Öffentliches Interesse, jawoll!

In einer Ermittlungsakte notiert die Polizei im Bericht nach Abschluß der Ermittlungen:

Die Frau Amtsanwältin hat aber ein öffentliches Interesse daran, daß drogenkranke, obdachlose Menschen nicht schwarzfahren. Wo kommen wir denn da hin, wenn das jeder machen wollte? Daher gehört sowas auch zackig angeklagt!

Dann schauen wir uns das doch mal in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter genauer an. Die drei U-Bahn-Kontrolleure können dann dem psychiatrischen Sachverständigen ganz sicher von den Eindrücken erzählen, die sie vor etwa 3 Jahren von dem schwarzfahrenden Obdachlosenzeitschriftverkäufer hatten.

Denn die Verteidigung hat kein (nicht-öffentliches) Interesse daran, daß ein kranker Mann für zwei oder drei Monate weggeschlossen wird, weil er die Geldstrafe weder bezahlen, noch wegen seiner fortgeschrittenen Autoimmunkrankheit abarbeiten kann. Nur weil er sich unter dem Einfluß von Betäubungsmitteln ein paar Groschen mit dem „Verkauf“ einer zerfledderten Odachlosenzeitschrift erbetteln wollte.

Das Gesetz ist nicht gnadenlos, wie ein Blick in die §§ 153 ff StPO zeigt. Manche Strafverfolgerinnen aber schon.

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

10 Antworten auf Öffentliches Interesse, jawoll!

  1. 1
    ???? says:

    Sie haben als erfahrener Anwalt Recht, wenn Sie feststellen, dass hier einer „ganz unten“ angekommen ist. Er, der Beschuldigte, hat AIDS, er ist drogenabhängig und er ist obdachlos.

    Warum er (der Angekagte) dann noch den Mut gefunden hat, in der Kanzlei aufzutauchen, oder ob man Sie als Pflichtverteidiger benannt hat, oder ob der sozialpsychiatrische Dienst Sie informiert hat, oder ob der Vormund, Betreuer, Sozialarbeiter, Kumpel aus dem Knast….was weiß ich – einer hat gesagt, geh doch mal zum RA Hoenig, der ist auch zum letzten Penner noch höflich; uns geht das nichts an, wie der Mandantenvertrag zustande kam.

    Ich tu mich immer schwer, solche Leute nur als Opfer zu sehen. Ich weiß auch nicht, wie alt er ist.

    Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ist ihm mal ein großes Geschenk gemacht worden – ein gesunder Körper und ein gesunder Geist und ein Leben im Wirtschaftswunderland BRD mit Schülerfabög und Gesundheitswesen und zweitem Bildungsweg und Bibliotheken, Theatern und Wohngeldtabellen. Und dieses kostbare Geschenk hat er zerstört.

    AIDS hat er sich nicht geholt, als er ehrenamtlich Blut spenden wollte. Definiv nicht. Und wenn man auf einer Party eine geraucht hat und dem Gastgeber mit dem Weinglas zuprostet, dann landet man nicht in der Fixerstube.

    Und wenn man in einen Plattenbau an der Peripherie einer Stadt zieht, hat immer noch eine Badewanne und kann sauber gekleidet in die Stadt fahren.

    Natürlich ist es Blödsinn, ihn in den Bau zu stecken, denn das kostet Steuergelder. Und wenn, dann sollte er die Strafe Januar bis März absitzen, dann schläft er wenigstens in sauberer Bettwäsche, duscht und der Gefängnisarzt bringt Antibiotika.

    Mein Mitleid ist jetzt nicht so riesengroß.

  2. 2
    Anna says:

    Zum Vorkommentator:

    Zur Information AIDS ist keine Autoimmunerkrankung.

    Autoimmunerkrankungen sind zum Beispiel Multiple Sklerose, Hashimoto Thyroidose, Lupus, Diabetes Typ I…….

  3. 3
    Ira Hayes says:

    „…dann schläft er wenigstens in sauberer Bettwäsche, duscht und der Gefängnisarzt bringt Antibiotika.“

    @1

    Deckt sich nicht zwingend mit meinen Informationen.

  4. 4
    Willi says:

    Auweia Herr Hoenig,

    jetzt haben Sie aber einen gaaanz bösen Fehler gemacht.
    Merke: Alle Berufsbezeichnungen usw. MÜSSEN zwar grundsätzlich sauber durchgegendert werden und selbstverständlich muss es immer und überall …Innen (Staatsanwa(ä)ltInnen usw.) heißen – am besten mit großem I.
    Aber das gilt doch AUSSCHLIESSLICH wenn es sich um eine POSITIVE Darstellung handelt.
    Wenn – wie im vorliegenden Fall – eine negative Assoziation mit der jeweiligen Person hergestellt werden kann, dann ist GRUNDSÄTZLICH IMMER die männliche Form zu verwenden. Sollte es sich bei DEM STRAFVERFOLGER(!) tatsächlich um eine Frau gehandelt haben, dann spielt das Geschlecht in dieser Konstellation keine Rolle und darf nicht erwähnt werden.

    P.S. zur Sicherheit … wer Spuren von Ironie findet, der darf sie behalten

  5. 5
    eborn says:

    Ich vermute mal, dass die Berförderungserschleichung eben nicht das einzige ist, was das Kerbholz ziert. Und irgendwann ist das öffentliche Interesse dann mal da, jawoll ja.

  6. 6
    Gernot says:

    Ich plädiere für eine Gesetzesänderung: drogenabhängige, autoimmunerkrankte Obdachlose dürfen fortan kostenlos Bus und Bahn fahren und Anwälte müssen für diese kostenlos Dienstleistungen erbringen.

  7. 7
    eborn says:

    @gernot: Gute Idee. Und die psychisch Kranken sollten wir auch nicht vergessen. Aber dann brauchen wir bald einen Rettungsschirm für Anwälte ;-)

  8. 8
    Holger says:

    @4 Fragezeichen:

    … was weiß ich – einer hat gesagt, geh doch mal zum RA Hoenig, der ist auch zum letzten Penner noch höflich;

    Gerade die, die nicht richtig in diesem Leben stehen, haben Höflichkeit und jemanden,der sich für sie einsetzt verdient!
    Und derjenige, der das für sie tut hat meinen Respekt.

    Hingegen Deine anonyme pseudo-sozialdarvinistische Spökenkiekerei kotzt mich an und ich kann Dir nur wünschen, dass Du hoffentlich niemals auf die Hilfe anderer angewiesen sein wirst und dann zurück bekommst, was Du so von Dir gibst.

  9. 9
    stiller Mitleser says:

    ich meine aus der Kurzen Ausbildungsstation bei der Staatsanwaltschaft mitgenommen zu haben, das es zwischen Staatsanwaltschaft bzw.. der Amtsanwaltschaft einen kleinen Deal gibt in Bezug auf die Schwarzfahrer.

    Die BVG und auch die S-Bahn zeigt erst beim dritten Aufgriff an und dafür stellt die StA nicht ein. Fairer Deal um das System nicht zu überlasten.

  10. 10
    Malte S. says:

    @9: Wenn dieser Deal so existiert, dann ist das ein Ermessensfehlgebrauch par excellence, den die StA bei ihrer (Nicht)Einstellungsentscheidung begeht. Die Frage der Arbeitsbelastung der Behörde hat grundsätzlich außer in extremen EINZELfällen keine Beachtung bei der Entscheidung zu spielen. Auch wird aus einem solchen Deal erkennbar, dass die (Nicht)Einstellungsentscheidung nicht unter Beachtung der Schuld und des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung erfolgt.

    Leider sind solche informellen Deals die Regel und nur schwer zu beweisen.