Monatsarchive: Februar 2012

Die Mühlen der Justiz

Das Ergebnis einer Verteidigung durch aktives Nichtstun:

Das Verfahren war wegen Eintritts der absoluten Verjährung einzustellen.

Der Betroffene soll die Ordnungswidrigkeit am 24.10.2009 begangen haben. Nach Erlass des Bußgeldbescheides beträgt die Verjährungsfrist nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 OWiG sechs Monate, da gemäß § 17 OWiG die Höhe der Geldbuße maximal 1.000,-€ beträgt. Die absolute Verjährung beträgt gemäß § 33 Abs. 3 S. 2 OWiG zwei Jahre, denn dies ist die Mindestfrist. Diese Frist beginnt mit der Tathandlung zu laufen Sie endete damit am 24.10.2011.

Einfach im richtigen Moment das Richtige unterlassen.

Dies ist übrigens die korrigierte Variante des grottenfalschen Urteils vom 15.11.2011, das Rechtsanwalt Tobias Glienkeerstritten“ (s.o.) hat.

Gegen das Fehlurteil hat er schlicht „Rechtsmittel“ eingelegt und beantragt, das Urteil aufzuheben. Diesem Antrag hat das Gericht per Beschluß stattgegeben:

Das Urteil ist mit dem genannten Tenor nicht ergangen. […] Das hier aufzuhebende Urteil ist irrtümlich abgesetzt worden.

begründete der Richter seinen Beschluß und schickte ihn erneut an den falschen Verteidiger. Naja, im Ergebnis paßt’s ja. Über alles andere können die Theoretiker diskutieren.

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Der Blutdruck des Zeugen

Der Zeuge aus Berlin war vor Gericht geladen. Um 9:30 Uhr sollte er in Hamburg sein. Aus eigener (leidvoller) Erfahrung weiß ich, daß man dazu um 7:00 Uhr am Berliner Bahnhof sein muß. Das heißt in meinem Fall: Der Wecker klingelt mit einer 5 vor dem Doppelpunkt.

Der Zeuge war pünktlich beim Gericht in Hamburg. Es fehlte allerdings überraschend einer der Angeklagten, so daß der Termin nicht stattfand. Irgendwann nachmittags war der Zeuge wieder in Berlin.

Eine Woche später: Der Zeuge war wieder um 9:30 Uhr beim Gericht, der selbe Angeklagte nicht. Es gab ein gesundheitliches Problem. Der Zeuge hatte nun auch eins, mit seinem Blutdruck. Nachmittags war er wieder in Berlin.

In der Woche danach war der Angeklagte wieder gesund, der Zeuge aber nicht beim Gericht. Trotz ordnungsgemäßer Ladung. Der Vorsitzende Richter hatte seinen Blutdruck im Griff. Der Zeuge wohl nicht, er hatte sich kurz vor dem Termin telefonisch auf der Geschäftsstelle krank gemeldet und war danach nicht mehr erreichbar.

Richter können manchmal richtig hartnäckig sein. Also: Ein vierter Versuch sieben Tage später. Zeuge geladen. Zeuge nicht erschienen. Keine Entschuldigung.

Der Kundige weiß, was nun kommt: Die Vorführung. Auf den Fall bezogen heißt das: Der Zeuge wurde am Vorabend des fünften Anlaufs von der Berliner Polizei gepflückt und in eine Vorführzelle in Hamburg verbracht. Dort wurde er am nächsten Morgen zeitig geweckt und dann von einem Hamburger Polizisten zum Gericht eskortiert.

Pünktlich um 10:30 Uhr war er dort. Seine Vernehmung begann allerdings erst um 12:00 Uhr. Solange warteten der Polizist und der Zeuge draußen auf dem Flur.

Der Zeuge wurde in den Saal gebracht. Er sah nicht so aus, als wenn er gut geschlafen, frisch geduscht und lecker gefrühstückt hätte. Das Gegenteil schien der Fall gewesen zu sein – dem Gesichtsfarbe und seiner Frisur nach zu urteilen.

Bei der Angabe seiner Personalien hörte man seinen Blutdruck auch auf den hinteren Plätzen im Saal. Dann erfolgte die erste Belehrung durch das Gericht. Von wegen Wahrheit und so.

Da der Zeuge in einer gewissen kritischen Nähe zu den Angeklagten gestanden hatte, wurde ihm eine zweite Belehrung zuteil. Die nach § 55 StPO: Er muß nicht aussagen, wenn er sich dadurch der Gefahr aussetzt, daß dann gegen ihn ermittelt wird. Ihm stand sogar ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu. Wegen der äußerst kritischen Nähe.

Aus dem von mir geführten – vollständigen (!) – Wortprotokoll

    Vorsitzender Richter:
    Sie müssen hier also gar nichts sagen, wenn Sie nicht wollen. Wie halten Sie es? Möchten Sie aussagen?

    Zeuge:
    Nein!

    Vorsitzender Richter:
    Dann sind Sie als Zeuge entlassen. Ich hoffe, Sie haben genug Geld für die Rückfahrkarte dabei. Tschüß.

Der Zeuge verläßt wortlos den Saal.

Es ist erstaunlich, was menschliche Blutgefäße für einen Druck aushalten können.

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Alles so schön bunt hier

In Nordrhein-Westfalen läßt der Justizminister ein paar Zellen rosa streichen. Er meint, rosa beruhige die Nerven der Häftlinge, die mit einem gesunden (?) Selbstbewußtsein ausgestattet sind.

Der Knast, heute mal in rosa

Die Leiterinnen der Justizvollzugsanstalten Hagen und Dortmund freuen sich sehr über die frische Farbe im Knast.

Das war dem Spiegel eine Meldung wert.

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Das Laser-Bärchen auf dem Backblech

Vor dem Haus steht ein Mopped auf dem Gehweg. Mit dem Kennzeichen B-DU 30. Auf der Kennzeichentafel befinden sich zwei Stempel, einer für die nächste Hauptuntersuchung und dann noch das Berliner Bärchen.

Aufgrund eines anonymen Hinweises stellt die Rennleitung fest: Das Kennzeichen wurde für kein Mopped ausgeben. Die beiden Stempel stammen aus einem handelsüblichen Farblaserdrucker. Die Eigentumsverhältnisse an den Mopped sind ungeklärt.

Ich erhalte von dem Mandanten den Auftrag, ihn gegen die Anklage zu verteidigen. Man wirft ihm eine Urkundenfälschung vor. Er soll die falschen Plaketten auf die Kennzeichentafel an „seinem“ Mopped geklebt haben.

Die Ausgangsposition des Mandanten ist nicht von schlechten Eltern: 17 Vorstrafen, darunter zwei noch offene Bewährungen mit insgesamt 23 Monaten Freiheitsstrafe. Eine der Vorstrafen führte im März 2011 zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Auch die meisten anderen Eintragungen hatten Bezug zum Straßenverkehr. Das riecht nach Bewährungswiderruf und einem kräftigen Nachschlag für das Laser-Bärchen.

Meine spontane Idee: Verteidigung durch Schweigen. Das, was die Akte da hergibt, reicht nicht für die Verurteilung. Solange man nicht weiß, wem das Mopped gehört und wer die Stempel auf’s Backblech geklebt hat. Der Mandant durfte optimistisch sein …

… bis zu dem Zeitpunkt, zu dem mich der Staatsanwalt anrief. Er habe da gerade eine Akte hereinbekommen, in der mein Mandant als Geschädigter eine Verkehrsstraftat angezeigt hatte. Es ging um eine Rangelei im Kreisverkehr um den Ernst-Reuter-Platz.

Das breite Grinsen des Strafverfolger war durchs Telefon zu sehen, als er die Anzeige meines Mandanten vorlas:

Am 2. April 2011 fuhr ich auf meinem Motorrad mit dem amtlichen Kennzeichen B-DU 30 auf der Bismarckstraße …

Ich denke, jetzt muß die Verteidigungsstrategie schleunigst umgestellt werden.

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Bombe, Atom, Rakete

37.292.862 gescannte eMails ergeben 213 verwertbare Hinweise für die Geheimdienste. Meine Taschenrechner sind nicht imstande, mir die Erfolgsquote so auszurechnen, daß ich sie verstehe oder wenigstens lesen kann.

Liebe Jungs und Mädels vom Verfassungsschutz, vom Bundesnachrichtendienst und vom Militärischer Abschirmdienst, wie sieht eigentlich die Erfolgsquote bei den 213 Hinweisen hinsichtlich einer rechtskräftigen Verurteilung aus? Ähnlich?

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Aus-Flug am Wochenende

Fluch-Zeug, wenn man noch untrainiert ist.

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Kein gutes Geschäft

Der am 1. Februar festgenommene Sozialarbeiter hatte eine andere Vergangenheit, als man von ihm bis zu seiner Festnahme dachte. Im Zusammenhang mit seinen Aufgaben als NPD-Funktionär soll er auch als Waffenlieferant unterwegs gewesen sein.

Scheinbar hatte er solides Material im Angebot. Zwischen September 2000 und April 2006 soll die von ihm Ende 1999 gelieferte schallgedämpfte Pistole vom Typ Ceska 83 mindesten neun Mal „erfolgreich“ im Einsatz gewesen sein. Der Kaufpreis von 2.500 DM, den ein ehemaliges Mitglied des thüringischen NPD-Landesvorstand dafür aufgebracht haben soll, wirkt vor diesem Hintergrund also durchaus als angemessen.

Der Sozialarbeiter, der diese Geschichte nun dem Ermittlungsrichter beim BGH erzählt hat,

habe bis November 2011 nichts von geplanten oder begangenen Straftaten der Terrorzelle gewusst.

schreibt der Tagesspiegel heute über eine Stellungnahme seines Verteidigers. Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Einlassung zur Haftverschonung führen wird.

Der Sozialarbeiter mit dem sympathischen Vornamen war im Jahr 2000 aus der rechten Szene ausgestiegen und hatte sich in einer Ecke der Gesellschaft engagiert, die mit diesem rechten Volk nun rein überhaupt gar nichts mehr gemein hatte. Der Ausstieg erschien glaubhaft. Er dürfte angesichts der Konsequenzen seines damaligen Deals allerdings lediglich mildernd auf das Strafmaß wirken.

Waffen an Nazis zu verkaufen ist eben keine gute Geschäftsidee.

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Gebügelte Hemden bei der Strafzumessung

Es war etwas umständlich, der Ehefrau meines inhaftierten Mandanten eine Besuchserlaubnis zu beschaffen. Der Herr Staatsanwalt hatte etwas dagegen, daß die Frau ihren Mann im Knast besucht. Erst hat es ein wenig gedauert, aber dann teilte das Gericht auf meinen Antrag mit, der Staatsanwalt sieht Gespenster. Der Richter höchstselbst sorgte freundlicherweise für den notwendigen Sprechschein.

Ich habe der Frau die Erlaubnis sofort übermittelt, am späten Abend kam ein Dankeschön zurück. Sie freue sich sehr, weil sie ihrem Mann nun endlich die gebügelten Oberhemden in die Untersuchungshaft bringen könne. Damit er bei den weiteren Verhandlungsterminen wieder ordentlich gekleidet auftreten kann.

Welche Kriterien das Strafmaß bestimmen, regelt § 46 Abs. 2 StGB. Ich werde mich dafür einsetzen, daß „gebügelte Hemden“ in den Katalog dieser Grundsätze mit aufgenommen werden.

(Nebenbei: Gebügelte Hemden kann man nur persönlich vorbei bringen und nicht einfach – wie alles andere auch – einfach mal so an der Pforte abgeben.)

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Aus der Schleuse gebloggt

Ins Gericht kommt man nur durch eine Sicherheitsschleuse. Fein säuberlich getrennt: Die Herren rechts, die Damen links.

Mittlerweile ist das zumindest bei fast allen Strafgerichten so oder so ähnlich, auch in Hamburg. Der Besucher wird an den Eingängen kontrolliert; Waffen und sonstige gefährliche Gegenstände (z.B. Luftpumpen) müssen draußen bleiben.

Auch beim Verlassen des Gerichtsgebäudes sind Hürden zu überwinden. In Hamburg muß der Besucher sich dazu durch ein System von Türen und Klappen zwängen, das für Menschen mit einem auch nur leicht erhöhten BMI vor massige Probleme stellt.

Ich empfinde es als eine erniedrigende Prozedur, die jedoch notwendig zu sein scheint, wenn man manche Geschichten aus den Gerichtssälen erinnert.

Wenigstens den Stammgästen des Hauses werden diese Durchsuchungsmaßnahmen erspart. Mit einer „Clubkarte“ ausgestattet, kann man sich den Leibesvisitationen entziehen. In Berlin gibt es einen roten „Hausausweis“, an auswärtigen Gerichten zeige ich meinen Rechtsanwaltsausweis vor (und grüße die Wachtmeister freundlich ;-)).

Zu Stoßzeiten, also meist morgens vor 9 Uhr, stauen sich die Besucher vor der einzigen Schleuse, die das Strafjustizgebäude jeweils für ein Geschlecht vorhält. Als privilegierter Verteidiger (Clubkarte, s.o.) schummelt man sich vor und durch. Angeklagte, Zeugen und Publikum brauchen Geduld.

Aber auch manche Richter stehen in dieser Schlange, auch sie läßt man nicht ohne Kontrolle ins Gebäude. Ihre Taschen werden durchleuchtet, Gürtel müssen abgelegt werden … erst dann öffnet sich die Tür für diese Richter.

Es sind die Laienrichter, Schöffen, die sich an der Pforte erst einmal entwürdigen lassen müssen, bevor sie sich an den Richtertisch setzen dürfen, um Recht zu sprechen. Die Justizverwaltung möchte ihnen keinen Eintrittsausweis geben. Also stehen sie gemeinsam mit den Angeklagten und den Zeugen aus dem Milieu in einer Reihe und lassen sich filzen. Respektvoller Umgang sieht aus anders aus.

Danke an Björn für die Anregung zu diesem Beitrag.

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Dem Blogbetreiber geht es gut

Geht es dem Blogbetreiber gut? Verhindern Arbeit oder Urlaub neue Einträge? Eben solche werden durchaus vermisst …

fragt der Kommentator tapir.

Meine kleine Nebentätigkeit, der ich den Zeiten nachgehe, in denen ich nicht gerade mit Bloggen beschäftigt bin, hält mich ein wenig unter Spannung.

Erst die Verteidigung, dann das Bloggen. Ein Mann muß Prioritäten setzen!

Es geht aber bald weiter … versprochen.

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