In einer Strafsache hatte ich Akteneinsicht beantragt und um Übersendung der Akten an unsere Kanzlei gebeten. Allein dieser Antrag stellt die Staatsanwaltschaft Potsdam vor ein kapitales Problem.
Es geht in der Sache nicht um einen Ladendiebstahl, bei dem die Geschäftsstelle die Akte im Format einer Ilustrierten ‚mal eben in einen Umschlag steckt, eine Briefmarke im Wert von 1,45 Euro draufklebt und in den Postkasten wirft.
Wir haben es mit einer Wirtschaftstrafsache zu tun, die sich innerhalb der Europäischen Union zwischen ganz links und ganz rechts abspielt und die Beschuldigten sich auf hohem Niveau der Internet-Technologien bedient haben, ohne dabei viel Papier zu bedrucken. Die Unternehmungen wurden im Wesentlichen elektronisch abgewickelt.
Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat das zweifelhafte Glück gehabt, diese Verfahren übernehmen und anschließend führen zu müssen. Sie ermittelte über einige Monate und sammelte auf diesem Wege reichlich Informationen, die in Aktenordnern abgeheftet wurden.
Mir ist nicht wirklich bekannt, mit welchen Mitteln die Potsdamer Staatsanwälte und deren Hilfsbeamte Ermittlungspersonen gearbeitet haben. Mitgeteilt wurde mir allerdings, daß es reichlich Papier war, das schließlich mit zwei Löchern versehen wurde.
Die Ermittler, das muß ernsthaft lobend hervorgehoben werden, haben den Überblick behalten und auf den ersten Blick auch sehr sauber gearbeitet. Dann kam der Zugriff, es fanden zeitgleich mehrere Durchsuchungen von Geschäftsräumen und Wohnungen statt, die mit den üblichen Sicherstellungen verbunden waren. Einige der Durchsuchten wurden mitgenommen und den Haftrichtern vorgeführt.
Mein Mandant gehörte zu den Unglücklichen, die mit der Minimalausstattung der Untersuchungshaftanstalt zurecht kommen müssen.
Also stelle ich im Termin, in dem der Haftbefehl verkündet wurde, die üblichen Anträge, unter anderem besagten Akteneinsichts-Antrag. Der Staatsanwalt übermittelte mir zur Illustration seiner Not-Lage, in die ich ihn damit befördert habe, folgende vierseitige Mitteilung:
Ich habe die Anzahl der Leitzordner und Akten nicht addiert, die in dieser Übersicht aufgelistet wurden, aber in einen handelsüblichen Kofferaum eines mittelklassigen PKW passen die Kartons mit den Aktenbänden sicherlich nicht mehr.
Nun ist das ja nicht das erste Cyber-Crime-Verfahren, in dem ich Verteidiger unterwegs war und bin. Computerkriminalität gibt zum Beispiel auch in Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen; auch dort habe ich jeweils schon einmal Akteneinsicht in Umfangsachen beantragt.
Wenn die Ermittler mit dem richtigen Werkzeug ausgestattet sind, stellt dieser Standard-Antrag der Verteidiger auch kein größeres Problem für die Ermittler dar. Die Akten werden dann schlicht eingescannt und als PDF zusammen mit anderen Dateien (XLS, MP3 …) auf DVD gebrannt. Diese DVD wird dann ein paar Mal kopiert und an die Verteidiger geschickt. In Einzelfällen schickt ein Staatsanwalt auch schon mal einen USB-Stick per Post.
In Brandenburg sieht das aber ganz anders aus. Zutreffend stellt die Generalstaatsanwaltschaft fest, daß die Digitalisierung von Ermittlungsakten in der StPO (noch) nicht vorgesehen ist. Geschenkt, das ist bekannt.
Aber genau deswegen werden die Akte der Brandenburger Staatsanwaltschaften dann auch nicht digitalisiert. Basta! Und weil der Brandenburger General sich auskennt und gerade schon einmal dabei ist, untersagt er im gleichen Atemzug auch noch jegliche eMail-Korrespondenz seiner Ermittler. Ende und Aus. (Nur nebenbei: Ein Fax an die StA Potsdam braucht ca.3 Tage, bis es auf dem Tisch des zuständigen Dezernenten liegt, wenn man nicht hinterher telefoniert.)
Das führt jetzt dazu, daß sich in diesem Verfahren gleich drei (!) Staatsanwälte Gedanken machen müssen, wie sie den Aktenbestand an die Verteidiger bringen. In diesem Verfahren sind es wohl derer so wohl ca. zehn, und die sitzen allesamt nicht in Potsdam. Ich bin auf die Lösungsvorschläge gespannt.
Und dann will ich das weitere Verfahren sehen, wenn im Rahmen der Beweisaufnahme die Verteidiger leicht beschwingt mit ihren Notebooks antanzen, während das Gericht und die Staatsanwaltschaft ihre Akten auf Paletten in den Saal schieben.
Vielleicht ist jemand mal so freundlich und weckt die Brandenburger auf, aus ihrem Dornröschenschlaf …
In der Kanzleiwanne sollten die Akten doch Platz finden, oder?
Diese Wirtschaftsstrafverfahren mache ich nicht mehr. Das rechnet sich vorne und hinten nicht. Allein die Akten abzuholen, zu sichten, zu kopieren/einzuscannen und zurückzubringen, ist eine unerträglich öde und langwierige Sklavenarbeit, die ich weder mir noch meinen Mitarbeitern noch einmal zumuten will. Den Inhalt der Akten sodann zur Kenntnis zu nehmen und auf das Wesentliche zu reduzieren, nimmt mehrere volle Arbeitstage in Anspruch. Für Pflichtverteidigergebühren geht das gar nicht. Die sind schon nach der ersten Hälfte des ersten Leitzordners aufgebraucht. Wahlverteidigergebühren in angemessener Höhe können oder wollen sich die Beschuldigten nicht leisten. Und wenn sie es doch können/wollen, sind die Quellen der Zahlungen zumeist ein wenig dubios. Und ich habe überhaupt keinen Bock, eine angemessenes Honorar, das sich ohne weiteres im fünfstelligen Bereich bewegt, später gegen Mandant, Gericht oder Staatsanwaltschaft zu verteidigen, zumal aufgrund der betriebswirtschaftsnihilistischen Rechtsprechung der Obergerichte angemessene Honorare kaum noch durchzusetzen sind.
Aber die schlafen doch nicht. Die sind noch fleissig am Ausdrucken, Lochen und Abheften. Da darf man sie natürlich nicht stören.
Der Umfang erscheint ja wirklich monströs und Georgs Standpunkt ist nachvollziehbar.
Wenn sich CRH und andere Anwälte nun aber entschlossen haben die jeweilige Verteidigung zu übernehmen, könnte man wohl etwas Kooperation erwarten.
Keine Ahnung wieviel Beschuldigte/Anwälte involviert sind, aber jeder dieser Anwälte könnte doch dann einen Teil der Akten scannen und damit den Weg zum gemeinschaftlichen Notebookschwingen etwas erleichtern.
Der Austausch der Ermittlungsakten zwischen (Mit-)Verteidigern ist grundsätzlich nicht zulässig. Es ist daher stets eine Anfrage bei der StA oder beim Gericht, ob dies gestattet wird. In der Regel werden aber keine Einwände erhoben.
Der Austausch funktioniert aber auch nur dann (reibungslos), wenn die beteiligten Verteidiger den gleichen Weg gehen und ihre Mandanten sich nicht gegenseitig belasten.
Und sobald Zivilisten dabei sein, geht insoweit dann meist gar nichts mehr. ;-) crh
Oder wird dann in jeder Kanzlei jemand mit dem Scannen jeweils aller Akten bestraft?
In Potsdam wird halt etwas zu sehr nach der Weisheit: „Nur was Du Schwarz auf Weiß besitzt, das kannst Du getrost nach Hause tragen.“ gehandelt.
[…] wünsche den Brandenburgern, daß auch sie auf ihrem Weg auf die Datenautobahn flott voran kommen und vielleicht in Kürze die […]
[…] die Brandenburger auch im Bereich Cyber Crime noch immer Papierakten hin- und herschicken, ist man beispielsweise in […]