Der Tod als Verfahrenshindernis

Der ehemalige KZ-Aufseher, der 91-jährige John Demjanjuk, verstarb in einem Seniorenheim bei Rosenheim. Im Mai 2012 hatte ihn das Landgericht München wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28.000 Juden zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Gegen dieses Urteil hatten sowohl Demjanjuk, als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, über die der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden hatte. Eine Entscheidung wird es nun auch nicht mehr geben. Das Verfahren wird nach nach § 206a StPO einzustellen zu sein. Strafprozessual gesehen ist der Tod des Beschuldigten ein profanes Verfahrenshindernis.

Es bleibt dann nur noch die Kostenentscheidung, die in § 467 Abs. 1 StPO geregelt ist. Allerdings rechne ich damit, daß die „notwendigen Auslagen“ des Verstorbenen, also seine (Wahl-)Verteidiger-Kosten, nicht der Kasse des Freistaats überbürdet werden.

§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ist da recht knackig: Demjanjuk ist nämlich wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Eben sein Tod. Und der rechtfertigt keine Kostenübernahme durch die Justizkasse. (Da könnte ja jeder kommen.)

Auch vor dem Hintergrund der Tatvorwürfe könnte meiner Ansicht nach schon länger ein Verfahrenshindernis bestanden haben: Die Würde des Menschen. Einen alten, zudem sehr kranken Mann mit einem Verfahren zu überziehen, das er bereits zu Beginn erkennbar nicht überleben wird, ist mindestens unethisch. Selbst wenn er die Rechtskraft erlebt hätte, wäre ihm ein Attest der Haftunfähigkeit sicher gewesen. Auch dann stellte eine Weiterverhandlung ein Verstoß gegen elementare Verfassungs-Prinzipien dar.

Einen Rechtsstaat erkennt man stets am Umgang mit seinem Gegner. Auch und gerade dann, wenn er ein mordender, ehemaliger KZ-Aufseher gewesen sein sollte.

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9 Antworten auf Der Tod als Verfahrenshindernis

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    cepag says:

    Danke für den Beitrag. Ich hatte bei dem Verfahren stets ein schlechtes Gefühl, unanhängig von der Schuldfrage. Es sah immer ein wenig so aus, als wolle man die unbestreitbaren Defizite und schweren Fehler, Fehlurteile und Unterlassungen der deutschen Justiz von 1950 – 1975 hinsichtlich der Verfolgung von NS-Tätern nun dadurch (über-)kompensieren, indem man den „Kleinsten der Kleinen“ (D. war Kriegsgefangener und wohl als „Hilfswilliger“ gedungen) als Greis rund 65 Jahre nach den vorgeworfenen Taten nun mit gnadenlosen Strafverfolgungs-Furor bis an die Schwelle zum Grab verfolgt. Dass bei Eröffnung des Hauptverfahrens durchaus – schon nur statistisch betrachtet – überwiegend wahrscheinlich war, dass das Verfahren keinen rechtskräftigen Abschluss durch Urteil finden wird, benennt Kollege Hoenig treffend.

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    Sebi says:

    Mai 2011 im ersten Absatz.

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    ferri says:

    Der immer noch hoch geehrte Filbinger hat gesagt, was früher Recht war kann jetzt nicht Unrecht sein.

    Und Filbinger war sogar Widerstandskämpfer.

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    Deutsche Gabbana says:

    Unabhängig von der Schuld stellt sich mir die Frage, warum erst 60-70 Jahre nach der vermeintlichen Tat die Strafverfolgung begonnen hatte. Hatte man ihn nicht gefunden oder war er nicht ausgeliefert worden? Hätte man ihn nicht in Abwesenheit verurteilen können?

    Sorry wegen meiner Unwissenheit.

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    meine5cent says:

    @Deutsche Gabbana:
    bei Wikipedia wird Ihnen geholfen.

  6. 6

    „Einen alten, zudem sehr kranken Mann mit einem Verfahren zu überziehen, das er bereits zu Beginn erkennbar nicht überleben wird, ist mindestens unethisch.“

    Respekt Herr Hoenig. Derartige Überlegungen und Stellungnahmen zu lesen, erwarte ich schon gar nicht mehr. Ethik im Zusammenhang mit einem vermeintlichen Verbrecher aus dem 2WK (rechtskräftig wird das Urteil doch jetzt auch nicht – oder?), bei dem es doch darum geht, ein Exempel dafür zu statuieren, dass das Dritte Reich auch im Jahre 2012 noch geahndet werden muss/kann/soll. Diese politischen Schauprozesse – wie auch die in Den Haag – scheinen mir mehr eine Form der inszenierten kollektiven Säuberung, in diesem Fall der juristischen und politischen Klasse, denn ansonsten dürfte die Verhandlung gegen D. niemanden interessiert haben und zudem ein Surrogat für eine tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich, die dann am Ende zum Vorschein brächte, dass es nicht Einzelpersonen wie D. waren (wenn er es denn war), die Terror verbreitet haben, sondern – wie Hannah Ahrend es einmal gesagt hat – dass es die Trivialität des (kollektiv) Bösen ist, die den Alltag im 1000jährigen Reich bestimmt hat.

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    Deutsche Gabbana says:

    @meine5cent, bei Wikipedia unter Demjanjuk steht etwas von einem Prozess in Israel in den 80er Jahren, bei dem er freigesprochen wurde. Wo hilft mir das in meiner Frage nach einer Verurteilung in Abwesenheit

    • Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt, § 230 I StPO. crh

    oder warum sich Deutschland nicht vorher drum gekümmert hatte, sondern 65 Jahre nach dem Krieg einen über 90-Jährigen hat ausliefern lassen, obwohl sein Aufenthaltsort bekannt war?

    • Das ist wohl eher eine politische Frage. crh
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    Caron says:

    Zu FIlbinger: Ich kenne das Zitat, aber nicht den Zusammenhang. Man könnte das als konsequente Umsetzung von §2 StGB verstehen. Den gibt es nicht zu Unrecht und ich glaube nicht, dass jemandem geholfen ist, wenn plötzlich Ausnahmen geschaffen werden.