Keine Aussage-Erpressung auf Teufel-komm-raus

Der Zweck des Strafverfahrens würde […] verfehlt, wenn es den Strafverfolgungsorganen gestattet wäre, unbegrenzt in andere Individual- oder Gemeinschaftsrechtsgüter einzugreifen. Deshalb gilt – auch in Fällen sehr schwerer Straftaten wie terroristisch motivierter Tötungsdelikte – der Grundsatz, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis – hier: um den Preis der hohen Gefährdung des Lebens einer schwer erkrankten Zeugin – erforscht werden darf.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 008/2012 vom 19.01.2012

Die Zeugin sollte zum Inhalt von Gesprächen mit der Angeklagten aussagen. Sie hat jedoch das Zeugnis mit der Begründung verweigert, ihr stehe ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, weil sie sich durch ihre Antworten möglicherweise selbst der Gefahr einer Strafverfolgung aussetze. Das Oberlandesgericht (OLG) hat ein solches Recht nicht anerkannt und gegen die Zeugin zur Erzwingung einer Aussage Beugehaft bis zur Dauer von sechs Monaten angeordnet.

Diesen Beschluss hat der für Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs am 10. Januar 2012 aufgehoben (Az: StB 20/11). Die Anordnung der Beugehaft verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, rügte der BGH die Richter beim OLG.

Die Zeugin ist derzeit schwer erkrankt. Ausweislich eines fachärztlichen Attests sind sowohl die Erkrankung als auch die durchzuführenden Therapiemaßnahmen lebensbedrohend und erfordern die Behandlung in einer spezialisierten Krankenhausabteilung mit Intensivstation. Bei einer Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt oder ein Justizvollzugskrankenhaus ist ernsthaft zu befürchten, dass die Zeugin ihr Leben einbüßen oder zumindest einen weitergehenden schwerwiegenden Schaden an ihrer Gesundheit nehmen wird.

Es ist also notwendig, daß der Bundesgerichtshof die Richter des Staatsschutzsenats bei OLG anweist, es zu unterlassen, bei der Erforschung der Wahrheit (§ 244 Abs. 2 StPO) über Leichen zu gehen. Von selbst sind diese Richter nicht darauf gekommen.

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8 Antworten auf Keine Aussage-Erpressung auf Teufel-komm-raus

  1. 1
    Quant says:

    „[…] Sie hat jedoch das Zeugnis mit der Begründung verweigert, ihr stehe ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, weil sie sich durch ihre Antworten möglicherweise selbst der Gefahr einer Strafverfolgung aussetze. Das Oberlandesgericht (OLG) hat ein solches Recht nicht anerkannt […]“

    Ich weiß ja jetzt nicht um welchen Fall es geht, aber wie will denn der Richter beurteilen, ob sich die Zeugin strafbar machen könnte? Er weiß ja noch gar nicht was sie sagen will.

    Durch welche Indizien kommt man zu so einer Entscheidung?

  2. 2
    Tribble says:

    Da hat Frau Eckes Glück gehabt, dass nicht ein womöglich notorischer Senat, bspw. der I., für die Entscheidung zuständig war.

  3. 3

    […] Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteresse und der Gesundheit bzw. dem Leben der Zeugin. Kurz: Der BGH erklärt dem OLG, dass man bei der Suche nach der Wahrheit nicht über Leichen gehen darf. Dass das OLG nicht selbst auf diese Idee gekommen ist, hinterlässt […]

  4. 4
    Ingo says:

    Es sei allerdings zu dem Fall auch noch der Vollständigkeit halber angemerkt, dass das OLG Stuttgart den Vollzug der Beugehaft wegen des Gesundheitszustandes ausgesetzt hat. Die Zeugin befand sich daher auch schon vor dem BGH-Beschluss auf freiem Fuß im Krankenhaus. Der Vollzug der Beugehaft wäre daher wohl erst angeordnet worden, wenn sich der Gesundheitszustand der Zeugen entsprechend gebessert hätte.

    Dennoch begrüße ich die Entscheidung, wie auch die Begründung, des BGH. Ein obiter dictum zu der Frage, ob der Zeugin ein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht oder nicht, hätte ich mir dennoch gewünscht..

  5. 5
    Jens says:

    Die Zeugin hatte es selbst in der Hand, durch Erfüllung ihrer Aussagepflicht jegliche Gesundheitsrisiken zu vermeiden. Was der BGH deshalb tut, ist die Erfüllung begründeter Pflichten der Erpressung durch den Verpflichteten („wenn ich das tun muss, bringe ich mich um“) und damit letztlich dessen Ermessen anheimzugeben. Der BGH scheint das nicht im Ansatz begriffen zu haben.

  6. 6
    Helling says:

    @Jens:
    Das sind ja mal Alternativen. Gesetzt dem Fall sie verweigert die Aussage unter Berufung auf § 55 StPO zu Recht, kann sie also
    1. aussagen und auf Grund dieser Aussage inhaftiert werden, was möglicher Weise zum Tod führt, oder
    2. nicht aussagen und auf Grund dessen inhaftiert werden, was möglicher Weise zum Tod führt.
    Das sind Entscheidungen, vor die sollte ein Rechtsstaat seine Bürger nicht stellen. Deshalb ist die Entscheidung des BGH absolut zu begrüßen.

  7. 7
    MaM says:

    Das ist eine fast verleumderische Auslegung des Beschlusses. Aus diesem geht klar hervor, dass die Richter des OLG meinten, man dürfe die Haftunfähigkeit erst auf der Ebene der Haftvollstreckung beurteilen, diese müsse bei der Haftanordnung unerörtert bleiben. Deshalb haben sie zwar Beugehaft angeordnet, aber gleichzeitig auch Haftverschonung gewährt. Der Vorwurf, sie wollten über Leichen gehen, ist daher mE nicht haltbar.

  8. 8
    mindamino says:

    >Die Zeugin hatte es selbst in der Hand, durch Erfüllung ihrer Aussagepflicht jegliche Gesundheitsrisiken zu vermeiden.

    Super, dann ja auch als Zeugin bei dem Raub eines Schweineschnitzels?
    Da kennt der Staat und manche Juristen gar nichts, denn die Straftat muss in dem Fall um jeden Preis aufgeklärt werden.

    10 Monate auf Bewährung für räuberischen Diebstahl eines Schweineschnitzels, LG-Bückeburg, 13.02.2004
    LG Bückeburg: 3. Kleine Strafkammer (Berufungsauffangkammer)
    Die 3. Kleine Strafkammer verhandelt am Freitag, 13. Februar 2004 um 08.30 Uhr die Strafsache gegen Marek B. Der Angeklagte war mit Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 11. März 2003 wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Dem nicht vorbestraften Angeklagten wird vorgeworfen im November 2002 in einem Supermarkt in Stadthagen abgepackte Schweineschnitzel im Wert von 2,99 € entwendet zu haben und seine Beute mit Gewalt gegen die Angestellten des Supermarktes verteidigt zu haben. Die hiergegen von dem Angeklagten gerichtete Berufung hat die 4. kleine Strafkammer am 10. Juni 2003 verworfen. Auf die Revision des Angeklagten hat das Oberlandesgericht Celle das angefechtene Urteil der 4. kleinen Strafkammer mit seinen Feststellungen aufgehoben und an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Es sind sechs Zeugen geladen (Ns 11 Ls 408 Js 9247/02 (50/03)).