Schmerzensgeld für Folterandrohung

Magnus Gäfgen wurde rechtskräftig verurteilt, weil er den elfjährigen Jakob von Metzler  ermordet hat. Während des Ermittlungsverfahrens im Herbst 2002 wurde Herrn Gäfgen in einer Vernehmung auf Anweisung des damaligen Vizepräsident der Frankfurter Polizei, Herr Wolfgang Daschner, von zwei Polizeibeamten massive Folter angedroht.

Wegen dieser Folterandrohung machte Gäfgen mit Hilfe seines Rechtsanwalts Dr. Michael Heuchemer Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegenüber dem Land Hessen geltend. Seine Klage hatte teilweise Erfolg: Das Land Hessen muss Magnus Gäfgen 3.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

In dem Urteil des Landgerichts Frankfurt /M. heißt es, daß die Folterandrohung eine „schwerwiegende Rechtsverletzung“ sei, die nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden könne als durch die Zahlung einer Entschädigung. Den beiden Polizisten attestierte der Vorsitzende Richter, sie hätten sich vorsätzlich über das Folterverbot hinweg gesetzt, ohne dabei alle anderen Möglichkeiten, zu einem zufriedenstellenden Ermittlungsergebnis zu kommen, auszuschöpfen.

Eine mutige, meiner Ansicht nach eine richtige Entscheidung. Genauso wenig, wie das Verbrechen die Folter rechtfertigt, rechtfertigt dieses Urteil das Verbrechen. Und zur unmißverständlichen Klarstellung nun auch aus zivilrechtlicher Sicht war diese Entscheidung des LG Frankfurt notwendig.

Mehr über dieses Verfahren in der taz, hier, hier und hier.

Nebenbei 1:
Die beteiligten Beamten wurden 2004 rechtskräftig verurteilt; nicht wegen Verstoßes gegen § 343 StGB, sondern nur wegen Nötigung und Daschner wegen Verleitung zum Missbrauch der Amtsbefugnisse. Und zwar zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt (sog. Geldstrafe auf Bewährung). Eine Kompromiss-Lösung.

Nebenbei 2:
Rechtsanwalt Dr. Heuchemer hat bis zu dieser Entscheidung einen steinigen Weg zurück gelegt. Sein Antrag, Herrn Gäfgen Prozeßkostenhilfe zu gewähren, wurde zunächst vom Landgericht Frankfurt abgelehnt. „Keine Erfolgsaussichten“, hieß in dem ablehnenden Beschluß. Diese Entscheidung hob erst das Bundesverfassungsgericht auf und ordnete im Jahr 2008 an, dass Gäfgen doch Prozesskostenhilfe bekommen sollte. Erst dann konnte die Klage erhoben werden.

Geld verdienen kann man mit so einem Verfahren als Zivilanwalt nicht. Ich ziehe den Hut vor dem Durchhaltevermögen und der Kompetenz des Kollegen.

 

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Rechtsanwälte, Strafrecht veröffentlicht.

16 Antworten auf Schmerzensgeld für Folterandrohung

  1. 1
    borgdrone says:

    Sehr gut und sachlich formuliert. Danke.

  2. 2
    Andi says:

    Herr Gäffgen muss sehr dumm sein. Und anwaltlich schlecht beraten, zumindest, was die Zukunft von Gäffgen betrifft.
    Sicher, Gäffgen hat, dank seines Anwalts, 3.000 Euro zugesprochen bekommen. Aber das ist ein Pyrrhus-Sieg. Denn irgendwann, gar nicht so lang hin, wird Gäffgen in die Freiheit entlassen.
    Mit dem „Erfolg“ seiner Klage hat er sich Millionen Menschen noch mal ins Gedächtnis gebracht: Da gibt es den Kindermörder Gäffgen, der dann auch noch die Unverschämtheit besaß, Schmerzensgeld zu verlangen.

    Gäffgen dürfte damit seiner eigenen Resozialisierung einen riesigen Felsen in den Weg gelegt haben. Auswandern nach China oder so ist sicher für ihn die bessere Perspektive als nach der Haftentlassung in Dtld. zu bleiben.

  3. 3
    Max Binmuster says:

    Mit dem Verfahren auf PKH-Basis wird sicherlich kein grosses Geld verdient, mit anderen Aktivitäten vielleicht schon… (z.B.: http://www.faz.net/artikel/C31013/magnus-gaefgen-und-sein-anwalt-ehrt-eure-grossen-moerder-30073989.html)

      Dem von Ihnen zitierte Kommentar von Andreas Platthaus vom Januar 2007 war bereits damals gekennzeichnet von Oberflächlichkeiten, vermeidbaren Fehlern und nicht vorhandenen Hintergrundkenntnissen. Inhaltlich ist er heute jedoch völlig überholt. Und er drückt eine große Portion Sozialneid aus, von dem sich Herr Platthaus treiben ließ. crh

    In der Sache (Entscheidung des Gerichts) allerdings eine richtige Entscheidung.

  4. 4
    Blubb says:

    War es nicht Schadensersatz den das Gericht bewilligt hat und kein Schmerzensgeld? Naja, semantics.

    Ich muss ihrer Ansicht, Gäfgens Anwalt verdiene Respekt widersprechen. Ich finde es komplett in Ordnung wenn ein Strafverteidiger auch definitiv schuldige Kinderschänder, Kindsmörder, etc. als Mandanten annimmt, denn das Recht auf einen fairen Strafprozess hat jeder und ein Strafverteidiger ist ja nunmal vornehmlich dafür da, sicherzustellen dass auch Verbrecher nicht Willkür ausgesetzt werden. Soweit so gut.

    In einem Zivilprozess sehe ich das anders. Rein rechtlich mag hier eine Forderung bestanden haben, moralisch gesehen ist es aber das allerletzte. Deswegen kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen wie man als Zivilanwalt eine solche Forderung vertreten kann. Es war auch nicht als öffentlich wirksames Bekenntnis gegen Folter erfoderlich, wie sie selbst sagten wurden die für die Androhung von Folter Verantwortlichen bereits sanktioniert – das sollte ausreichen.

    Nach meinem persönlichen moralischen Empfinden kann ich niemanden verstehen der einen Kindsmörder mit so einer Forderung zivilrechtlich vertritt. Wie gesagt: Es geht nicht um Strafverteidigung und es geht auch nicht um ‚anständige‘ zivilrechtliche Forderungen – wenn jemand das Auto eines Kindsmörders zerstört, dann kann natürlich auch dieser auf Schadensersatz klagen. In diesem Fall jedoch kann ich nur mit dem Kopf schütteln.

    Zur Entscheidung an sich: Richtig, notwendig, aber extrem unbefriedigend. Finde es auch beeindruckend dass die Richter dieses Urteil treffen konnten, ich wäre wohl von Anfang an befangen gewesen.

  5. 5

    Die Blöd-Zeitung zeigte ein Bild des Richters am LG FF/M mit dr Frage: „Warum konnten Sie das Urteil nicht verhindern?“
    Vielleicht, weil wir in einem Rechtstaat leben?

  6. 6
    ExRA says:

    Das meint ein ehemaliger Staatsanwalt dazu – Heribert Prantl in der SÜDDEUTSCHEN: Auch nicht von der Hand zu weisen, oder?

    http://www.sueddeutsche.de/panorama/nach-folterdrohung-gegen-magnus-gaefgen-falsche-genugtuung-fuer-den-kindermoerder-1.1128206

  7. 7
    W says:

    GW 15.000 € auf PKH – also ich würd’s machen. Sehr gern sogar. #Berufsanfänger

  8. 8
    ExRA says:

    Jetzt wissen wir, für was das Urteil gut war:

    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,778624,00.html

    Da hat ein Richter doch mal mitgedacht, oder?

  9. 9
    eborn says:

    Geld verdienen kann man mit so einem Verfahren als Zivilanwalt nicht.

    Wir können ja heute abend in unser Kissen weinen ;-).

      Ich muß nicht weinen, ich bin kein Zivilanwalt. crh
  10. 10
    ExRA says:

    Tja, das gute alte Aufrechnungsverbot:

    http://www.lawblog.de/index.php/archives/2011/08/05/gfgen-wird-sein-geld-bekommen/

    (wenn Meister Hoenig selbst schon vor lauter Kanzlei-Arbeit keine Zeit hat, seinen Lieblingsblogger Vetter zu verlinken…)

      Ich habe mir die Zeit genommen und es dann mal nachgeholt. Danke für den Link. crh

      >

  11. 11
    Pandur2000 says:

    Die Bild findet das übrigens ekelerregend. Das wiederum löst in mir einen Brechreiz aus.

      Sie sind aber ganz schön mutig, sich hier als Bild-Leser zu outen. crh
  12. 12
    Waldbaer says:

    Mich interessiert die moralische/ethische Frage ein bisschen mehr, als das Juristische.

    Was ist eigentlich „Menschlichkeit“?

    Niemand will „Unmenschen“. Aber sollte man sich selbst angesichts eines solchen zu einem ebensolchen machen dürfen/sollen“?

    Ich finde: Nein.
    So sehr ich auch Pragmatiker bin, irgendwo muss die Grenze sein.
    Frage in die Runde: wie seht ihr das?

    LG Waldbaer

  13. 13
    Jan says:

    Ich hätte es gern gesehen, wenn der Gaefgen mehr als 10.000€ zugesprochen bekommen hätte.

    Allein schon als Signal an die deutschen Ermittlungsbehörden und -beamten, die hier auf ganzer Linie versagt haben, sich so an Gesetz und Ordnung zu halten, wie sie es von jedem Bürger verlangen.

    Weder in der StPO noch in der RiStBV ist davon zu lesen, dass ein Mörder, nichts anderes ist der Gaefgen, keine Rechte mehr haben soll.

    Und wenn, nach Meinung des Gerichts, die Vernehmungsbeamten dem psychischem Druck einer Vernehmungssituation nicht gewachsen waren, für welche diese eigentlich ausgebildet werden, sind diese Beamten fehl am Platze und sollten lieber Laub fegen oder nachts auf der Autobahn Lichter fangen!

    Polizeibeamte, denen die Rechte der Bürger am Ar… vorbeigehen, gibt es genug hier in Deutschland. Nur leider wird dieses nicht von der Justiz geahndet.

    Die Grenze ist in den Gesetzten definiert. Da steht drin, was erlaubt ist, was nicht und wie Verdächtige zu behandeln sind. Die Androhung oder Ausführung von Folter findet sich zu keinem Tatbestand legitimiert.

  14. 14
    Andi says:

    @Jan

    Faszinierend, dass manche Menschen – Sie zum Beispiel – nicht im Geringsten zu Empathie fähig zu sein scheinen.

  15. 15

    […] Aktuell wird überall darüber berichtet, dass Herr G. es geschafft hat, Schmerzensgeld zu bekommen. Es finden sich sachliche Darstellungen, z.B. hier und hier. […]

  16. 16
    Jan says:

    @Andi

    Hat mit Empathie nichts zu tun. Die Tat ist verwerflich. Aber darum geht es nicht.

    Es ging mir nur darum, dass Ermittlungsbehörden sich – straflos – für keinen Furz an die gesetzlichen Vorschriften halten und machen, was sie wollen.

    -> 2 BvR 2225/08

    RA Hoenig wird bestimmt ein Liedchen von rechtswidriger Beweismittelbeschaffung singen können, gefolgt von den anschließenden, meist vergeblichen Versuchen, hier ein Beweismittelverwertungsverbot durchsetzen zu können.