U-Haft schafft Rechtskraft. Ein unter den Strafjuristen bekanntes Sprichwort. Nachfolgend dazu ein Beispiel aus der Praxis.
Die Staatsanwaltschaft beantragt den Erlaß eines Haftbefehls gegen einen Beschuldigten, von dem sie erwartet oder weiß, daß er – anwaltlich beraten – sich durch Schweigen verteidigen wird.
Den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. II Nr. 2 StPO) bekommt ein geschickter Staatsanwalt relativ einfach dargestellt. Schließlich steht man noch mitten in den Ermittlungen, die nach aktueller summarischer Prüfung auf eine hohe Straferwartung „hoffen“ lassen. Der im Zweifel überlastete Haftrichter glaubt dem Staatsanwalt alles, was er ihm erzählt; der Haftbefehl wird erlassen, der Beschuldigte gepflückt und eingetütet.
Wenn der Verteidiger in diesem Moment nicht aufpaßt, wird aus dem schweigenden Mandanten ein singendes Vögelchen. Das wissen die Ermittler im Zweifel auch.
In einem Fall wurden gleich mehrere Beschuldigte verhaftet und in der Untersuchungshaftanstalt verwahrt. Ein Teil der Beschuldigten war entsprechend instruiert: Erst die Akteneinsicht, dann schaut man weiter. Bis dahin: Eisernes Schweigen. Die Ermittlungsbehörden (Polizei und(!) Staatsanwaltschaft) hatten in diesen Fällen auch schon Post erhalten: „Keine Vernehmung ohne Verteidiger!“
Ein anderer Teil der Beschuldigten wurde nicht so oder anders beraten. Zudem hatte ein Verteidiger beiläufig verlauten lassen, daß er vier Tage lang nicht in der Stadt sei. Sozusagen ein Supersonderangebot für die Ermittlungsbehörden.
Begleitet von drei Kriminalbeamten stand der Herr Staatsanwalt einen frühen Vormittag quasi in der Zelle des Mitbeschuldigten. Es hätten sich noch einige neue Gesichtspunkte ergeben, über die man mal eben reden müsse … eilig … unaufschiebbar.
Natürlich war die Partnerin des Mitbeschuldigten ein Thema, das angesprochen wurde. Auch die Rechtsfolgen des § 46b StGB, die reduzierte Straferwartung im Falle des Verrats der Aufklärungshilfe, wurden erörtert (insbesondere das Müller-Prinzip in diesem Zusammenhang: Wer zuerst singt, bekommt den Rabatt). Dazu der Haftschock, der fehlende Fernseher, Nikotinentzug und die Sorgen um die Zukunft. Und Freitag hat der Haftrichter zufällig Zeit, um noch vor dem Wochenende schnell mal einen Haftprüfungstermin dazwischen zu schieben.
Man kann es dem Mitbeschuldigten nicht übel nehmen, wenn er diesem Druck nicht standhält. In dem beschriebenen Fall folgten knapp 20 Stunden Vernehmung an drei Tagen. Im Protokoll war natürlich zu lesen, daß der Mitbeschuldigte ausdrücklich auf die Hinzuziehung eines Verteidigers verzichtet hat.
Hart an der Grenze, ganz nah dran, so eine Ermittlungsstrategie. Wie gesagt: Das muß ein Verteidiger vorher wissen, bevor es zu spät ist, wenn er aus dem Kurzurlaub wieder zurück kommt.
Tja, wenn man als Verteidiger schon Vokabeln wie Verrat bemühen muss, wenn Kriminelle sich eben wie Kriminelle benehmen, nämlich Vorteile für sich auf Kosten anderer herausschlagen, wo es nur geht, (pardon, natürlich nicht Kriminelle, sondern unschuldsvermutet nur: Beschuldigte), die von einem Teil der Verteidiger aufgebaute Schweigemauer zum Bröckeln gebracht wird und die schöne Strategie also nicht aufgeht, muss man solche Methoden wohl als „hart an der Grenze“ bezeichnen. Hat der eine eben dem „Druck“ der Ermittler nicht standgehalten, während die anderen dem Gruppenzwang folgen.
Wenn’s der Wahrheitsfindung dienlich ist …
Welche Wahrheit meinen Sie? Die der Staatsanwaltschaft, des Gerichts, der Zeugen oder des Beschuldigten? crh
Den Verteidiger mag es hart ankommen, aber den Bürger freut es, wenn Kriminelle auspacken.
Außerdem agieren nicht wenige Verteidiger auch hart an der Grenze (und rühmen sich noch damit). Von daher: Warum soll die Gegenseite das nicht tun?
Einfach das Geständnis in der Verhandlung widerrufen, wo ist das Problem? § 136a StPO!
@fernetpunker: Das Problem ist, dass Sie von §136a StPO wenig Ahnung haben…
Den Nikotinentzug eines Insassen zu einem Geständnis auszunutzen, wie im Sachverhalt angedeutet wird, kann ich mir schon im Sinne dieser Vorschrift als problematisch vorstellen. Wenn ich Verteidiger wäre, würde ich jedenfalls so argumentieren. Wie denn auch sonst? Ansonsten fiele mir nur noch § 136 I 2 StPO ein, aber ich bin ja auch kein Strafverteidiger. Muss ich schließlich auch nicht sein, um hier kommentieren zu dürfen!
Och Kinners,
nun lasst doch mal das Anwaltsgebashe – nervt schon genug beim @nebgen.
Dieser hier macht seinen Job und lässt die Leserschaft daran in überaus unterhaltsamer Weise teilhaben.
Natürlich wäre ich auch froh, wenn ich als Geschädigter eine fähige Staatsanwaltschaft hätte, die „in meinem Sinne“ ermitteln würde. Und, wenn ich Richter hätte, die ihr Handwerk verstehen.
Alleine, in dieser unserer bunten Republik ist mein Glaube an den Staat und seine Organe einigermaßen erschüttert (wohlgemerkt, ohne jemals selbst – außer einer Scheidung – vor Gericht gestanden zu haben).
Das einzige, was ich den Anwaltsbashern zu Gute halte ist, dass ein bloggerischer Gegenpol fehlt. Nach dem Seppuku von Ballmer haben wir Leser keine „Gegendarstellung“ mehr (wobei die basher hier dort wahrscheinlich genauso gebasht haben werden).
Ein Ratschlag für die Trolle und Aufgergten:
„Leeve und Leeve lasse“, wie wir Kölner immer sagen ;-)
@Andi:
Dich freut es. Andere Bürger würden gerne in einem Staat leben, in dem man dem Beschuldigten die freie (!) Entscheidung lässt, ob und wie er sich einlassen will.
@lurker
Ich kann – zugegebenermaßen als Laie – nicht erkennen, dass der Beschuldigte hier zu etwas gezwungen wurde, was er nicht wollte.
Verteidiger nutzen im Interesse ihrer Mandanten jede legale Möglichkeit bis zum letzten.
Warum sollten die Ermittlungsbehörden es nicht ebenso halten?
Natürlich werden Ermittler das gerne als noch erlaubte „kriminalistische List“ verkaufen oder darauf hinweisen, daß der Beschuldigte ja freiwillig ausgepackt hat. Die Frage ist: wie frei in seiner Willensentscheidung ist ein (zumeist) eher einfach gestrickter Bürger, der in einer Zelle sitzt, von mehreren Ermittlungsbeamten „überfallen“ und – mal kumpelhaft, mal nachdrücklich – auf die positiven Wirkungen eines Geständnisses „hingewiesen“ wird.
Es geht nicht darum, ob die Mehrheit der Bevölkerung etwas gutheißt (siehe Guttenberg), sondern darum, ob wir moralische, ethische und rechtliche Mindeststandards einhalten, die die Mehrheit der Bevölkerung nicht zutreffend zu beurteilen vermag. Wenn wir in allen Fragen stets dem Mehrheitswillen der Bevölkerung entsprächen, wären wir kein Rechtsstaat. Gesetze sollen das Volk auch vor seinem eigenen unvernünftigen Mehrheitswillen schützen.
Wie man’s als Strafverteidiger mit dem Geständnis und so richtig macht, kann man z.B. hier nachlesen:
http://www.zeit.de/2003/13/Metzler-Anwalt
[…] Die Nachvernehmung. […]