Platzen oder Schieben und dann Aufheben

Eine üble Auswahl hatte das Gericht da zu treffen.

Am 28. Juli hatte das Gericht die Beweisaufnahme geschlossen, der Staatsanwalt plädiert und die Verhandlung wurde unterbrochen. Im nächsten Hauptverhandlungstermin – am Vormittag des 18. August – sollten noch die Verteidiger plädieren, damit dann – noch am selben Tage – das Urteil verkündet werden kann. Das war der Plan A.

Nun erkrankte aber eine Schöffin, so daß dieser Plan so nicht mehr umzusetzen war. Länger als drei Wochen darf aber eine Hauptverhandlung nicht unterbrochen werden, sagt § 229 Abs. 1 StPO. Sonst muß man eben wieder bei Null anfangen. Das will – in der Regel – keiner der Beteiligten.

Es mußte also ein Plan B herbei, der das Platzen der Verhandlung verhindern soll. Die (gesunden) Verfahrensbeteiligten änderten kurzer Hand das Programm.

    1. Es wird nicht am Vormittag verhandelt, sondern am Nachmittag.
    2. Es wird nicht im Gericht verhandelt, sondern in der Klinik.
    3. Es wird eine Urkunde verlesen.
    4. Es wird ein neuer Termin vereinbart, in dem dann der Plan A wieder fortgeführt wird.

Es ging also um einen so genannten „Schiebetermin“ (oder auch Brückentermin).

In einem solchen Termin wird dann nur ganz kurz verhandelt, erneut unterbrochen und dann ein weiterer Termin innerhalb der neuen Drei-Wochen-Frist festgesetzt. In diesem neuen Termin kann dann „ganz normal“ weiter verhandelt werden. So wird aus einer Drei-Wochen-Frist eine solche mit sechs Wochen.

Daß die Gerichtsverhandlung nicht im Gerichtsgebäude statt findet, stellt lediglich ein paar Anforderungen an die formelle Organisation, ist aber grundsätzlich zulässig

Dies erinnert ein wenig an einen flachen Steinwurf über’s Wasser: Der Stein ditscht kurz auf der Wasseroberfläche auf, springt weiter und erreicht so das andere Ufer. Eine pfiffige Idee im Zusammenhang mit einer Strafsache wegen Raubes, wie ich meine.

Solche Kunststückchen werden von der Kontrollinstanz in der Teppich-Etage allerdings nur sehr ungern gesehen. Dieser Bundesgerichtshof (BGH) fordert daher, daß ein solcher Schiebetermin nur dann zulässig ist, wenn

in ihm zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird. Dabei genügt bereits jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente (BGH NJW 2006, 3077; NStZ-RR 1998, 335). Nicht ausreichend sind dagegen so genannte (reine) ‚Schiebetermine‘, welche die Unterbrechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen (BGH NStZ 2008, 115).

Also:
Sich mal eben im Gerichtssaal (oder im Krankenhaus) zu treffen, um sich zu begrüßen (und sich gute Besserung zu wünschen), wäre zu wenig. Dann „platzt“ das Verfahren zwar nicht, dem nachfolgenden Urteil droht dann aber die Aufhebung durch das Revisionsgericht.

Im vorliegenden Fall kannten die Beteiligten – also Richter, Staatsanwalt und Verteidigung – diese Anforderungen (was nicht immer der Fall ist!). Also wurde in dem Schiebetermin ein Durchsuchungsbericht sowie das zugehörige Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokoll verlesen und damit grundsätzlich auch zur Sache verhandelt, also auf dem Weg zum Urteil voran gegangen. Das reicht grundsätzlich, auch wenn das Ganze nur acht Minuten dauert.

Trotzdem:
Hier reichte es nicht, dem BGH war die Trickserei ein bisschen viel:

Ein sachlich-nachvollziehbarer Grund, erneut in die Beweisaufnahme einzutreten, lässt sich weder dem angefochtenen Urteil oder den dienstlichen Stellungnahmen der beteiligten Berufsrichter entnehmen …

Soweit erst einmal:
Die Dreiwochenfrist ist nicht eingehalten, wenn in einem Schiebetermin nach dem Schlußvortrag der Staatsanwaltschaft erneut in die Beweisaufnahme eingetreten und nur ein relativ unwichtiges Dokument verlesen wird. Und wenn das 8-Minuten-Theaterstück dann auch noch im Hospital stattfindet, sei der Bogen überspannt. Das ist nachvollziehbar.

Spannend wird die Geschichte aber am Ende. Der BGH liefert den Praktikern einen Gedanken, der dann doch noch verhindern kann, daß der Stein in der Mitte des Sees versinkt.

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Hauptverhandlung erst an einem einzigen Sitzungstag stattgefunden hat, wäre es auch mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz noch vertretbar gewesen, die Verhandlung innerhalb kurzer Frist von neuem zu beginnen, …

Hätten also bereits mehrere Termine stattgefunden und man hätte mit demselben Steinwurf versucht, sich über die Zeit zu retten, dann sähe es doch wieder anders aus.

In der Konsequenz ist das Problem nicht eindeutig gelöst. Wenn RiAG Carsten Krumm in seinem Blogbeitrag (dem ich den Hinweis auf die Entscheidung des Gerichts entnommen habe – Danke!) tenoriert: „Schiebetermin von nur 8 Minuten ist kein echter HVT“, könnte es dann doch irgend wann ‚mal heißen: „8 Minuten reichen aus!“

Tja, der BGH, Beschl. vom 7.4.2011 – 3 StR 61/11 –, liefert einmal mehr einen Beleg für die These, daß man sich stets auf Hoher See befindet, wenn man eine Revision schreibt – egal wie schön flach die Steine sind, die man über’s Wasser wirft.

Also schieben wir in der Praxis weiter die Termine, im Einzelfall auch mal bis ins Krankenhaus.

 

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Richter veröffentlicht.

Eine Antwort auf Platzen oder Schieben und dann Aufheben

  1. 1
    Jan says:

    Wie haben sie im Krankenhaus die Öffentlichkeit hergestellt? Die Tür zum Krankenzimmer der Schöffin aufgehalten? In der Caféteria verhandelt? Ich kann es mir bildlich vorstellen…Rollatoren und Infusionsständer überall und mittendrin drei einsame Menschen in schwarzen Roben.