Grund zur Strafmilderung – ein Rundumschlag

Auch wenn die Festsetzung der Strafe durch das Gericht nicht selten den Eindruck erweckt, einem Würfelspiel recht ähnlich zu sein, gibt es dafür ein paar verbindliche Grundsätze. Das Strafgesetzbuch gibt einige Beipiele, woran sich der Strafrichter zu orientieren hat.

In § 46 Absatz 2 StGB sind genannt:

die Beweggründe und die Ziele des Täters,

die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,

das Maß der Pflichtwidrigkeit,

die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,

das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie

sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

Daß dies nun aber keine abschließende Aufzählung ist, erkennt der ausgebildete Jurist an der Einleitung dieser Aufzählung:

Dabei kommen namentlich in Betracht

Es gibt also noch weitere, andere Strafmilderungsgründe. Einen weiteren hat nun das Gericht in dem Verfahren gegen Torben P. und Nico A. formuliert, und wie ich meine zu Recht.

Barbara Keller berichtet auf Berlin Kriminell über die mündliche Urteilsbegründung:

Strafmildernd wertete die Kammer die anhaltende Medienberichterstattung, die einem „Prangereffekt“ gleichgekommen sei. Das Haus des Angeklagten sei von Journalisten förmlich belagert, Torben P. im Internet mit Morddrohungen konfrontiert worden. Die Familie musste schließlich umziehen.

Angestoßen durch die – nicht zu rechtfertigende – Veröffentlichung dieser unsäglichen Video-Aufzeichnung durch die Polizei wurde keine Berichterstattung, sondern eine Hetze in Gang gesetzt, die außer dem Profit-Streben der einschlägigen Medien sonst niemandem diente. Das waren keine Journalisten, die da herumlagerten, sondern üble Kopfgeldjäger.

Diese von den Medien zu verantwortenden Konsequenzen müssen sich im Strafmaß bemerkbar machen, genau wie beispielsweise unverhältnismäßige Zustände in der Haft.

Die notwendige und gerechte Strafmilderung sollte denjenigen Journalisten und Redakteuren um die Ohren gehauen werden, die nun herumjaulen, daß das alles viel zu milde sei.

An dieser Stelle noch ein Wort zu der Nebenkläger-Vertreterin, von der zu hören war, …

… ein „abschreckendes Urteil“ sei es nicht. Nachahmer würden dadurch nicht abgeschreckt.

Wenn ein Rechtsanwalt an so einem Verfahren teilnimmt und die Interessen eines Beteiligten vertreten will, dann sollte ihm – oder hier: ihr – wenigstens die Grundlagen des Verfahrensrechts bekannt sein.

Wer im Jugendstrafverfahren „Abschreckung“ (vulgo: Generalprävention) fordert, zeigt, daß er keine Ahnung hat, von dem was er da macht. Das Jugendstrafrecht ist geprägt vom Erziehungsgedanken und nicht von den Rachegelüsten der Nebenklagevertretung. Gruß an Dieter Nuhr, Frau Kollegin.

 

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Rechtsanwälte veröffentlicht.

9 Antworten auf Grund zur Strafmilderung – ein Rundumschlag

  1. 1
    Martin says:

    Zumal Abschreckung immer den nüchtern kalkulierenden Täter voraussetzt. Gerade im Jugendbereich darf das angezweifelt werden. Das gilt umso mehr, wenn Alkohol im Spiel ist.

  2. 2
    jk says:

    Dass Abschreckung im Strafrecht nicht funktioniert und auch nie funktioniert hat, sollte der Nebenklagevertreterin eigentlich bekannt sein.

  3. 3
    tapir says:

    … und die Medienbelagerung des Opfers wirkt sich strafschärfend aus?
    Spaß beiseite, die Tat ist unfassbar, genau wie die Berichterstattung über dieselbige und die Veröffentlichung des gesamten Videos.

    Ein Problem der Rechtsprechung ist und bleibt, dass nicht nur im Jugendstrafrecht das Hauptaugenmerk beim Täter liegt, den es zu erziehen, rehabilitieren und vor unwürdiger Behandlung zu schützen gilt. Vor dem Hintergrund, dass die Opfer mitunter Höllenqualen bis zur bzw. bei der Gerichtsverhandlung leiden, ist das Unverständnis in der Bevölkerung, die kein juristisches Studium vorweisen kann, dann groß. Diese gefühlte Diskrepanz wird durch beratungsresistente Intensivtäter auf freiem Fuss verstärkt.
    Lösungen habe ich keine …

  4. 4
    Burschi says:

    Was die Nebenklagevertreterin gefordert hat, ergibt sich aus ihrem Plädoyer – da hätte die Generalprävention nichts zu suchen gehabt, da kam sie aber offenbar auch nicht vor.

    Dass das Urteil nur spezialpräventiv begründet sein darf, heißt aber nicht, dass es nicht auch generalpräventive Effekte hat, und deshalb darf man es sehr wohl begrüßen oder beklagen, wie die ausgefallen sind.

    Wer als Strafverteidiger eine Ahnung hat von dem, was er da macht, sollte überdies wissen und akzeptieren, dass es auch im Jugendstrafverfahren die Institution der Nebenklage gibt und damit das legitime Strafverfolgungsinteresse des Geschädigten anerkannt ist – mit „Rachegelüsten“ hat das nichts zu tun.

  5. 5
    Ekelpaket says:

    Und wieder einer, den man mit Samthandschuhen anfasst.

    Alkohol macht weniger Schuld. Vorher ist er noch nie aufgefallen. Und hinterher hat er Reue gut geschauspielert, um irgendwie davon zu kommen. Vermutlich hat ihm das der Anwalt geraten. Dazu ist er dann noch ein „Opfer“ der Medien geworden.

    Es ist gelungen. Das Gericht hat einen Schwerkriminellen, der einen Menschen töten wollte, gestreichelt. Formal verurteilt, aber tatsächlich nahezu ohne Strafe.

    Unfassbar! Der tritt einem am Boden liegenden mit aller Gewalt mehrfach auf den Kopf und wird laufen gelassen. Und wir wundern uns dann, daß solche Vorfälle immer zahlreicher werden. Jugendlich lernen schnell: ein paar Tritte gegen den Kopf sind doch halb so schlimm, stand in den Medien.

    Wenn dann noch hier geschrieben wird, wonach es doch nicht um Generalprävention gehen könne/darf… Weia.

  6. 6
    luDa says:

    Der Gedanke hat sicher etwas für sich, andererseits stand auch das Opfer unter nicht gewollter medialer Belagerung und muss nun auch noch hinnehmen, dass aufgrund dessen auch noch die Strafe geringer ausfällt. Dem steht das JGG zwar nicht entgegen, ich finde es gleichwohl problematisch.

    Wenn noch ein anständiges Schmerzengeld ausgeworfen und konsequent nach § 850f II ZPO durchgesetzt wird, so dass wirtschaftlich für die nächsten 20 Jahre Ende ist, so denke ich dass durchaus ein angemessener Ausgleich zwischen Täter und Opfer erzielt wurde.

    Unerfreulich finde ich hingegen, dass alkoholbedingte Enthemmtheit noch immer als strafmildernd angesehen wird. In meinen Augen müsste sie erheblich strafschärfend wirken, dazu gehörte auch eine Strafschärfung des Vollrausches auf die Rauschtat umd die Probleme der alic zu vermeiden.

    Das wird aber so lange nicht passieren, wie der relativ ungehemmte Alkoholmissbrauch allgemein gesellschaftlich toleriert wird.

  7. 7
    Bert Grönheim says:

    Ich halte die Berücksichtigung vermeintlich unangemessener Berichterstattung für einen Irrweg. Dem Angeklagten steht der Zivil- oder Strafrechtsweg offen. Siehe die Kausa Kachelmann. Die Kammer dürfte allenfalls ansatzweise die Hintergründe für die Journalistenschelte geklärt haben. Eine Beurteilung der Arbeit von Journalisten in einem Strafverfahren stellt für mich auch eine Vorwegnahme eines anderweit einzuleitenden Gerichtsverfahrens dar. Für mich geht diese Diskussion in die gleiche Richtung wie der immer wieder geforderte verstärkte Schutz des Geschädigten. Gerichte können die Welt nicht heile machen und Strafverfahren ohne Belastungen sehe ich auf lange Sicht nicht.

  8. 8
    fernetpunker says:

    Es müsste halt nur öfter Erwachsenenstrafrecht Anwendung finden, wenn dies möglich wäre (§ 105 I JGG). Gesetzlich soll die Anwendung des Jugendstrafrechts bei Heranwachsenden (18-20 J.) die begründungsbedürftige Ausnahme sein. In der Realität ist sie aber die Regel. Warum ist das so?

  9. 9
    jansalterego says:

    @ fernetbronco:
    Weil §§ 105ff. JGG bei ihrer Einführung 1953 nicht nur dem differenzierteren Umgang mit der traumatisierten Jugendlichen der Kriegsjahre dienen sollten, sondern ausweislich der Gesetzesbegründung als Vorstufe zur zwingenden Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende gedacht waren – vorbehaltlich kriminologischer Bestätigung der zugrundeliegenden These. Diese These, dass Jugend im (entwicklungs-)psychologischen Sinne bis in die Mitte des dritten Lebensjahrzehnts – also ungefähr 25 – andauert, ist inzwischen bestätigt; gefestigtes empirisches Wissen. Mehr noch, in den letzten 30 Jahren geht eine immer frühere körperliche Reife mit immer späterer charakterlicher Reife einher. Längere Ausbildungszeiten und immer mehr Studierende sorgen (neben der gesellschaftlichen Entwicklung) dafür, dass Jugendliche heute viel später auf eigenen Beinen stehen und Verantwortung übernehmen müssen. Insofern ist der wissenschaftlich und rechtspolitisch logische Schluss, den Anwendungsbereich des Jugendstrafrechts (das ja nicht zwingend milder sondern anders ist) noch auszuweiten.

    @ luDA:
    Was es im übrigen im Sinne von künftiger Legalbewehrung bringen soll, den Täter für 20 Jahre am Existenzminimum zu halten, ist mir schleierhaft. Punitivität und Prävention sind dem Schadensersatzrecht weitgehend fremd, es geht dort nur darum, erlittenen Schaden auszugleichen, wie der Wortlaut des Rechtsinstituts ja nahelegt.

    Wenn man den Strafrahmen des Vollrausches flexibel an der Rauschtat orientierte, würde es sich bei dem Paragraphen sodann um nicht anderes als eine kodifizierte alic handeln. Und da würde Karlsruhe zu Recht nicht mitspielen. Zudem ist es doch nur logisch, dass der Einfluss einer enthemmenden Substanz strafmildernd berücksichtigt wird. Wenn die Tat nüchtern nicht/weniger schwer passiert wäre, kann man den Täter nun mal nicht mehr in vollem Umfang dafür verantwortlich machen. Und wer in dem Alter schon mit Alkohol verantwortungsbewusst umgehen könne, der werfe den ersten Alkopop.