Ladungsfähige Anschrift

Es geht um eine Sache, die auf gar keinen Fall unter den Tisch fallen darf. Sowas gehört verfolgt und bestraft!

Der Geschädigte – 1,9 Promille – hat auf dem Polizei-Abschnitt 54 (zuständig für Nord-Neukölln) eine Straftat angezeigt. Morgens früh um 4:30 Uhr. Er sei soeben in der Gaststätte „Zum Tiger“ von meinem Mandanten – 2,25 Promille – beleidigt worden. Ein paar hier nicht zitierfähige Worte und Gesten werden im Protokoll festgehalten.

Und ab geht die wilde Fahrt der Strafjustiz: Es erfolgt zunächst die Anhörung (§ 163 a StPO) durch die Polizei. Der Mandant denkt sich: „Was soll denn der Scheiß?“ und wirft das Altpapier des Anhörungsbogens dorthin, wo er auch die alten Zeitungen ablegt.

Die Polizei erhält also keine Reaktion, auch keinen Postrücklauf, und gibt die Akte ab an die zuständige Amtanwaltschaft. Die Amtanwältin findet das Ganze völlig unmöglich und beantragt den Erlaß eines Strafbefehls: 30 Tagessätze zu 30 Euro. Der Richter am Amtsgericht Tiergarten macht sich keinen Kopf und erläßt den Strafbefehl wie beantragt.

Das wiederum findet der Mandant völlig unmöglich. Ich lege für ihn Einspruch gegen den Strafbefehl ein und beantrage nach Akteneinsicht die Einstellung des Verfahrens. Zur Begründung führe ich in wohlgesetzten Worten aus, was ich von diesem kompletten Blödsinn halte. Die Amtsanwaltschaft will in die Beweisaufnahme, mit drei Zeugen: Der Geschädigte, der Gastwirt und ein weiterer besoffener Gast sollen das Kapitalverbrechen bestätigen.

Weitere Monate später meldet sich das Gericht und bittet uns, die ladungsfähige Anschrift des Mandanten mitzuteilen. Zwischenzeitlich hat der Mandant einen Job und er schickt uns mit der elektronischen Post die Meldebestätigung der zuständigen Ordnungsbehörde. Ich schreibe an das Gericht:

… nehme ich Bezug auf die Anfrage des Gerichts und teile nachfolgend die aktuelle Anschrift des Angeklagten mit, der eine Arbeitsstelle im Ausland angenommen hat:

Ich bitte um Verständnis, wenn ich vor dem Hintergrund des § 203 StGB weitere Informationen nicht mitteilen kann.

Soll das Gericht doch die Frau Amtsanwältin mit den entsprechenden Ermittlungen beauftragen.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

10 Antworten auf Ladungsfähige Anschrift

  1. 1
    Georg says:

    HaHaHa! Selten so gelacht. Welch eine humorvolle Reaktion. Gut, dass wir alle daran teilhaben dürfen.

  2. 2
    Bert Grönheim says:

    ich finde, die neue Anschrift ist doch völlig eindeutig ….

  3. 3
    Wilfried W says:

    So richtig Freude wird bei dem Mandanten aufkommen, wenn er beim Weihnachtsbesuch schon am Flughafen erfährt, dass er hier zur Festnahme ausgeschrieben ist und sich die Weiterreise zur Familie leider etwas verzögern wird.

  4. 4
    Klaus says:

    Ne, Festnahme ist wegen zu geringer Straferwartung nicht gegeben

  5. 5
    ??? says:

    Führ´ uns doch nicht auf´s Glatteis.

    Das ist Wilhelm Brause, der alte Bekannte bei Polizei, Justiz und Innenministerium.

    Ich bin in der Lage, aus 1,3 Milliarden Chiensen Wilhelm Braus eam Schnapsgeruch und am Dialekt eindeutig zu erkennen. Da nützt auch der aufgesetzte Strohhut zur Tarnung nicht viel.

  6. 6
    Ranwalt^ says:

    Genau dasselbe hatte ich mal mit dem Irak im festen Glauben, dass das vom Mandanten erhaltene Adressgewirr nicht zustellbar ist.

    Ergebnis: Mandant ruft mich aus dem Irak an, dass er per DHL eine Ladung zur Hauptverhandlung erhalten hat.

    Tja, wenn er da jetzt nicht auftaucht, dann scheppert’s mit dem Haftbefehl.

    Der Kollege Hoenig sollte die hiesigen Geschäftsstellen nicht unterschätzen!

  7. 7
    Ranwalt^ says:

    NB: Die Adresse mussten wir übrigens in einer parallelen Bewährungssache angeben, da Bewährungsauflage, ansonsten wäre dort Haftbefehl ergangen.

    Und ob die Zustellung per DHL im Irak so koscher ist, ist eine andere Frage, die nicht unbedingt den drohenden Haftbefehl verhindern kann, wie ich die hiesigen Gerichte so einschätze.

  8. 8
    Hanxuejia says:

    @???: Nix mit Chinesen, das ist in Japan!

  9. 9
    Martin says:

    Ich nehme mal an, die Adresse soll nur ein Beispiel sein. Es handelt offenbar nur um einen Screenshot aus dem Wikipedia Eintrag zu japanischen Adressen.

    Ansonsten, viel Spass bei der Zustellung etwaiger Dokumente.

  10. 10
    Tobias says:

    Lieber Herr Koenig,

    den Namen Ihrer Mandantin Frau I. K. in der letzten Zeile der Adresse sollten Sie doch besser pixeln.

    Beste Grüße,
    Tobias

    • Vielen Dank für Ihren Hinweis, für den ich mich gern revanchiere: Mein Nachname beginnt mit dem Buchstaben „H“.

      Und wenn Sie Ms. Kawaguchi Ichiko irgendwann mal begegnen sollten, bestellen Sie ihr einen Gruß von mir. ;-) crh