Die Deals im Strafprozess waren heute Thema beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Darüber berichtet die Legal Tribune Online und untertitelt den Artikel.
Richter und Sachverständige zweifeln an Legalität
Weitere Zitate in diesem Beitrag, aus dem Zusammenhang gerissen:
Bei der Verhandlung über Absprachen im Strafprozess haben Richter des Bundesverfassungsgerichts sowie der BGH-Präsident und der Generalbundesanwalt Skepsis gegenüber derartigen Absprachen gezeigt.
Ich frage mich, wie weit weg von der Realität der Elfenbeinturm steht, in dem diesen Herrschaften zu residieren scheinen. Hier noch so eine Wundertüte:
Die Bundesjustizministerin war erschrocken über die Deal-Praxis, die ein Richter am LG als „exzessiv“ bezeichnete.
Daß diese Dealerei seit Jahren gängige Praxis ist … hat man davon in jenen Kreisen wirklich nichts mitbekommen?!
Es wird berichtet, daß 60 % der Richter die Mehrzahl ihrer Absprachen „informell“ träfen. Das hinterfragte Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff.
Müsste das nicht eigentlich illegale Verständigung heißen?
Jaha! Genau das ist das korrekte Adjektiv für diese Mauscheleien.
Es wird berichtet, die dealsüchtigen Richter
gölten als „Leistungsträger des Landgerichts“, weil ihre Verfahren schnell zu Ende sind. In dienstlichen Bewertungen werde positiv erwähnt, dass ihre Urteile nie von der höheren Instanz aufgehoben würden – was kein Wunder ist, denn nach einem Deal wird oft auf Rechtsmittel verzichtet.
Da umgehen diese Richter das Gesetz und werden dafür auch noch belohnt. Winkelrichter, darf man das zu denen sagen?
Verfassungsrichter Herbert Landau soll gefragt haben:
Warum gibt es bei Absprachen 30 Prozent Rabatt, bei normalen Geständnissen nicht?
Genau da liegt der Hund begraben. Das Gesetz und die Verfassung sehen vor, daß der Angeklagte – im Falle des Nachweises seiner Schuld – zu einer angemessenen (gerechten?) Strafe verurteilt wird. Das ist der Normalfall. Legt der Angeklagte ein Geständnis ab, bekommt er den entsprechenden Rabatt, einen Bonus.
In der heute gängigen Praxis ist es aber so, daß der Normalfall das Geständis und der Deal sind. Verweigert der Angeklagte – aus welchen Gründe auch immer, zum Beispiel, weil er „unschuldig“ ist – das Geständnis, verhindert er damit den Deal und besteht er auf einem fairen Prozeß de lege artis, dann bekommt er einen Zuschlag, den Malus. Das hat mit einem rechtstaatlichen Verfahren nur am Rande zu tun.
Ich bin auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts gespannt. Und darauf, wie sich die Praxis dieser „Hinterhofwerkstätten“ der Justiz dazu dann verhalten wird.
So isses. Mit einer tat- und schuldangemessenen Strafe hat das überhaupt nichts mehr zu tun. Zumal man vermuten könnte, diese „Schere“ würde extra so gestaltet, um einen Anreiz zu schaffen.
Nun, im Chicago der 20s war man wenigstens so ehrlich, den Leuten gleich die Pistole auf die Brust zu setzen. Da brauchte es keinen „257c“.
Der Weg eines Unschuldigen, eine Freispruchverteidigung zu fahren, ist steiniger geworden.
Ach, wie kommt das bloß unerwartet, die arme Justizministerin.
„Der Weg eines Unschuldigen, eine Freispruchverteidigung zu fahren, ist steiniger geworden.“
Nun, für einen „Schuldigen“ ebenfalls. Das macht es aber NICHT besser.
Das ist echt eine Sauerei.
Erst verbieten irgendwelche hergelaufenen Strassburger Richter die „Folter aus edlen Beweggründen“ und ihre Androhung und jetzt droht schon wieder ein Gericht damit, die Geständniserspressung als unvereinbar mit dem Rechtsstaat zu erklären.
Demnächst dürfen dann die Angeklagten auch noch Hosenträger oder Gürtel während der Hauptverhandlung anbehalten.
Wo kommen wir denn da hin?
Das Recht wird solange gebeugt, bis es bricht.
Gut für die Verfahrensdauer und die Staatskasse, schlecht für die Opfer. Die fühlen sich dann vom Gesetz „Gericht“ ein zweites mal gefi**t“.
Bloss jemand 30% Erlass geben weil er zugibt kriminell zu sein? Ich gehe demnächst auch ins Autohaus und sage: Ich gebe zu, ich möchte ein Auto kaufen…wo sind die 30% Rabatt???
So einfach ist es nicht werden jetzt alle Strafverteidiger schreien…stimmt…denn ihr kompliziert die Sache…bringt ja dann auch mehr Geld…und wer bezahlt das bei 90 % der Straffälligen ohne Ausbildung, festem Wohnsitz, Migrationshintergund incl. schlechter Kindheit usw. usw? Der Staat..also alle ehrlichen Steuerzahlen…und jetzt dürft ihr mich wieder hassen…
Verstehen wir Sie recht, dass die böse Justiz diese fiesen Deals irgendwie mit sich selber ausmacht? Oder sollten da die tapferen Ritter des Rechts aus der Strafverteidigerzunft irgendwie dran beteiligt sein? Also Sie persönlich machen so einen juristischen Schweinkram nicht mit, richtig?
@Wilfried: Chapeau! Nagel auf den Kopf getroffen.
Der Deal wird regelmäßig vom Strafverteidiger eingefädelt, der für seinen Mandanten das Beste rausholen will. (Und der genauso wie Staatsanwaltschaft und Richter wenig Arbeit haben möchte?)
Lassen wir mal dahingestellt, ob Herr Hoenig das auch so macht.
Tatsache ist jedenfalls, daß diese Praxis Ausmaße annimmt, die beachtlich sind. Und genau das führt zum Problem. Wer bei der Praxis nicht mitmacht, egal aus welchem Grund, gilt als „anstrengender Querulant“ und wird letztlich mit einem Malus bestraft. Ist doch egal, ob man ihm den Bonus nicht einräumt oder ihn mit einem Malus belegt. Das läuft auf das Gleiche hinaus.
Und das hat Herr Hoenig genau richtig zum Ausdruck gebracht.
Ich war als Zuhörer bei der gesamten Verhandlung dabei. Es war erschreckend.
Der Bevollmächtigte der Bundesregierung hob positiv hervor, dass die Regelung ja nicht ganz von der Praxis missachtet werde, sondern immerhin ein gewisser Prozentsatz der Instanzrichter sich an der gesetlzichen Regelung in § 257c StPO orientierten, weshalb die gesetzliche Regelung durchaus als Erfolgt zu bewerten sei.
Dies brachte BVR Prof. Huber zu der Gegenfrage, ob man denn nicht der Meinung sei, dass sich nicht 100% der Richter an Recht und Gesetz halten sollten.
Ein VRiLG meinte zu seiner Praxis in der Verhandlung, er sei bemüht, sich bei Absprachen an die gesetzliche Regelung zu halten. Voßkuhle dazu wörtlich: „Wir nehmen das wohlwollend zur Kennntis, angesichts dessen, was wir bislang heute hier gehört haben.“
Wenn ich mal vor dem Richter stehe, sage ich auch „ich habe mich bemüht, an die gesetzliche Regelung zu halten“ und bin dann sicher aus dem Schneider.
Und doch erst Recht als jemand, der nicht mit dem StGB unterm Kopfkissen schläft.
„Deals“ sind essentiell – gerade auch in einem Rechtsstaat. Die Gerichtsverhandlung ist ein kommunikativer Prozess. Der Angeklagte hat ein großes Interesse daran, vom Gericht zu erfahren, was auf ihn zukommt. Soll das Gericht dieses Interesse nicht befriedigen? Soll es bis zum Urteil zum Strafmaß schweigen? Ich denke nicht, dass dies den Interessen der Angeklagten entspräche. Also bekommen die Angeklagten es mitgeteilt, wie hoch die Strafe im Falle des Leugnens beim Schuldnachweis und wie hoch die Strafe im Falle eines Geständnisses sein wird. Nun kann man dagegen sein, dass die Strafmaße in beiden Fällen verschieden sind. Damit würde man aber die Strafzumessungsgründe durcheinander bringen. Dann müsste das Nachtatverhalten außer Betracht bleiben. Dann wäre Angeklagten der Weg verbaut, sich durch günstiges Nachtatverhalten in einem besseren Licht dastehen zu lassen. Dies aber verträgt sich nicht mit dem Resozialisierungsgedanken. Straftätern keine Anreize zu geben, sich wieder auf die Straße des Rechts zu begeben, indem für ihn sprechendes Nachtatverhalten zu seinen Gunsten verwertet wird, scheint mir auch kein erfolgversprechender Weg.
Dazu bereits http://blog.delegibus.com/2012/11/05/er-will-doch-nur-kungeln/ , letzter Absatz.
Einen guten Anschauungsfall für die Erfolge der Leistungsträger-Richter bietet übrigens diese Reportage: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/38745/1/1
Den Deal gab es schon immer, zumindest wurde mir das von Verteidigern bestätigt, die schon in den 70er Jahren tätig waren. Da lief dies noch viel mehr als Mauschelei, irgendwo im Gang im Gericht oder später auch per Telefon. Der kodifizierte Deal bildet daher nur den Status quo ab. Was könnte es für einen Ausweg geben?
Einen gesetzlichen Rabatt von 30 % bei Geständnis zu Beginn der Hauptverhandlung und 15 % wenn später, bei Ende der Beweisaufnahme 0 %? Warum eigentlich nicht?
Das hat in einer heutigen Verhandlung ein Staatsanwalt versehentlich in seinem Übereifer bestätigt: „Wenn Sie jetzt gestehen, gibt’s die normale Strafe, für jede Minute, die es länger dauert, gibt es etwas oben drauf.“
Also nicht: Rabatt für Geständnis, normale Strafe für Beweisaufnahme, sondern normale Strafe für Geständnis, Strafzuschlag für Beweisaufnhame.
Aber vermutlich hat er sich nur ungeschickt ausgedrückt und meinte das Richtige.
Das Problem ist systemimmanent.
Die Justiz / Gerichte sind überlastet. Personal ist überaltert. Behörden und Strafvollzug sind schlecht ausgestattet. Personalunterausstattung. Gleichzeitig eine Vielzahl an zu erledigende Verfahren mit hohen rechtstaatlichen Anforderungen. Gute Ermittlungen dauern lange – das gibt dann Strafabschläge. Schlecht gemachte Urteile, wenn sie husch husch hingehunzt werden, landen in der nächsten Instanz.
Und dann kommt der Gesetzgeber mit einem Instrument um die Ecke in dem ich Strafverfahren „revisionssicher“ mit Strafen abschließen kann und alle wundern sich, warum es sich „intensiv“ genutzt wird.
Sind wir ehrlich: Einen guten Kriminalisten (!) macht aus, dass er von der Hypothese ausgeht, die Tat ist so nicht begangen worden und versucht seine eigene Hypothese zu widerlegen. Das nennt sich dann Unschuldsvermutung. Nur leider gibt es nicht genug Zeit und Personal diese Ermittlungs- und Denkprozesse umzusetzen, und zwar gerichtsfest. Verurteilungen sind in unserem Jusitzsystem immer noch ein Gradmesser der Kompetenz. Leider! Viele revisionssichere Verurteilung deuten auf eine hervorragende Arbeit des Richters hin. Wobei alle Beteiligten gleichwohl wissen, dass dies nach dem gesetzlichen Auftrag eines Richters kein Indikator für seine Befähigung sein kann/darf.
Ich möchte nicht mit den Richtern tauschen!
[…] “Die Bundesjustizministerin war erschrocken“, heißt es. Die Rechtsanwälte sind es nicht. Für sie ist das eine Methode, etwas mehr für ihre Mandanten rauszuholen. Je dicker die Akten, um so besser die Chancen, einen Deal zu erreichen. […]
[…] Es war nicht zu leugnen, daß eine Verfahrensabsprache grundsätzlich im Sinne aller Beteiligten war, auch wenn man sicherlich über das Für und Wider der Vorschriften zur Verständigung im Strafverfahren geteilter Meinung sein kann und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierzu mit Spannung erwartet wird (siehe die Berichte hier, hier und hier). […]