Richterliche Erinnerung an die Akteneinsicht

Auch unter den Hobby-Strafverteidigern („das bisschen Strafrecht machen wir doch mit links„) hat sich herumgesprochen, daß eine sachgerechte Strafverteidung nur nach Akteneinsicht möglich ist. Die eiserne Regel – erst Akteneinsicht, dann (vielleicht) eine Stellungnahme – ist eigentlich gut bekannt. Und wird meistens auch befolgt.

In der Übung für Fortgeschrittene lernt man dann, daß es nicht bei einer Akteneinsicht bleiben darf, insbesondere wenn sich das Verfahren ein wenig in die Länge zieht. Zumindest nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens und Erhebung der Anklage sollte der Verteidiger beim Gericht erneut um Akteneinsicht nachsuchen. Die Abschlußvermerke der Staatsanwaltschaft sind für die weitere Verteidigung – nun vor Gericht – nicht selten äußerst informativ.

Für Premiumverteidiger gilt dann noch die Regel, unmittelbar vor dem erstem Hauptverhandlungstermin die Gerichtsakte anzufordern. Standard ist dann zumindest der Blick in die Ladungsliste und in die eventuellen Vermerke des Richters zur Vorbereitung der Beweisaufnahme. Wenn sich dann in der Akte auch noch die Ergebnisse von Nachermittlungen der Staatsanwaltschaft befinden, ist der engagierte Anwalt bestens auf die Verteidigung  vorbereitet.

Diese Form der Informationsbeschaffung wird aber von einigen, auch  routinierten Verteidigern schon ‚mal vergessen.

Davon ging wohl auch die Strafkammer aus, bei der Anfang kommenden Monats das Verfahren beginnt. Fair, wie manche Richter nun mal sind, schreibt mir einer der beisitzenden Richter – der Berichterstatter – eine freundliche Erinnerung:

Das Schreiben hatte sich allerdings mit meinem Akteneinsichtsgesuch einen Tag zuvor knapp überschnitten. Gleichwohl ist diese mit der Zusammenfassung bestückte Erinnerung sehr hilfreich, zumal sie aller Voraussicht nach auch an die Mitverteidiger gegangen sein dürfte. Deswegen: Besten Dank von hier aus an’s (wohl mitlesende) Gericht!

 

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Verteidigung veröffentlicht.

9 Antworten auf Richterliche Erinnerung an die Akteneinsicht

  1. 1

    Auch ich habe solche freundlichen Schreiben von hessischen Strafbehörden erhalten. Bei uns in Bayern sitzt die StA und das Gericht auf den Akten. Um Akteneinsicht muss bei uns in Bayern gekämpft werden.

  2. 2
    ???? says:

    Da haben Sie Glück.
    In Bayern unvorstellbar.

  3. 3

    Nebeneffekt: Man weiss dass dieser Richter die Akte gelesen hat – sonst würde man sich die Mühe nicht machen und die unterschiedlichen Einreichungen auch nicht kennen.

  4. 4
    FJ says:

    Bei dem das Verfahren noch als Hobby durchgeht, der muss es aber schon sehr lieben (oder sonst nichts zu tun haben).

  5. 5

    Sehr fair und hilfsbereit!

  6. 6
    RA Müller says:

    Das hat nichts mit freundlich oder hilfsbereit zu tun. Das Gericht ist verpflichtet, von sich aus Mitteilung über neue erhebliche Ermittlungsergebnisse und Aktenzuwächse zu machen, auch wenn der Verteidiger nicht um erneute Akteneinsicht gebeten hat (BGH, StV 2001, 4; 2005, 652; BGHSt 36, 305).

      Besten Dank für die Hinweise auf die Fundstellen. crh
  7. 7
    malnachgefragt says:

    @RA Müller:
    Die Entscheidungen des BGH beziehen sich explizit aber nur auf Ermittlungen/Ermittlungsergebnisse während der Hauptverhandlung, im Zwischenverfahren „kann“ die Hinweispflicht ggf. auch gelten (obiter in StV 2005,625). Das dürfte damit zusammenhängen, dass während laufender HV zumindest nach wohl hM grundsätzlich keine Akteneinsicht mehr gewährt wird, im Zwischenverfahren bzw. vor der HV dagegen problemlos wie auch von Herrn Hoenig praktiziert nochmals Akteneinsicht beantragt werden kann.

    Es ist vielleicht auch nicht förderlich für das Mandatsklima, wenn der Verteidiger in der HV protestiert „Das hätten Sie mir aber vorher sagen müssen“ und der Vorsitzende dann erwidert: „War doch genügend Zeit, nochmals AE zu beantragen, außerdem geht aus der Ladungsmitteilung hervor, dass weitere Zeugen…..“

  8. 8
    RA Müller says:

    @malnachgefragt

    Ich wollte damit nur sagen, daß es vermutlich nicht reine Hilfsbereitschaft des Gerichts war, die Verteidiger auf Aktenzuwächse aufmerksam zu machen, sondern Furcht vor eventuellen Revisionsrügen, wenn der Verteidiger erst bei der Revisionsbegründung feststellt, daß er darüber nicht informiert worden ist, aber ggf. hätte informiert werden müssen.

    Gäbe es diese BGH-Rechtsprechung nicht, wären solche netten Hinweise vermutlich noch seltener. Es gibt sogar Richter, die in Unkenntnis dieser Rechtsprechung in der Hauptverhandlung tönen, das Gericht müsse ohne konkrete Akteneinsichtsanträge der Verteidigung von sich aus über gar nichts Mitteilung machen. Dieses Phänomen ist aber eher bei kleinen Amtsgerichten zu finden (Typ: bärbeißiger Amtsgerichtsdirektor in Hintertuttelbach). Strafkammern kennen in der Regel die revisionsrechtlichen Stolpersteine.

  9. 9
    Auke says:

    Ich möchte nicht als Rechtschreibnazi bezeichnet werden, aber mir ist es in der ansonsten korrekten Rechtschreibung von Ihnen schon häufig aufgefallen, Herr Hoenig.

    Bestimmte Artikel werden nicht apostrophiert – die Kurzform von „an das“ ist „ans“ und nicht „an’s“. (vgl. angegebene Website)