StGB – angewandt werden MUSS!

Der Fall Zschäpe macht nur unmissverständlich klar, dass Rechtstaatlichkeit und Gerechtigkeit bei der Kronzeugenregelung auf der Strecke bleiben.

Diesem letzten Satz von Herrn Bommarius möchte ich mich uneingeschränkt anschließen.

 

Dieser Beitrag wurde unter Philosophisches, Staatsanwaltschaft, Strafrecht veröffentlicht.

15 Antworten auf Döner, Mörder und die Kronzeugenregelung

  1. 1
    Jens says:

    Habe ich den besagten Paragraphen falsch verstanden oder fehlinterpretiert?

    Da ist doch recht eindeutig die Rede von

    kann das Gericht die Strafe […] mildern

    Oder habe ich mich verlesen und das steht eigentlich „wird“ oder „muss“?

  2. 2
    Schwarnold Arzenegger says:

    Wer sagt denn, daß „Felix“ jemanden ermordet hat? Das VERMUTET die SA, mehr aber auch nicht.

    So wie ich das beurteile, kann die SA Felix im Moment nicht viel anhaben – außer vielleicht Brandstiftung oder Explosion.

    Für einen Mord gibt es (ohne Geständnis) keinen Beweis. Bisher weiß man nicht, wer die Morde tatsächlich ausführte. Mit einem Mörder zusammen zu leben steht nicht unter Strafe.

    Das gleiche gilt für die Raubüberfälle.

    Eine terroristische Vereinigung sehe ich auch nicht. Terror setzt voraus, daß man politische Ziele verfolgt und/oder Bevölkerung(-steile) in Angst und Schrecken versetzt. Das ist ohne Bekennerschreiben schlechterdings nicht möglich. Wenn man gar nicht weiß, daß es Terror ist, dann ist es auch kein Terror. Ich denke es ist eher eine „normale“ kriminelle Vereinigung.

    Alles in allem: solange Felix den Mund hält, wird es die SA vor Gericht sehr schwer haben.

  3. 3
    Schwarnold Arzenegger says:

    Ups. Eben § 129a StGB gelesen. Offensichtlich deckt sich mein Verständnis von „Terror“ nicht mit dem, was der Gesetzgeber als Terror ansieht. Also doch terroristische Vereinigung. Stellt sich nur die Frage, wieviele Jahre dabei herauskommen… Ich denke ein Deal würde die Sache eher schlimmer machen.

  4. 4
    ???? says:

    Jetzt kommen wieder die ganzen Schlauberger über die Ursachen.
    Bei dem Herrn in Norwegen (65 Tote) war es die Mutter, alleinerziehend. Natürlich, da sieht man, dass ein Vater fehlt. Man kann ja schlecht behaupten, dass die DDR daran schuld ist.

    Bei Beate, so heißt Felix wirklich – haut man in dieselbe Kerbe. Die Gärtnerin aus Liebe ist in diesem Fall nicht eine Oper von Mozart, sondern ein Terroristenflittchen. Was mal was erleben, die Kleine. Und ist dann immer tiefer reingeschlittert.

    Der Stern zeigt den Plattenbau in Ilmenau, wo der Vater des einen Professor war. Natürlich, der Plattenbau ist schuld. Eine sogenannte Wohnzeile. ein zehngeschossiger, gesichtloser Bau, praktisch und bequem. Solche standen im ganzen Land. Ich kenne einen, der auch in solch einem Plattenbau aufgewachsen ist, derselbe Jahrgang. Ist heute Geiger in der Dresdner Philharmonie. Als ob es auf die Wohnung ankommt.

    Gründerzeit, Stuckdecken, Eltern mit Geld, Vater Ingenieur. Was glauben, was der Bursche geworden ist? Robert, der in Erfurt die Lehrer erschossen hat.

    Mittelstandsfirma, Häusle in Schwaben, Eltern mit Geld – richtig, Tim, der die Schülerinnen in der Berufsschule erschossen hat.

    Vater Rechtsanwalt in Hamburg, Eltern mit viel Geld, keine Pionierlieder, keine DDR, kein Plattenbau – Susanne Albrecht, RAF.

    Auch Christian Klar hatte Eltern mit Geld und Hochschulstudium. Mutter Putzfrau, Kind Bundeskanzler (Willi Brandt). Noch Fragen?

  5. 5
    Auke says:

    Der Beitrag ist etwas zugespitzt.

    Er verkennt (absichtlich?) das richterliche Ermessen für die Anwendung der Milderung und bemängelt, dass die Konzeugenregelung unabhängig von der Anzahl der Taten sei. Bei dem Ermessen wird allerdings nach Absatz 2 u. a. die Schwere der Schuld berücksichtigt.

    Weiter suggeriert der Beitrag, dass es sodann stets eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren gäbe. Dabei beträgt der Strafrahmen 10-15 Jahre und in den Strafzumessungsgründen wird wohl kaum die Mehrzahl der Morde außer Acht gelassen werden können.

  6. 6
    egal says:

    Diese Regelung ist natürlich schon sehr bedenklich, denn der Rechtsstaat handelt hier mit der Schuld.

    Die Frage ist hier allerdings erstmal, inwieweit die Frau beteiligt war. Nach den jetzigen Berichten war sie wohl eher nicht unmittelbar an den Morden beteiligt und soll wohl eher im Umfeld geholfen haben und war Beiläuferin & Beischlaferin.

    Was am Ende in der Anklage herauskommt, wird man sehen.

    Man sollte aber auch nicht vergessen, dass bei terroristischen/extremistischen Morden regelmäßig eine „frühe“ Verbüßung der lebenslangen Freihheitsstrafe nach 15 oder 17 Jahren ausscheidet. Da ist bei den RAF-Mitgliedern oftmals bei 20 Jahren noch nicht Schluss gewesen.

    Aus dieser Perspektive wäre natürlich eine zeitige Freiheitstrafe von 15 Jahren sicherlich auch ein Gewinn, wenn sie wegen Mordes verurteilt werden sollte.

  7. 7
    Lexus says:

    Das „kann“ in § 46b StGB ist kein wirkliches „kann“. Gesetze sind im zweifel verfassungskonform auszulegen und da fallen mir Spontan mehrere Grundrechte ein, gegen die § 46b StGB verstoßen könnte, wenn das „kann“ nicht als „muss“ gelesen wird und sei es nur der Gleichheitssatz oder in Verbindung der Rechtsstaatlichkeit.

    Somit muss man den § 46b StGB eher so lesen, dass der Richter die Strafe mildern muss, wenn eine der Alternativen erfüllt ist. Obs dann am Ende natürlich wirklich nur 10 Jahre sind, steht auf einem anderen Blatt.

  8. 8
    Auke says:

    @Lexus:
    Es ist eine Ermessensentscheidung und keine zwingende. Die Kriterien für das Ermessen stehen doch insbesondere in Absatz 2.

  9. 9
    Andreas says:

    @ Jens, Auke

    I concur.

    Die individuelle Strafe muss tat- und schuldangemessen sein (st.Rspr.). Zu niedrige Strafen sind rechtswidrig. Dies muss bei der Anwendung des § 46b StGB berücksichtigt werden, so dass ein „Strafrabatt“ ggf. ganz zu versagen ist, wenn sich dies mit der Tat und Schuld nicht vereinbaren ließe. Warum dies bei § 46b StGB nicht möglich sein soll, wo die Rspr. und Lehre doch bei den §§ 21, 23 StGB auch brauchbare Kriterien hierzu entwickelt haben, verschließt sich mir.

  10. 10
    sic says:

    Vorsicht mit dem Hinweis auf angebliche Aufklärungsquoten. Die Kriminalstatistik ist in diesem Bereich sehr… flexibel, was weniger am bösen Willen der Reviere liegt, sondern an der etwas fragwürdigen Erfassungsart bestimmter Delikte (z.B. Zusammenfassungen, Einordnung in die entsprechenden Kategorieren) und der Bestimmung eines Tatverdächtigen. Ich erinnere mich da einen einen recht bekannten Namen, der mit einer 100% Quote durch die Medien zog, die sich bei der nachfolgenden Recherche in seinem früheren Arbeitsumfeld als ‚kreativ berechnet‘ entpuppte.

  11. 11
    dickesHortkind says:

    Kann mir bitte jemand nochmal den „Beweis“ nennen der gefunden wurde dass die beiden Bankräuber 10 Morde begangen haben. Aber bitte jetzt nicht mit der „gefundenen“ Waffe kommen solange die nämlich nicht als Tatwaffen identifiziert ist (was schlecht möglich ist wenn die ernsthaft geschmolzen sein soll) kann das als einziges Indiz irgendwie nicht greifen.

  12. 12
    Schwarnold Arzenegger says:

    @dickesHortkind: Die Waffe wurde gefunden und klar identifiziert.

    Es stellt sich vielmehr die Frage, wer sie benutzt hat. Und da sieht die SA ohne Aussage von „Felix“ GAAAAANZ alt aus.

  13. 13

    […] der vergangenen Woche hatte ich hier den Irrsinn der Kronzeugenregelung anhand des Falls Zschäpe dargestellt. Sicher, der Beitrag war pointiert und in der von mir […]

  14. 14

    […] Bilder, wenig Worte Emotionen: 21* | 1* In Blogs gefunden: Döner Mörder und die Kronzeugenregelung Philosophisches Er beteuert mit Beate Zschäpe keinen Deal machen zu wollen Die Begründung seines […]

  15. 15
    Zero the Hero says:

    Wenn Richter/Staatsanwalt wollen, dann können sie schon was zusammenschrauben. Es gab da letztes/vorletztes Jahr mal einen Fall, den ich absolut nicht nachvollziehen konnte (und bei dem Juristen wohl Kopfschmerzen kriegen).

    Aber gehen wir einfach mal davon aus, daß bei Felix noch was anderes im Busch ist und die ganze Sache mit irgendwas unter 5 Jahren erledigt wird.