Hartz IV, nur gegen Gebühr

Im vergangenen Jahr sind 32.000 neue Verfahren beim Berliner Sozialgericht anhängig geworden. Das sind 20 % mehr als 2009. Die Anzahl der Richter hat sich verdoppelt. Trotzdem bekommen die Richter die Arbeit nicht vom Tisch.

Zur Zeit beträgt die durchschnittliche Verfahrensdauer 9 Monate. Für einen Hartz IV Empfänger, der um seinen Heizkostenzuschuß oder um eine neue Waschmaschine kämpft, ist das natürlich eine Zumutung. Deswegen machte die Präsidentin des Sozialgerichts, Frau Sabine Schudoma, nun einen Vorschlag.

Es solle auch von den Hartz IV Empfängern ein Gerichtskostenvorschuß in Höhe von 150 Euro verlangt werden. Damit würde dann die außergerichtliche Vergleichsbereitschaft bei den Klägern gefördert und die Anzahl der Klagen reduziert werden.

Eine echt tolle Idee: Gute 40 % seiner monatlichen Bezüge soll der Hartzi erst mal auf den Tisch des Richters legen, damit er irgendwann einmal vielleicht unter Umständen ein Urteil bekommen könnte, in dem das Gericht einen Anspruch z.B. auf einen Mehrbedarfszuschlag in Höhe von – sagen wir mal – 20 Euro monatlich feststellt. Richtig super!

In diesem Zusammenhang noch eine spannende Zahl: Etwa die Hälfte der Klagen gegen Hartz IV Bescheide sind ganz oder teilweise erfolgreich. Man könnte da vielleicht auch auf andere Ideen kommen, statt einen Gerichtskostenvorschuß zu verlangen.

(Die Zahlen habe ich einem Beitrag auf Info-Radio entnommen.)

UPDATE / Richtigstellung:
Hier gibt es eine Richtigstellung zu diesem Beitrag: Gerichtsgebühren sollen nicht – wie dem Bericht des Inforadios zu entnehmen war – vom Kläger (dem Hartz IV Empfänger) erhoben werden, sondern nur vom Jobcenter, schlug die Präsidentin des SG Berlin vor.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz veröffentlicht.

14 Antworten auf Hartz IV, nur gegen Gebühr

  1. 1
    lawdwarf says:

    Ich glaube Sie habe da was falsch verstanden. Frau Schudoma sprach sich nach den Zeitungsberichten gegen Gerichtsgebühren für die Harzt-IV-Empfänger aus!. Vgl. z.B. http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11986682/62249/Hartz-IV-Verfahren-nehmen-weiter-zu-Kein-Ende.html

    Sie ist aber für die Wiedereinführung einer Gerichtsgebühr für die Jobcenter, die bis 2006 150 EUR betragen hat und deren Abschaffung nach den Erfahrungen der Sozialrichter dazu geführt hat, dass die JobCenter ihre Bescheide weniger intensiv selbst prüfen sowie insbesondere aufwendigere Widerspruchsverfahren faktisch gleich an das Gericht abschieben.

  2. 2

    @lawdwarf:

    Da könnten Sie Recht haben. Ich zitiere die entscheidende Passage aus dem von Ihnen genannten Artikel der MA:

    Schudoma sprach sich gegen Gerichtsgebühren aus. Sie waren jüngst auch von der Brandenburger CDU gefordert worden, um die Klagezahl einzudämmen. Nicht die Gebühr für Kläger, sondern die Wiedereinführung einer Gerichtsgebühr für Jobcenter könne einen Anreiz zur außergerichtlichen Streitbeilegung schaffen. Die Pauschalgebühr für Jobcenter von 150 Euro für jedes Verfahren, an dem sie beteiligt waren, wurde 2006 abgeschafft.

    Danach sollen die Jobcenter (vulgo: Steuerzahler) die 150 Euro zahlen und nicht der Kläger. Wie das in der Praxis aussehen soll und welche Konsequenzen das für die Bearbeitung in der Behörde haben soll, erschließt sich mir vorläufig nicht. Aber ich bin ja auch kein Sozialrechtler …

  3. 3
    RA Will says:

    Ich mache zwar recht wenig Sozialrecht, bin aber in den wenigen Sachen – trotz lediglich rudimentärer Kenntnis – meist erfolgreich.

    Was wohl daran liegt, dass die meisten Sachbearbeiter weniger als Null Ahnung haben von dem was sie machen.

    Ich habe einige Bekannte, die Volljuristen sind und bei der ARGE arbeiten. Die bestätigen mir nur allzu oft, dass die „einfachen“ Sachbearbeiter oft rechtlich gesehen, ziemlichen Müll produzieren. Das Gesetz wird schlichtweg ignoriert.

  4. 4
    RA Neldner says:

    Lieber Kollege,
    die allgemeine Meinung, in Behörden gäbe es NULL Kostenbewustsein, halte ich für übertrieben. Auch Strafverteidigern dürften einige Beamtengruppen bekannt sein, die durchaus mit einigem Eifer der Staatskasse Geld sparen.
    Wenn also ein Mitarbeiter des Jobcenters im Jahr 100 Widerspruchsbescheide produziert, die (erfolgreich) angegriffen werden, wird das derzeit im Zweifel mit Achselzucken abgetan. Wenn dem Kosten von 15.000 EUR gegenüberstehen, hat das auch in einer Behörde Konsequenzen.

  5. 5
    fernetpunker says:

    Es ist wie immer: Wenn es nicht das eigene Geld ist, was es kostet, neigen die Leute (Beamten) allzu leichtfertig vorzugehen. Sind Fälle bekannt, wo Beamte in solchen Fällen tatsächlich in Regress genommen wurden für grob fahrlässiges oder vorsätzliches Fehlverhalten?

  6. 6
    cledrera says:

    Wie wäre es mit einer Mißbrauchsgebühr von bis 5.000,00 €?

  7. 7

    @Cledrera: wem? der der eine andere Rechtsmeinung vertritt? Oder der Behörde? Oder vielleicht dem Richter? ;)

  8. 8
    Verwunderter says:

    > Wenn dem Kosten von 15.000 EUR gegenüberstehen, hat das auch in einer Behörde Konsequenzen.

    Wenn die Behörde immer noch spart, weil nicht jeder, der Widerspruch einlegt am Ende auch klagt, dann nicht.

    Beim Sozialgericht Potsdam ist es beispielsweise so, dass dort zwei ganz bestimmte ARGEn besonders ins Auge stechen (Potsdam und Teltow-Fläming).

    In 2008 sollen da nur 30% der Widerspruchsbescheide der ARGE Potsdam vor dem Sozialgericht standgehalten haben. Im 2009 waren es wohl 36%, dafür hat sich die Zahl der Klagen aber fast verdoppelt.

    In Teltow-Fläming gab es wohl ständig Probleme mit der Bestimmung der „angemessenen Wohnkosten“ aber auch Verstöße gegen den konkreten Wortlauf einzelner Normen, ohne dass es da irgendetwas auszulegen gäbe.

    In der Rechtsantragstelle werden nahezu ausschließlich Textbausteine verwendet, die meist _etwas_ neben der Sache liegen. Jedenfalls wird auf die Argumente der Widerspruchsführer meist überhaupt nicht eingegangen, selbst wenn diese etwa nur das Gesetz zitieren.

  9. 9
    Scharni says:

    Ich fände das mit den 150 Euro Pauschale für Kläger gut. Es würde den Mißbrauch der Gerichte eindämmen. Wer gewinnt, der bekommt es zurück; und wer verliert, der hat dann Pech gehabt.

    Warum sollte ein Hartz4-er besser gestellt werden als der Rest der Bevölkerung?

    Wer sagt, daß die Hälfte der Kläger Recht bekommen, der muß sich bewusst sein, daß die andere Hälfte eben kein Recht hat und (mangels Masse) trotz Niederlage vor Gericht nichts bezahlt. Kann doch nicht richtig sein, daß deren unberechtigte Forderungen von der arbeitenden Bevölkerung finanziert werden sollen und sie selbst gar nicht herangezogen werden. Sowas eröffnet dem Mißbrauch und der Klagewut alle Möglichkeiten – das muß irgendwie eingedämmt werden. Für bessere Ideen als eine Gebühr bin ich offen.

  10. 10
    Huch says:

    @Scharni

    Sofern ich nicht irre gibt es doch Prozesskostenhilfe nicht nur für ALG-II-Betroffene…

    Die wichtigere frage als die nach den Kosten ist doch wohl die nach dem Menschen! Eine ARGE/Grundsicherungsamt ect. sollte doch wohl in der Lage sein seinen (zynisch? als) Kunden (bezeichneten Anvertrauten) mit allgemein verständlichen Worten zu erklären warum der Bescheid so aussieht oder die Größe besitzen eingestehen zu können das man sich geirrt habe.

    Das Modell des Bescheid-Erklärer ist wohl kein schlechter weg!
    http://www.evangelisch.de/themen/gesellschaft/hartz-iv-bescheid-erklaerer-sollen-klagen-vorbeugen14019
    Wobei die neutralität desjenigen problematisch und solche institutionellen Erweiterungen leider intern nicht ernst genug genommen werden, leider.

  11. 11
    Heinrich says:

    @Scharni

    Das ist völliger Schwachsinn: „Wer sagt, daß die Hälfte der Kläger Recht bekommen, der muß sich bewusst sein, daß die andere Hälfte eben kein Recht hat und (mangels Masse) trotz Niederlage vor Gericht nichts bezahlt. Kann doch nicht richtig sein, daß deren unberechtigte Forderungen von der arbeitenden Bevölkerung finanziert werden sollen und sie selbst gar nicht herangezogen werden. Sowas eröffnet dem Mißbrauch und der Klagewut alle Möglichkeiten“

    Schon mal von Instanzen gehört, in denen Kläger auch später noch Recht bekommen könnten?

    Zudem zieht ihr billiges Neidargument nicht. Denn wenn die Gesellschaft politisch nicht in der Lage ist, eine hinreichende Anzahl von geeigneten Arbeitsplätzen zu schaffen und die vorhandenen gerecht zu entlohnen, muss sie sich auf anderem Wege um die durch ihr Verschulden in Not Geratenen kümmern. Der einfachste Weg wäre ein geeignetes Bürgergeld.

    Nur mitdenken ist hilfreich…

  12. 12
    Scharni says:

    @Heinrich

    Ja, ich möchte auch im Kommunismus leben. Blöd nur, daß es den in Russland nicht mehr gibt. Sonst würde ich gern umsiedeln. Die Idee ist toll: der Staat sorgt für alle seine Bürger. Geld fürs „nicht arbeiten“ ist eine prima Idee.

    Optimal! Dann gibt es keine Armen und Reiche mehr, sonern alle sind gleich arm. Und es gibt Funktionäre.

  13. 13
  14. 14

    […] dem Beitrag “Hartz IV, nur gegen Gebühr” hatte ich eine Nachricht aus dem Inforadio besprochen. Offenbar handelt es sich bei dieser […]