Vorbereitung eines Plädoyers

Der Anklagevorwurf stützt sich im Wesentlichen auf die Aussage eines einzigen Zeugen. Der Zeuge war zur Vorfallszeit 16 Jahre alt. Die Verhandlung gegen den Angeklagten fand drei Jahre später statt. Der Zeuge ist dann also 19 Jahre alt.

Sind also tatsächlich nur drei Jahre zwischen dem Vorfall und der Gerichtsverhandlung vergangen? Oder doch ein paar Jährchen mehr?

Jeder Ältere kennt das Phänomen, daß mit zunehmendem Alter die Zeit schneller vergeht. Im Alter von 17 Jahren wartet man ewig bis zu Volljährigkeit. Das eine Jahr bis zur Erteilung der Fahrerlaubnis zieht sich wie Gummi. Andererseits dauert die Zeit zwischen dem 64. Lebensjahr und der Pensionierung mit 65 gefühlte zwei Wochen. Um diese Erfahrung einmal griffig darstellen zu können, ist die folgende Berechnung hilfreich.

Der Zeuge ist in den drei Jahren um 18,75, also rund 19 %, bzw. für die Nichtmathematiker: um 20 % älter geworden. Der Richter, der die Sache verhandelt, steht kurz vor seiner Pensionierung, gehen wir – höflicherweise – mal von einem Alter von 60 Jahren aus. Dann ist der Richter in den drei Jahren seit seinem 57. Geburtstag um 5,26, also runde 5 % gealtert.

Daraus läßt sich nun der Schluß ziehen, daß der 16-jährige Bengel fast viermal schneller alt geworden ist als der Richter. Dies voraus geschickt sind – aus Sicht des Zeugen – seit dem Vorfall auf dem Bahnhofsvorplatz nachts um 23 Uhr nicht drei Jahre vergangen, sondern – ganz grob gerechnet – derer 12!

Wenn man nun noch berücksichtigt, daß der Zeuge zur Vorfallszeit mit reichlich Bier befüllt war, stellt sich die Frage, ob sich ein besoffener Heranwachsener nach 12 Jahren noch richtig daran erinnert, von wem er eins auf die Omme bekommen hat.

Im Zweifel wohl kaum … 8-)

 

Dieser Beitrag wurde unter Verteidigung veröffentlicht.

16 Antworten auf Vorbereitung eines Plädoyers

  1. 1
    B. says:

    Allerdings könnte es auch sein, dass das Erinnerungsvermögen eines 16 Jährigen ca. viermal
    so gut ist wie das eines über 55 Jährigen ;)

    insoweit…

  2. 2
    Johannes says:

    Lustiger und vor allem guter Ansatz, der mich überzeugen mag bis auf einen Punkt. Am Ende verwenden Sie die relativen 12 Jahre als absolute Zahl. Das stört mich und würde mich nicht überzeugen.

  3. 3
    Hubertus says:

    nach 3 jahren erst die anklage. soviel mal wieder zum thema „faires und zügiges verfahren ist ein menschenrecht“

    spätestens wenn man in der zeugenbefragung in detail geht, wird der zeuge nichts mehr groß sagen können

    wer merkt sich denn 3 jahre lang details. ich zumindest höchstens grobe eckpunkte

  4. 4
    RA Splendor says:

    Nette Berechnung. Ich schlage als neues Logo für Ihren Blog das Foto eines hübschen Milchmädchens vor.

  5. 5
    RA Baumbrecht says:

    Welche Chance hat schon die kalte Welt der Zahlen gegen die Poesie eines nonchalanten Amtsrichterspruchs?

    Meinem Mandanten wurde kürzlich vorgeworfen, vor fünf (!) Jahren zwei damals 13-Jährigen einen Joint überlassen zu haben. Der Mandant bestreitet. Die heute 18-jährigen Mädels hatten, auch äußerlich sichtbar, in dieser Zeit drei volle Leben geführt und konnten sich nach vielen turbulenten Jahren nicht mehr an einen solchen Vorfall (wann, wo, wie, hä?) erinnern. Das hat das mutige Amtsgericht nicht gehindert, die Anklagevorwürfe voll und ganz bestätigt zu sehen. Denn daß die Zeuginnen und der Angeklagte schon einmal gekifft haben, war unstreitig. Ergo müssen sie es vor 5 Jahren 3 Monaten und 4 Tagen gemeinsam getan haben. Geht ja aus Sicht eines 62-jährigen Amtsrichters gar nicht anders. Und dieses Ergebnis paßte schließlich auch zur Anklage.

    Mal schauen, wie die Berufungskammer das sieht.

  6. 6
    Milchmann says:

    @ RA Splendor:
    So wie dieses hier? ;-)

  7. 7
    Ben says:

    Selbst wenn sich die Zeugen nicht erinnern, wird die Frage des Richters kommen, ob das, was sie damals bei der Polizei ausgesagt haben, zutreffend war. Und schwups reicht es für die Verurteilung.

    Same procedure every day…

  8. 8
    MarcS says:

    Der Grund, warum die Zeit immer schneller zu verstreichen scheint, je älter man wird, ist bekannt. Der menschliche Erinnerungsspeicher füllt sich im Laufe der Jahre, und das Gehirn braucht immer länger, um neue Eindrücke mit existierenden zu vergleichen und einzusortieren. Somit bleibt weniger Zeit (bzw. Rechenleistung) übrig, um die restlichen Tagesaufgaben zu erledigen. Ein junges Gehirn braucht wenig zu vergleichen und zu sortieren, also steht fast die volle Kapazität zur Verfügung. Somit bleibt mehr Zeit zum Reflektieren, ja zum Langweilen – die Zeit vergeht für Junge wirklich langsamer.

  9. 9
    Sarnold chwarzenegger says:

    Das war doch Satire, oder?

    Als Richter würde ich sowas wohl als ungewollt witzigen Akt der Verzeweiflung aufnehmen. Es muß also Satire sein.

  10. 10
    ???? says:

    Leider keine Ente ist mein folgendes Erlebnis mit der Justiz, wobei es um das Sozialrecht ging und hier ist immer Amtsermittlung des Sozialgerichtes angesagt.

    Ich hatte, damals „normal“ arbeitslos, als es Hartz IV und SGB II noch gar nicht gab, mit einer Sachbearbeiterin über die Probleme und Ärgernisse einer Zeitarbeitsfirma sprechen wollen. In dieser Zeit absolvierte ich ein „Praktikum“ mit Genehmigung des Amtes, welches sogar Fahrgeld bezahlte. Hatte zwar Berufsabschlüsse, aber die Firmen holen sich gern kostenlose Arbeitskräfte von der Behörde und die Behörde kann dann etwas abrechnen (Aktivierung/ „Motivationstraining“ oder so.

    Na gut. Arbeit ist keine Schande. Während ich acht Stunden am Tag brav Praktikum machte, kam man in einer anderen Abteilung der Behörde auf die Idee, ich solle „Initiativbewerbungen“ an Zeitarbeitsfirmen schicken. Die wissen sich dann immer vor Freude kaum noch zu lassen und dekorieren mit diesen Stapeln ihre Fensterbänke.

    Der Praktikumsarbeitgeber rief in der Behörde an, sagte, dass ich doch gerade das Praktikum begonnen hätte und was nun wäre. Das geht in Ordnung, hieß es. Das kam dann sogar schriftlich. Die andere Abteilung fand einen Paragraphen: Arbeitsaufnahme vor Praktikum. Arbeitsverweigerung!!!!
    Damals war ich noch in den Fängen der Zeugen Jagodas!

    Einer alleinerziehenden Mutter mit Kindern wurde der Geldhahn abgedreht, und das über ein Vierteljahr, so waren damals die Gesetze. Und das bei den Mieten im süddeutschen Raum. Ich zur Widerspruchsstelle, weiße Bluse, Kostüm, Hinweis auf das Praktikum und die Kinder – zwecklos.

    Dann zum Anwalt für Sozialrecht. Der erste Prozess dauerte viereinhalb Jahre, man wollte die Zeugin (Sachbearbeiterin) hören. Diese kam nicht. Ich gewann, aber die Behörde ging in Berufung. Das Landessozialgericht wollte alles richtig machen und lud die Zeugin erneut ein. Diese entschuldigte sich mit einer Risikoschwangerschaft und Zwillingen. Man wartete. Der Berufungsprozess ging auch über viereinhalb Jahre, wobei die Besetzung der Kammer und des Senates gewechselt hatte und der Anwalt mit der ganzen Kanzlei umgezogen war.

    Die Zeugin hatte auch nach neun Jahren keine Zeit, zu erscheinen. Die Begründung hieß diesmal, dass sie umgezogen sei und und nun drei Kinder hätte. Völlig entnervt hat der Vorsitzende nach neun Jahren festgestellt, dass das Geld an mich zurückzuzahlen ist, weil ich ja das Praktikum absolviert hätte.
    So verhängnisvoll kann ein vertrauliches Gespräch von Frau zu Frau enden.

  11. 11
    Hans says:

    Ein besoffener Heranwachsener wird sich auch nach 20 Jahren noch richtig daran erinnern, von wem er eins auf die Omme gekriegt hat.

    Zumindest, wenn das eine Einzelerscheinung war. Wäre jetzt eher so meine These.

    -Hans

  12. 12
    RA JM says:

    @ ????

    Naja, wenn es denn jedenfalls verzinslich war. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gibt es bei keiner Bank. ;-)

  13. 13
    ???? says:

    Habe die Zinsen bekommen.
    Kein Scherz.
    Allerding hat der Anwalt im Laufe der Jahre mehrmals geflucht und einmal hat er die Akten etwas unwirsch gegen die Schreibtischkante geknallt.
    Das war mir schnuppe.
    Die attraktive Gattin des Anwaltes hat mich neun Jahre lang feindselig gemustert. War mir auch schnuppe.

  14. 14
    Andreas says:

    Nun ja, ich kenne leider 64jährige, bei denen das Gestöhne über die doch so lange und unerträgliche Zeit bis zur Pensionierung eher auf ein anderes Zeitempfinden hin. Bei mir selbst hingegen denke ich rückblickend, dass die – aus heutiger Sicht sorgenfreie und schöne – Oberstufenzeit wie im Fluge vergangen ist. — Ich habe meinen Führerschein aber auch im Ausland gemacht und sodann mein erstes Auto schon mit 17 gehabt :-)

  15. 15
    malnachgefragt says:

    @Hubertus:
    Ihr erster Fehler:
    Nicht nach 3 Jahren Anklage, sondern nach 3 Jahren erster Hauptverhandlungstermin
    Ihr 2. Fehler:
    Der Trugschluss: weil angebliche Tat vor 3 Jahren und jetzt erst „Anklage“ > Verfahrensverzögerung bei Justiz/Polizei. Verfahrensdauer kann auch nicht abschließend folgende Gründe haben:vermeintlicher Täter bekannt, aber für längere Zeit ins Ausland verreist/untergetaucht. Vermeintlicher Täter noch nicht bekannt, weil Zeugen lügen. Vermeintlicher Täter noch nicht bekannt, weil erst nach 3 Jahren dem Tatverdächtigen eine DNA-Probe entnommen wird und ein Treffer mit der DNA-Spur aus der Tat erfolgt. Vermeintlicher Täter wird erst nach Jahren aufgrund eines Überwachungsvideos identifiziert.
    Also erst einmal durchatmen und nachdenken, ehe man von Menschenrechtsverletzungen zum Nachteil des vermeintlichen Täters dahersprudelt.

  16. 16

    […] Kollege Hoenig hat in seinem Beitrag  “Vorbereitung eines Plädoyers” sehr überzeugend geschildert, dass nach einer Zeitspanne zwischen Straftat und Hauptverhandlung […]