Ganz wichtiger Richter

Das Amtsgericht Tiergarten, jedenfalls die Geschäftsstellen der Abteilungen, die sich mit Verkehrstrafsachen oder sonstigem Kleinkram beschäftigen, ist überfordert. Das bekommen Strafverteidiger in Berlin vermehrt mitgeteilt, wenn sie darum bitten, Ihnen Gerichtsakten an die Kanzlei zu senden:

wird mitgeteilt, dass eine Aktenversendung innerhalb Berlins wegen starker Belastung der Geschäftsstelle leider nicht möglich ist.

Oder man liest ähnliche hilflose Kapitulationen vor der Aufgabe, eine dünne Akte in einen Umschlag zu stecken.

Dann gibt es auch Richter, die sich bemüßigt fühlen, halbe Dissertationen zu schreiben über den Anspruch des Berliner Verteidigers auf Aktenübersendung, statt das Ding schlicht zur Post aufzugeben:

wird Ihnen auf Ihren Antrag vom 21.01.2009 Akteneinsicht durch Mitnahme der Akten in Ihre Kanzleiräume für drei Tage bewilligt. Die Akten können – nach vorheriger telefonischer Terminabsprache auf der Geschäftsstelle der Abt. 123 Raum X 123 , Tel. 030-9014 1234 abgeholt werden. Ein Rechtsanspruch auf Aktenübersendung besteht nicht.

Teilweise wird dieser Sermon mit Zitaten aus Kommentaren und (Berliner) Rechtsprechung unterlegt.

Am Freitag haben wir eine neue faule Ausrede Information erhalten, warum ein Verkehrsrichter uns die Akte nicht zusenden kann:

Eine Versendung des Vorgangs durch Post oder Postdienste wird aufgrund der in der Akte vorhandenen Beweismittel sowie des Verlustrisikos abgelehnt.

Es geht um eine Bußgeldsache. Es geht nicht um ein Kapitalverbrechen, bei dem uns die Geschäftsstellen der Strafkammern regelmäßig ohne Umstände die Akten zusenden. Dort ist die Versendung der Akten der Alltag. Bußgeldakten bestehen zum größten Teil aus ausgedruckten Kopien von elektronischen Akten, die bei den Bußgeldbehörden angelegt wurden.

Aber so ein kleiner Amtsrichter am Verkehrsgericht ist eben wichtig. Jedenfalls fühlt er sich so.

 

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

15 Antworten auf Ganz wichtiger Richter

  1. 1
    whocares says:

    Ist das mal wieder Richter K.?

  2. 2
    Tobias Feltus says:

    Nun ja, das Risiko für den Verteidiger ausgeraubt zu werden, dürfte in Berlin auch nicht unbeträchtlich hoch sein. Ergo, Akteneinsichtnahme zukünftig nur noch beim Richter auf dem Schoß.

    Auf der anderen Seite, ein Richter der dem Anwalt die 12 € Aktenversendungspauschale erspart.

  3. 3
    Franz says:

    Sehr umsichtig von Ihnen, es geht sicher nur darum eine dünne Akte in einen Umschlag zu legen und nicht etwas um hunderte.

    Auch macht es natürlich genausoviel Umstand eine Akte zu versenden und rückzufordern und Fristen zu überwachen, wie einen Textbaustein (Bei Ihnen als ,,halbe Dissertationen“ bezeichnet) einzufügen.

    Meine Güte wo bleibt bei Ihnen eigentlich mal die sachliche unvoreingenommen Auseinandersetzung.

  4. 4
    Denny Crane says:

    Rechtlich ist das doch völlig zutreffend. Es gibt keinen Anspruch auf Übersendung der Akte in das Büro des Verteidigers. Also muß der Verteidiger seinen Hintern zu der Akteneinsicht gewährenden Stelle bewegen. Die Kosten hierfür hat der Mandant zu tragen. Wo ist das Problem?

  5. 5

    Das Problem wird der Herzkasper sein, den der Kostenbeamte bekommt, wenn ein Verteidiger (als PflichtVert. oder nach einem Freispruch) die Festsetzung der Kosten für die Abholung und Zurückbeförderung der Akte beantragt. Ich bin ja schon frech, was KFAe angeht, aber das traue ich mich nun nicht.

  6. 6
    Denny Crane says:

    Achso, wir reden hier von Pflichtverteidigung (in einer dünnen Bußgeldsache?) und nicht von dem Mandanten, den man einfach 150,- Euro die Stunde dafür in Rechnung stellt, daß der Richter sich als stur erweist…

    In diesem Falle: Antrag nach § 46 Abs. 2 RVG, daß die Reise zu der Akteneinsicht gewährenden Stelle erforderlich ist, um Akteneinsicht zu nehmen. Falls dem nicht stattgegeben wird => Befangenheitsantrag, da Akteneinsicht offenbar nicht gewährt werden soll. Denn der Pflichtverteidiger kann schlechterdings nicht darauf verwiesen werden, die Reisekosten selbst zu tragen, wenn ihm die Akten, aus Gründen, die allein im Verantwortungsbereich des Justiz liegen, nicht zugesandt werden. Eine schöne Frage für eine Rechtsbeschwerde.

  7. 7
    ExRA says:

    @Franz (oben Nr.3):
    Mit einer „sachlichen, unvoreingenommenen Auseinandersetzung“ kann man kein juristisches blog betreiben, das auch gelesen werden will. Dies erklärt m.E. auch die angesichts seines Lebensalters und seiner Berufserfahrung desöfteren ziemlich „nass-forsche“ und polarisierende Darstellung der Dinge durch den blog-Betreiber. Aber ich lese den „Hoenig“ gerne, weil mich interessiert, was einen Strafverteidiger in Berlin, der quirligen Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, im Jahre 2011 auf den Nägeln brennt. Dass man sich da als stadtbekannter Anwalt über einen popeligen, kleinen (möglicherweise auch noch 25 Jahre jüngeren) Verkehrsrichter ärgert, ist doch nachvollziehbar, oder?

  8. 8
    doppelfish says:

    Wozu brauchen Sie die Akten denn überhaupt? Die wichtigste Seite haben Sie doch schon. ;)

  9. 9
    nachgebohrt says:

    @D.C:
    Pech nur, dass es laut Ausgangsbeitrag um das AG B-Tiergarten und in Berlin ansässige RAe geht. Und die dürften für Reisen innerhalb Berlins nach Vorbem. 7 (2) VV RVG keinen Auslagenersatz erhalten.

  10. 10

    Verkehrsrichter in Berlin sind bisweilen wirklich etwas schrullig.
    Folgendes Schreiben kam heute an:

    „in der Bußgeldsache gegen XXX wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
    wird um Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift des Angeklagten gebeten.
    Unter der hier bekannten Anschrift: XXX konnte keine Zustellung erfolgen.
    Lt. Mitteilung der Gemeinde XXX ist der Angeklagte seit 03.01.2011 unbekannt verzogen.

    Mit freundlichen Grüßen
    W.
    Richter am Amtsgericht“

    Der Betroffene wird also zweimal „Angeklagter“ geschimpft. Drei Monate vor der absoluten Verjährung schreit das eigentlich nach einem neuerlichen Befangenhaitsantrag…

  11. 11

    tausche ein „a“ gegen ein „e“….

  12. 12
    Denny Crane says:

    @nachgebohrt

    Der zeitliche und finanzielle Aufwand, der mit der persönlichen Akteneinsichtnahme vor Ort verbunden ist, kann aber als Aufwendung im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG angesehen werden.

    Im übrigen: als Anwalt, der seine Kanzlei direkt vor dem Ortsschild des Sitzes der hiesigen Gerichte hat und damit außerhalb jener politischen Gemeinde seinen Kanzleisitz hat, bekomme ich immer Reisekosten erstattet, obwohl ich es nur 300 Meter weiter zu Gericht habe als jene Kollegen, die hinter dem Ortsschild sitzen oder vom anderen Ende der Stadt kommen und einen viel weiteren Weg zu Gericht haben als ich. Ein Vorteil, wenn man offiziell schon in einer anderen politischen Gemeinde liegt.

  13. 13
    nachgebohrt says:

    @D.C.:
    Der zeitliche Aufwand für die Akteneinsicht als Teil der Mandatsbearbeitung dürfte wohl kein Aufwand i.S.d. 46 sein, sondern ist wie auch sonst mit den Gebühren abgegolten.
    Und über den Umweg „finanzieller Aufwand“ (welcher ist das bei persönlicher Akteneinsichtnahme bei Gericht? Schuhsohlenabrieb?) werden Sie vermutlich auch nicht über die explizite gesetzgeberische Entscheidung, Fahrtkosten innerhalb einer politischen Gemeinde nicht zu erstatten, hinwegkommen. Zumindest wird man Schwierigkeiten haben, wenn man eine solche Rechtsauffassung vertritt, den Richter erfolgreich abzulehnen, der eine Feststellung nach 46 II RVG versagt, weil er eine andere und mit dem Gesetz vermutlich übereinstimmende Rechtsauffassung vertritt.

  14. 14
    John Cage says:

    @nachgebohrt

    Schauen Sie doch einfach mal in die Kommentierung, insbesondere zu § 670 BGB. Da fallen mir eine Menge Aufwendungen ein, die im Falle der persönlichen Einsichtsnahme der Akte auf der Geschäftsstelle des Gerichts anfallen können, ohne daß es sich um Reisekosten im Sinne von Vorb. 7 Abs. 2 VV RVG handelt. Im übrigen halte ich die Ansicht für überholt, daß Aufwendungen des Pflichtverteidigers die mit einer Akteneinsicht bei Gericht verbunden sind, nur deshalb nicht erstattungsfähig sein sollen, weil der Anwalt de jure in der gleichen politischen Gemeinde wohnt. Man denke nur an den Anwalt am Wannsee, der sich zum Amtsgericht Pankow begeben soll, um dort eine Akte einzusehen, deren Übersendung ihm verweigert wird. Wenn hier nicht die Verweigerung von Aufwendungsersatz die Besorgnis der Befangenheit wegen schikanösem Verhalten begründet, weiß ich es auch nicht. Welche rechtsstaatliche Sichtweise soll denn hinter einer solchen Schikane stecken? Das ist wohl auch kaum mit den Vorgaben des BVerfG zur Frage der Aufopferungspflicht des Pflichtverteidigers zu vereinbaren. Alles hat seine Grenzen an Art. 12 GG.

  15. 15
    rajede says:

    Das Problem ist doch klar: Die Geschäftsstellen des AG Tiergarten sind nicht mehr in der Lage ihre Aufgaben zu erfüllen. Statt der notwendigen Abwägung in jedem Einzelfall, ob die Akten übersandt werden können oder nicht, wird standardmäßig vom Richter der Textbaustein verfügt, ausgedruckt, eingetütet und abgeschickt.

    Wenn Sie versuchen die Geschäftsstellen während der geringen verbliebenen Sprechzeiten telephonisch über die Vermittlung zu erreichen, führt dies zu weiteren Arbeitsplätzen bei den Anwälten für Telephonistinnen. Kaum Wartezeiten unter 5 Minuten.

    Die Behörden wehren sich mit aller Kraft gegen moderne Büroorganisation. Vom elektronischne Gerichtsbriefkasten wird nach unserer Erfahrung kein Gebrauch gemacht. Heute hatte ich eine Verhandlung vor dem Schöffengericht. Die Protokollführerin war mit Computer inkl. AULAG bewaffnet, schrieb das Protokoll mit der Hand und übertrug es dann in den Computer.

    Richter klagen vor dem Richterdienstgericht wenn Sie als Registerrichter „gezwungen“ werden mit elektronischen Akten umzugehen und gewinnen (wurde dann aufgehoben).

    Wer so arbeitet (arbeiten muß) kann die gesetzlichen Aufgaben nicht erfüllen. Wir haben in Berlin jetzt Wahlkampf. Welche Partei verspricht denn nun eine bessere Besetzung der Justiz? Der Bürgermeister beschränkt sich zunächst auf das Verstehen Berlins. Ich habe verstanden.