Das Jugendstrafrecht hat viele Gemeinsamkeiten mit dem sogenannten Erwachsenen-Strafrecht; dazu gehört auch die Strafprozeßordnung (StPO), jedenfalls nach herrschenden Ansicht.
Zu den Besonderheiten im Jugendstrafrecht gehört nach meiner Erfahrung, daß sich Jugendstrafrichter oft so ihre eigenen Verfahrensregeln basteln. Und die weichen dann auch schon mal von der StPO ab. Ein schönes Beispiel für
- „Wie das Verfahren hier läuft, bestimme ich, Herr Verteidiger!“
- „Nein, das bestimmt das Gesetz, Frau Vorsitzende!“
möchte ich hier schildern. Die Richterin hatte mich ohnehin aufgefordert, Belege für meine Ansicht (s.o.) beizubringen, die sie nachlesen kann. Also: Here we go.
Der Mandant – Wilhelm Brause – wird durch die Aussage der Anzeigeerstatterin – Berta Groll – belastet. Als Entlastungszeugin wurde die Schwester – Wilhelmine Brause – geladen. Wilhelmine war im Ermittlungsverfahren zwar als Beteiligte bekannt, ist aber nicht vernommen worden.
Die Richterin gab der Wilhelmine das Beweisthema bekannt. So weit, so gut, so vorgesehen in § 69 I S. 2 StPO:
Die Vorschrift enthält die Grundregel, nach der bei der Vernehmung des Zeugen zur Sache verfahren werden soll: Unterrichtung des Zeugen über den Gegenstand der Untersuchung […]
liest man im Karlsruher Kommentar zur StPO, § 69 Rdz. 1.
Dann begann das Schwesterchen recht flüssig zu erzählen, woran sie sich erinnerte. Es dauerte etwa 15 Sekunden, da unterbrach die Richterin die Zeugin mit der ersten Nachfrage; nach weiteren 10 Sekunden des Wilhelminischen Vortrags erfolgte die nächste Unterbrechung. So weit, so schlecht, so nicht (vgl. KK a.a.O.) vorgesehen:
[…], sodann zusammenhängender Bericht des Zeugen (Abs. 1 S. 1), […]
Dieser ununterbrochene Zeugenbericht ist ein wesentliches Element, das unter anderem auch Aufschluß darüber gibt, woran sich der Zeuge, also hier die Wilhelmine, aus sich heraus erinnert. Es soll deutlich werden, was dem Berichterstatter wichtig war/ist und welche Details er sich merken konnte. Zwischenfragen verwässern den Boden, auf dem anschließend die Werthaltigkeit der Aussage beurteilt werden soll. Gefährlich wird’s, wenn die Zwischenfragen den Zeugen in eine Richtung (ab-)lenken könnten oder gar sollen.
Im vorliegenden Fall kommt es ganz entschieden auf eine solide Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussage von Wilhelmine an. Sie ist die Schwester des Angeklagten, ihre Aussage steht im diametralen Gegensatz zur Aussage der Bertra Groll, die ihren Bruder Wilhelm im Ermittlungsverfahren massiv belastet hat.
Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß am Ende der Beweisaufnahme jemand zwischen zwei roten Deckeln eine Notiz macht: „Die Zeugin hat das Gericht belogen.“ Ob diese Zeugin nun Berta oder Wilhelmine sein wird, muß bewertet werden – von der Richterin, der Staatsanwältin und vom Verteidiger.
Letzterer reklamiert daher die Unterbrechungen und Nachfragen – worauf die Richterin wie oben beschrieben reagierte. Es kam zu einem längeren Monolog der Inhaberin der Prozeßleitung Danach dann aber doch noch zu einem erfreulich prozeßordnungsgemäßen Zeugenbericht: Ununterbrochen, mit reichlich Details, kleinen Erinnerungslücken und weiteren nützlichen Kriterien, die am Ende die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Aussage leichter beantworten lassen. Diese „Kleinigkeiten“ hätten mit großer Wahrscheinlichkeit bei fortgesetzter (Zer-)Störung des Zeugenberichts durch die Richterin gefehlt.
Wenn das Gericht noch Fragen hat, folgt (KK a.a.O.):
danach (vgl BGHSt 3, 281, 284) „nötigenfalls“ Verhör (Abs. 2)
Dieser störungsfreie Zeugenbericht ist unter Strafjuristen eigentlich auch kein Thema. Herr Carl Pfeiffer sieht das in seinem Kommentar zur Strafprozeßordnung (§ 69 Rdz. 1) genau so und liefert die von der Richterin verlangten Belege:
Sodann ist der Zeuge zu einem Bericht zu veranlassen (Abs. 1 S. 1); er hat Anspruch darauf, sein „Wissen zur Sache im Zusammenhang vorzutragen“ (BVerfGE 38, 117 = NJW 1975, 104), also unbeeinflusst von Fragen. Dies ist eine zwingende Vorschrift; […]. Ist trotz Bemühungen eine zusammenfassende Darstellung nicht zu erlangen, muss der Richter zur Vernehmung durch Vorhalte und Fragen übergehen; […]
Also erst wenn und nachdem der Zeuge das Stottern beginnt oder ihn größere Erinnungslücken plagen, darf das Gericht nachhaken. Zentraler Teil der Zeugenaussage ist der so genannte „Sachbericht“, nicht das „Verhör“.
Das „Verhör“ nach § 69 Abs 2 StPO dient der Vervollständigung und Überprüfung des Berichts. Lücken in der Darstellung sollen geschlossen, Unklarheiten beseitigt, etwaige Widersprüche geklärt und vor allem soll erforscht werden, ob der Zeuge eigenes Wissen oder von Dritten Erfahrenes wiedergegeben oder statt Wahrnehmungen Schlussfolgerungen bekundet hat. Gegebenenfalls wird auch zu erfragen sein, von wem fremdes Wissen erworben wurde. Die Fragen, die vielfach in der Form von Vorhalten gestellt werden, sind erst zulässig, nachdem deutlich geworden ist, was der Zeuge ohne einen solchen Vernehmungsbehelf zu bekunden vermag.
Schöner als Herr Christian Monka, Oberstaatsanwalt beim BGH, im Beck’schen Online-Kommentar StPO, Hrsg: Graf, Stand: 01.10.2012, Edition: 15, § 69, Rn 2 – 6
hätte ich es auch nicht formulieren können. ;-)
Wilhelm Brause im Jugendstrafrecht?
Nein, das kann ich nicht glauben.
Es war wohl der uneheliche Sohn von Wilhelm Brause-Bier, dem alten Schluckspecht.
Es war doch Kevin Kakao-Brause, oder hatte er ja Migrationshintergrund? Dimitrij Döner oder Mehmet Milchreis.
Auf jeden Fall hat er ja einen guten Anwalt.
Alles halb so wild.
Vielleicht war es auch Osama-Ochsenschwanzsuppe?
Wobei in meinem Logo eher ein Stier als ein Ochse ist.
Netter Artikel!