Rücksichtsvoller Richter

Der Mandant ist im Finanzdienstleistungsgewerbe tätig. Ihm wird vorgeworfen, im Rahmen seiner Tätigkeit einen Betrug begangen zu haben. Die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht war nicht zu verhindern, allerdings war nach dem ersten Teil der Beweisaufnahme auch der Staatsanwalt nicht mehr so felsenfest davon überzeugt, daß der Vorwurf zutrifft.

Für einen Freispruch reichte es allerdings (noch) nicht, dazu war noch mindestens ein weiterer Verhandlungstag notwendig.

Im Zuschauerraum saßen die Geschäftspartner des Mandanten, die zuvor als Zeugen ausgesagt hatten. Es waren weitere Zuhörer anwesend, die ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hatten. Der Mandant stand also am Pranger und kämpfte um seine berufliche Zukunft und wirtschaftliche Existenz.

Es war an der Reihe, den Auszug aus dem Strafregister des Mandanten zu verlesen. Der enthielt einen durchaus peinlichen Eintrag aus grauer Vorzeit. Der Richter nahm das Blatt aus der Akte …

Hier haben wir noch einen grünen Zettel, den ich den Beteiligten ‚mal zum Lesen gebe.

… und reichte ihn dem Staatsanwalt und der Verteidigung, die den Inhalt des Registerauszuges jeweils schweigend zur Kenntnis nahmen.

Bei den Zuschauern waren die Fragezeichen und die Enttäuschung in den Gesichtern erkennbar; ein Kollege, der ebenfalls als Beobachter „hinten drin“ saß, grinste sich seinen Teil.

Vor dem Hintergrund, daß der Freispruch in diesem Verfahren eher wahrscheinlich war als eine Verurteilung, war das eine faire Geste des Richters. Ein Verfahrensverstoß, ja, aber einer mit Augenmaß.

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

18 Antworten auf Rücksichtsvoller Richter

  1. 1
    Honigwespe says:

    Ist das dann überhaupt noch öffentlich?

  2. 2
    Nick C. says:

    Nein, ist es nicht. Daher ja „Verfahrensverstoß“.

  3. 3
    Satan says:

    Ach was für eine schöne Sache…. :)

    Ich liebe sowas auch immer wieder :)

  4. 4
    Pascal says:

    und der rücksichtsvolle Verteidiger rügt das dann natürlich nicht, falls es doch nicht ganz zu einem Freispruck langt ;)

  5. 5
    klabauter says:

    Es ist wohl kein Verfahrensverstoß. Der
    Richter hat sich offenbar an 243 IV 3 StPO (ergänzend: 134 S. 1 RiStBV) erinnert. Bei zu erwartendem Freispruch ist die (förmliche)Feststellung nicht erforderlich.

    Vielleicht war es aber auch eine konkludente Anordnung des Selbstleseverfahrens ;)

  6. 6
    Calabrese says:

    Was stand auf dem grünen Zettel ? Was hatte es mit dem Strafregister auf sich ?

  7. 7
    fernetpunker says:

    Trunkenheit am Steuer? Käßmann-Syndrom?

  8. 8
    A.N. says:

    @Calabrese: Sie saßen nicht zufällig an dem Tag hinten drin?

  9. 9
    fernetpunker says:

    @klabauter, das Problem könnte nur sein, dass Sie nicht auf dem Laufenden sind. Den § 243 IV 3 StPO gibt es offenbar seit 2009 nicht mehr!

  10. 10
    fernetpunker says:

    P.S.: Sorry, ist jetzt in den Absatz 5 gerutscht! Nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil.

  11. 11
    klabauter says:

    Aber ich hatte tatsächlich noch eine alte Auflage ;). Also doch nicht so ganz auf dem Laufenden gewesen…

  12. 12
    Zwerg says:

    So sind sie die Verteidiger. Sonst wird jedes Register der StPO gezogen, an allem rumkritisert und jede kleine „Verfehlung“ des Gerichts oder des StA angeprangert, als wenn das Ende des Rechtstaatses nahe wäre. Und hier? Ein glasklarer Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit wird als rücksichtsvoll hingestellt. Urkunden sind durch Verlsung in die Hauptverhnaldnung einzuführen. Konklutenes Selbstleseverfahren gibt es nicht. Kann sowas ziemlich peinlich sein für den Angeklagten? Sicher. So ist das eben bei öffentlichen Verhandlungen.

  13. 13
    vj says:

    Sollte das Gericht doch noch zu einer Verurteilung kommen, kann es vorher den Strafregisterauszug verlesen. Nur dann wird der Inhalt relevant, nämlich für die Strafzumessung.
    Es soll Richter geben, die deshalb in Fällen, wo ein Freispruch im Raum steht, alle Informationen zur Person des Angeklagten (außer Vorstrafen zB noch Einkommen) erst am Schluss abhandeln.

  14. 14
    Sebastian says:

    Ist das zufällig der Fall aus dem RSV Blog, in dem Sie sich beschwert haben, das hier die RSV die Deckung verweigert hat ( Betrug=Vorsatzvorwurf=Ausschluss bis Freispruch oder Feststellung des fehlenden Vorsatzes) ?

      Nein, das ist der andere Fall, den ich gerade bearbeite, mein Zweitmandat sozusagen. ;-) crh
  15. 15
    Sebastian says:

    Na dann ist ja gut :-)

  16. 16
    klabauter says:

    @zwerg:
    natürlich geht das nicht konkludent : deshalb auch der ;) in meinem Beitrag.

    Ein „glasklarer“ Verstoß gegen das Öffentlichkeitsprinzip liegt nicht vor. Zudem geht es eigentlich auch nicht um das „Öffentlichkeitsprinzip“, sondern um § 261 StPO.

    Wegen (und jetzt richtig zitiert) 243 V 3 StPO (war es ohne weiteres möglich, von der Verlesung abzusehen. Für Staatsanwälte auch interessant: 134 RiStBV und dort Satz 2: wenn der StA meint, dass doch noch förmlich festgestellt werden müsste, „bleibt es ihm unbenommen, hierüber eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen“.

  17. 17
    setrok says:

    Selbstleseverfahren?

  18. 18

    […] Verteidiger erzählt hiervon einem rücksichtsvollen Richter. In einem Verfahren mit Publikum verzichtete er darauf, […]