Gefährlicher Kaffeesatz-Leser

Auf Welt-Online ist ein Interview mit dem Psychologen Christian Lüdke zu lesen, der ein paar Stunden nach der Tat ein Psychogramm des (geständigen) Täters liefert. Ohne mit ihn gesprochen zu haben, ohne ihn überhaupt zu kennen, allein aufgrund von Informationen, die er aus den Medien gewonnen haben kann.

Psychologe Lüdke:

Aus seinen Äußerungen im Internet wissen wir … Das genau ist Teil seines Plans … Ihn treibt offensichtlich die Vision … Möglicherweise hat er schon frühzeitig erkennen müssen …  Er distanziert sich von der Gesellschaft und zieht sich in seine radikale Fantasiewelt zurück. Mit seiner Tat verwandelt er das Gefühl von Ohnmacht in ein kurzeitiges Erleben von Allmacht. Das Gefühl, Herr über Leben und Tod zu sein.

Ich weiß nicht, ob ich mich trauen würde, solche küchen-psychologischen Statements in aller Öffentlichkeit abzugeben. Wer auch nur den Hauch einer Ahnung von der Materie hat, über die Herr Lüdke hier spricht, wird wissen, daß diese Zitate (auch wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen sind)  unter dem Begriff „Grober Unfug“ nur noch ganz schwer zu fassen sind.

Aber Herr Lüdke setzt in diesem Interview noch einen oben drauf. Er stellt auf der Basis dieser Erkenntnisse die Diagnose:

Das ist […] nur mit einer psychischen Störung zu erklären. Das ist wahnhaft.

Na, gut. Soll er doch schwätzen, was er will. Könnte man sagen. Wenn es nur dabei bliebe! Aber dann überschreitet dieser Experte des offensiven Scheinwissertums auch noch die Grenze zum Hals-ab-Kopf-ab-Alles-ab-Populismus:

Ich würde den Täter komplett von der Öffentlichkeit abschotten und in eine dunkle Zelle sperren. Wer eine solche kaltblütig geplante Tat begeht, hat für immer das Recht verwirkt, an dieser Gesellschaft teilzunehmen.

Erst spricht er – nach einem tiefen Blick in die Kristallkugel – von einer Erkrankung, einer wahnhaften psychischen Störung. Und dann schickt er den als krank diagnostizierten Mann in einen Kerker, wie im finstersten Mittelalter. Und spricht ihm – Nota bene: Ohne jegliche fundierte Sachkenntnisse, ohne Untersuchung, ohne geordnetes Verfahren – die Menschenrechte auf Dauer ab.

Im Grunde ist der angebliche Psychologe Lüdke eine arme Wurst, ein schlichter Dilettant. Aber eben auch ein furchtbarer (sic!) Hetzer, der auf Kosten der Opfer und Hinterbliebenen eine verdammt gefährliche Stimmung verbreitet – auf einer Plattform, die ihm Welt-Online und die Journalistin Claudia Ehrenstein bietet, statt ihn, diesen Propaganda-Psychologen,  von der Öffentlichkeit abzuschotten. Unerhört!

 

Dieser Beitrag wurde unter Medien veröffentlicht.

17 Antworten auf Gefährlicher Kaffeesatz-Leser

  1. 1
    VolkerK says:

    Spannend find ich seinen schmerzhaften Spagat, dass der Täter eine psychische Störung hat, durch die er „für immer das Recht verwirkt, an dieser Gesellschaft teilzunehmen.“
    Ich hab mich durch das Manifest des Täters gequält und auch den Eindruck gewonnen, dass er zumindest nah an Wahnvorstellungen dran ist. Rein „gefühlt“ passt viel zu einer wahnhaften Privatrealität. Was keine Diagnose ist, sondern eben nur eine Spekulation.

    Wenn Lüdke das genauso sieht, hat er damit die Schuldunfähigkeit des Täters attestiert. Aber vielleicht wünscht er sich auch Zwangskastrationen für Sexualtäter, solange er damit in der Presse erwähnt wird.

  2. 2
    MartinR says:

    Die gleich folgende Form von redaktionellem Herangeschleime ist auch sehr hübsch; erwähne das nur, damit niemand auf den Gedanken kommt, nur die Springer-Presse bräuchte windige Experten für den gestörten Gehirnkasten; hier also von der Firma Hotzbrinck & Co.:

    http://www.tagesspiegel.de/zeitung/ein-mann-fuer-ungewisse-stunden/786188.html

  3. 3
    MaxR says:

    Seltsame Vorschläge werden noch viele kommen, hier zB einer aus dem Forum eines wirren Möchtegernpolitikers stramm rechter Prägung aus Mainz:

    „Der Mörder der 90 Jugendlichen sollte nach Amerika ausgeliefert werden und auf den elektrischen Stuhl kommen.
    So auch Mörder von Kindern in Deutschland.
    Das spart außerdem sehr viele Kosten, denn terapiert werden können solche kranken Menschen sowieso nicht.

    Mal sehen, welche Partei den Mut hat und für solche Straftaten die Wiedereinführung der Todesstrafe fordert.“

    Hinrichtungstourismus in die USA ist wohl innovativ. One way, please.

  4. 4
    Susanne says:

    Ich „freue“ mich schon auf die „spannende“ Titelgeschichte nächste Woche im SPIEGEL. Nachdem heute der Schubladenbericht „Burnout“ dran war, hat uns dieses Ereignis vor einem weiteren Sommerlochthema (Hitler, die 147., überforderte Schüler, o.ä.), bewahrt und die Chance eröffnet, eine 20-seitige Patchworkarbeit von sechs Reportern zu lesen, die das Thema gegoogelt haben. Dabei wüßte ich z.B. gern einmal, was in den letzten 3 Monaten in Fukushima los war, lange keinen stündlichen ARD-Brennpunkt mehr zu jenem Thema gesehen…

  5. 5
    doppelfisch says:

    Eun toller Mann, was der alles weiss! Und nur aus öffentlich zugänglichen Quellen, Respekt.

    Hätte er sich mit seinem phänomenalen, fundiertem Wissen mal ein paar Tage früher gemeldet …

  6. 6
    Tobias says:

    Und ohne die mittlerweile bei Ihnen schon leider obligatorischen Beschimpfungen und Beleidigungen könnte man der Kritik an Lüdke sogar beipflichten…

  7. 7
  8. 8
    Scharnold Schwarzenegger says:

    Angesichts der unglaublichen Gräueltaten dieses Mannes fällt es auch Verfechtern des Rechtsstaates schwer an den eigenen Prinzipien festzuhalten.

    Mal ehrlich: so ein Tier (für ein paar Jahre, bis er als „geheilt“ gilt) nur wegzusperren, ist keine adäquate Reaktion auf das Geschehene.

    In meinem Umkreis haben Eltern sinngemäß „Tod durch lange Folter“ oder Ähnliches als angemessene Strafe in den Raum gestellt.

    Das unendliche Leid kann man nicht ungeschehen machen. Aber der Gedanke nach Rache in seiner niedersten Form kann von den Betroffenen wohl kaum beiseite geschoben werden.

    Einem Strafverteidiger ist das ja vollkommen fremd. Er will nur das Beste für den Mandanten rausholen.

  9. 9
    MaxR says:

    Den Betroffenen kann man das Recht auf RacheGEDANKEN ja auch zugestehen – aber ein wenig Distanz zu den direkt Betroffenen sollte wieder kühler Kopf angesagt sein.

    Auch und gerade um die Betroffenen um ihrer selbst Willen von der „billigen“ Rache abzuhalten.

    Merkwürdig nur, daß alle, die eine ganz schlimme Strafe fordern, vorher den Menschen als „krank“ oder sogar als „Tier“ bezeichnen … insofern dürfte sich das Thema „Strafe“ doch gar nicht stellen.

  10. 10
    fernetpunker says:

    Menschen können alles aus sich machen, auch empathiefreie Tötungsmaschinen.

  11. 11
    Martin says:

    Wer „Tod durch Folter“ fordert, ist ebenso viehisch wie der Täter selbst und verrät die Ermordeten. Der Freundeskreis des Kommentators Schwarzenegger sollte sich ein Beispiel an Jens Stoltenberg nehmen:

    „We must never cease to stand up for our values. We have to show that our open society can pass this test too. And that the answer to violence is even more democracy, even more humanity, but never naïveté.“

    Demokratie, Offenheit, Humanismus! Wer diese Werte angesichts solcher Taten nicht noch höher hält, legt Feuer an die Wurzel unseres Gemeinwesens. Sapere aude, incipe.

  12. 12

    @Martin:

    Des Verstandes kann man sich nur bedienen, wenn ein solcher zur Verfügung steht.

    Bei diesem Kommentator, auf den Sie sich beziehen, könnte man den Eindruck haben, daß eben dieser fehlt. Aber das ist hier im Blog bereits bekannt.

    Besten Dank für die Erinnerung an Horaz!

  13. 13
    Scharnold Warzenegger says:

    Ach Herr Hönig,

    nur weil jemand eine andere Sichtweise der Dinge hat, braucht man ihn nicht anheften keinen Verstand zu haben. Das ist zu billig. Wenn Sie mich diskreditieren wollen, dann seien Sie doch bitte etwas subtiler. Oder versuchen Sie es mit Argumenten.

    Im Übrigen lebt ein Blog mit seinen Kommentaren auch davon, daß nicht alle eine Meinung haben.

    Es ist völlig in Ordnung, wenn Sie sich – berufsbedingt – auf die Seite der Täter schlagen. Aber bitte erwarten Sie das nicht auch von allen Anderen.

    Und diesem „Ding“ oder „Tier“ in Norwegen spreche ich tatsächlich jede Menschlichkeit ab. Wollen Sie dagegen halten?

  14. 14
    Denny Crane says:

    @Scharnold Warzenegger

    Es steht Ihnen frei, einem Menschen die Menschlichkeit abzusprechen und ihn als „Tier“ oder „Ding“ zu bezeichnen, wenn sie akzeptieren, daß andere so über Sie urteilen und aus Ihrem neuen Status die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Glücklicherweise kommt es auf die Sichtweise einzelner Wirrköpfe nicht an, sonst müßte man Überzeugungstäter wie den norwegischen Beschuldigten grundsätzlich frei sprechen.

  15. 15
    Gerhard Hanenkamp says:

    …wer je in einem Scheidungsverfahren mit beteiligten/betroffenen Kindern gestanden hat weiss, was er solchen armseligen Menschen zu verdanken hat – und das den Rest seines Lebens – irreparabel.

  16. 16
    Gerhard Hanenkamp says:

    …sorry mein Kommentar bezog sich natürlich auf Menschen wie eben Herrn Psychologen Christian Lüdke.

  17. 17
    cassa says:

    Alle „Unmensch“, „Tier“ und „Ding“-Schreier haben leider unrecht: Solche Täter sind eben auch Menschen.

    Ja, es gibt eben nicht nur moralisch gute Menschen, psychisch gesunde Menschen. Es gibt auch böse Menschen, psychisch kranke Menschen, sowie sämtliche Mischformen.

    Es mag uns der Gedanke mißfallen, aber der Mensch ist weder von Natur aus Gut noch Böse. Er bringt bestimmte Anlagen wird, wird durch seine Umwelt geprägt und ist ab einem gewissen Zeitpunkt und in gewissem Maße frei in seinen Entscheidungen.

    Die zivilisatorische Maske, die wir aufhaben, ist noch ziemlich neu und fällt nur all zu leicht.

    Unter den passenden Bedingungen kann praktisch jeder von uns zum Engel oder zum Monster (gemacht) werden. Auch wenn wir das eben nicht gern hören.