Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall berechnete der vom Geschädigten beauftragte Gutachter den Fahrzeugschaden und kam zu dem Ergebnis, dass die Reparaturkosten knapp zweitausend Euro unter dem Wiederbeschaffungswert lagen. Ein Reparaturfall also. Alles klar, dachte der Geschädigte und gab seiner Werkstatt den Auftrag loszulegen.
Nachdem das Fahrzeug zerlegt war, fiel in der Werkstatt auf, dass der Schaden wohl doch größer war, als zunächst veranschlagt. Der Gutachter musste nochmal kommen. Vielleicht hatte er seine Brille nicht auf oder der Bleistift zum rechnen war nicht angespitzt. Trotz Hinweis der Werkstatt, dass sich die Reparaturkosten nicht unerheblich erhöhen würden, erteilte der jedenfalls die Reparaturfreigabe. Letztendlich lagen nach Abschluss der Reparatur die Kosten rund 144% über dem Wiederbeschaffungswert.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes beträgt die Obergrenze, bis zu der man sein Fahrzeug reparieren lassen darf, 130 % des Wiederbeschaffungswertes (sog. Integritätsinteresse). Dies aber auch nur dann, wenn die Reparatur vollständig und fachgerecht durchgeführt und das Fahrzeug tatsächlich weiternutzt wird. Übersteigen die Reparaturkosten diese Obergrenze, handelt es sich definitiv um einen wirtschaftlichen Totalschaden. Man bekommt dann nur den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert ersetzt.
Die Versicherung des Unfallgegners sah also nicht ein, soviel zahlen zu müssen, rechnete auf Totalschadenbasis ab und harrte der Klage. Das Landgericht wies diese ab, so dass das Oberlandesgericht Saarbrücken sich mit der Sache befassen musste. Mit Erfolg, denn die Versicherung musste zahlen.
Der Geschädigte darf sich, so das OLG, auf das Urteil eines Sachverständigen verlassen. Jede Schadenschätzung stellt lediglich eine Prognose dar. Das Risiko einer falschen Prognose, selbst ein Verschulden des Sachverständigen oder der Werkstatt, kann aber nicht dem Geschädigten zugerechnet werden. Der hatte alles Notwendige Fachleuten übertragen, mehr musste er nicht tun.
OLG Saarbrücken, Urteil vom 28.02.2012, Az: 4 U 112/11 – 34
Vermutlich lagen die Kosten nicht 144% über dem Wiederbeschaffungswert, sondern betrugen so viel :)
Das Urteil finde ich beruhigend, woher soll man das als Laie auch beurteilen können?
Da ich allerdings auch den Versuch der Versicherung verstehen kann, frage ich mich, ob die jetzt versuchen kann, die 14 Prozent vom Gutachter wiederzubekommen.
Nene, es geht nicht nur um die 14 %. Sondern um die Frage, ob die (eigentlich) unverhältnismäßig teure Reparatur gezahlt werden muss, oder nur die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert.
Das eigentlich Ärgerliche ist doch immer wieder, dass die ganzen Schlechtachter noch so viel Unsinn verbreiten können und in der Regel schadlos damit davon kommen.
@ Joerg –
das ist wohl eher nicht der Fall. Die Versicherung wird wohl den Gutachter mindestens teilweise in Regress nehmen.
@Thomas B.:
Was wäre dann die AGL?
pVV iVm VSD (Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter)
Wobei man sich allerdings ärgern mag, daß das OLG hier nicht mehr als eine 1,3-Geschäftsgebühr für angemessen hält und mithin die geltend gemachten außergerichtlichen Kosten hierauf beschränkt hat.
Sonst regen sich immer alle auf, wenn der Schaden-SV zuviel aufschreibt.