Wertschätzung

Bei dem Mandanten steht die gesamte berufliche und außerberufliche Existenz auf dem Spiel. In einer sehr persönlich geführten Auseinandersetzung zwischen ihm als Angeklagten und seiner Exfrau als Nebenklägerin wurde er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die für ihn das Aus bedeutet, wenn sie rechtskräftig würde.

Die Strafaussetzung zur Bewährung verhinderte zwar die Inhaftierung, aber wenn diese Vorstrafe in sein Register eingetragen würde, wäre seine akademische Ausbildung ein Fall für die Pinwand. Und sein ausländerrechtlicher Status würde sich ebenfalls schlagartig verändern.

Der Mandant beauftragt mich nun mit der Verteidigung in der Berufungsinstanz. Ich vereinbare mit ihm ein angemessenes Honorar, er schickt mir die unterschriebene Vergütungsvereinbarung zurück, wir besorgen die drei Bände Gerichtsakten und stellen ihm die Kopien als PDF in unserer WebAkte zur Verfügung

Auf meine Vorschußkostenrechnung teilt er mir mit:

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt! Ich habe zur Zeit viele Raten zu bezahlen, überweise Ihnen zunächst einen Teil des Honorars und werde in den nächsten Tagen anrufen, um einen Besprechungstermin zu vereinbaren. Mit freundlichen Grüßen.

Heute geht seine Teilzahlung ein. 80 Euro.

Offenbar ist ihm die Verteidigung seiner Lebensgrundlage nicht mehr wert. Ich bin mir sicher, daß er für diesen Betrag keine halbe Stunde arbeiten würde. Und bin gespannt auf das, was er von mir für diese Teilzahlung erwartet.

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten veröffentlicht.

16 Antworten auf Wertschätzung

  1. 1
    rita porenski says:

    Sie sind ein richtiger Schnösel. Andere Leute arbeiten dafür eine ganze Woche!

  2. 2
    Kampfschmuser says:

    Da „lacht“ das Unternehmerherz… :/

  3. 3

    Es wird sich wohl um die Dokumentenpauschale für die Kopien handeln.

  4. 4
    RA Christian Jacoby says:

    Ein kulturelles Missverständnis: Anwälte, die im Pulli herumlaufen, verstehen sich deshalb noch lange nicht als Sozialinstitut.

  5. 5
    Gerd says:

    Für 80,- Euro gibt es keinen Besprechungstermin…

    @rita porenski

    Den Selbständigen will ich sehen, der für 80,- Euro die ganze Woche arbeitet und nach drei Monaten noch nicht insolvent ist.

  6. 6
    Joerg says:

    Für die 80 Euro würde ich ihm nen Kaffee (was er eigentlich nicht verdient hätte) anbieten und ihm mitteilen, dass ohne vollständige Vorschusszahlung nix läuft, vielleicht sollten Sie ihm den Ernst der Lage nochmal erklären. Wenn es schon so beginnt und man nicht zu Beginn ausreichend Vorschuss einfordert (eines der wenigen Privilegien, die man als Anwalt hat) läuft man nur seinem Geld hinterher oder sieht es gar nicht mehr. Die Typen versuchen es halt immer wieder.

  7. 7
    Ann O. Nym says:

    Ist immer knifflig wenn man zuwenig Geld hat… vielleicht ist die Miete auch fällig… Strom… etc…

  8. 8
    fernetpunker says:

    Tja, da fällt es schwer, sich nicht ausländerfeindlich zu äußern.

  9. 9
    Tourix says:

    Hat er eine Null vergessen ?
    Jetzt am Jahresanfang fallen natürlich eine menge Rechnungen an, dadurch kann schon mal ein finanzieller Engpass entstehen, aber trotzdem sollte eine Anzahlung deutlich höher sein.

  10. 10
    Pong_Lenis says:

    …macht gut 2h Häger !

  11. 11
    ojessen says:

    @ Annonym: Die Miete kann auch mal einen Monat warten, deswegen fliegt man nicht gleich raus. Wenn man mehr Rechnungen hat als Geld, muss man die Prioritäten richtig setzen, was zuerst bezahlt wird.

  12. 12
    mir says:

    Sehr geehrter Mandat,

    ich habe zur Zeit viele Prozesse laufen. Bitte haben Sie Verständnis, wenn ich Ihnen als Teilleistung die ersten beiden Absätze der Berufungsbegründung zusende. Ich werde Sie in den nächsten Wochen zur Fortsetzung anrufen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Ihr Verteidiger

  13. 13
    Ulrich Dost says:

    Sehr geehrter Mandant,
    für die Überweisung von 80 € bedanke ich mich. Ich habe selbstverständlich die dafür zu erbringende Arbeit geleistet, in dem ich die ersten 15 Seiten (aus Bd. I der Hauptakte) gelesen habe. Nach Eingang weiterer Teilzahlungen arbeite ich an den insgesamt 18 Band Hauptakten entsprechend der Höhe des jeweils eingehenden Betrags weiter.

    Mit freundlichen Grüßen

  14. 14
    Toni says:

    off topic:
    SPON zitiert Ihre Einschätzung :)

  15. 15
    Tourix says:

    Mandant: „Was bekomme ich denn für 80 € ?“
    Rechtsanwalt: „Eine Rechnung.“

  16. 16
    Ralf Reztler says:

    Dieses Problem habe ich komischerweise auch, es handelt sich ausschließlich um arabische Mandanten.

    Das ist nicht ausländerfeindlich gemeint, sondern irgendeine kulturelle Eigenheit, die ich weder bei Türken, Italienern oder Deutschen erlebe.

    Da verdient einer gute € 3000 monatlich, hat relativ sichere € 8000 in einem Prozess zu gewinnen und will die Sache nach der ersten Kostenrechnung abblasen oder Raten à € 50 zahlen…

    Jetzt hat er wenigstens alle Kosten bis jetzt beglichen und ich habe die Sache beendet, diese ist jetzt am 31.12.2010 verjährt.