Presseerklärung zum „Fall Jonny K.“

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger, vertreten durch ihren 1. Vorsitzenden Peter Zuriel, veröffentlichte heute die nachfolgende Presseerkläung:

Wieder einmal müssen wir erleben, wie Politiker, Polizei und Teile der Presse über einen Richter herziehen, weil dieser in einem prominenten Fall zwei Verdächtige nicht in Haft nahm.

Gegen einen geständigen Beschuldigten besteht kein Verdacht, an der Tat zu Lasten des später Getöteten beteiligt gewesen zu sein. Der andere Tatverdächtige ist geständig an einer Körperverletzungshandlung zu Lasten Jonny Ks. beteiligt gewesen zu sein. Er bestreitet aber Tötungsvorsatz. Auch die Staatsanwaltschaft geht nicht von einem vorsätzlichen Tötungsdelikt aus.

Beide Verdächtigte haben sich gestellt, sind geständig und leben in festen sozialen Verbünden. Der erstegenannte Beschuldigte erhielt keinen Haftbefehl, der Andere wurde gegen Auflagen vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont.

Diese Entscheidung erfährt massive Kritik. Empörung und Unverständnis werden formuliert. Die „brutalen Schläger“ oder auch „Mordbeteiligte“ gehören in Haft. Es werden gar Parallelen zu Fällen gezogen, bei denen Haftentlassene später schwere Straftaten begingen. Auch das Fehlen einer Abschreckung wird beklagt.

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. weist erneut darauf hin, dass Untersuchungshaft allein der Verfahrenssicherung dient. Der Vollzug der Untersuchungshaft gilt als schwerer Eingriff in die Unschuldsvermutung und darf nur unter sehr engen Voraussetzungen verhängt werden. Untersuchungshaft bedeutet keine vorweg genommene Strafe und dient erst Recht nicht der Abschreckung. Die Unschuldsvermutung ist ein tragendes Prinzip aller demokratisch legitimierten Strafprozessordnungen.

Gerade in Aufsehen erregenden Fällen beweist sich die Standfestigkeit einer unabhängigen Jusitz und die Kraft des Rechtsstaates. Es ist Aufgabe der Politik aber auch der freien Presse diesen Rechtsstaat zu stützen und hoch zu halten, statt ihn in populisitscher Manier zu gefährden.

Peter Zuriel
1. Vorsitzender

Dieser zutreffenden Zusammenfassung der aktuellen Sach- und Rechtslage, so wie sie den nicht unmittelbar an dem Verfahren Beteiligten bekannt ist, muß eigentlich nichts hinzugefügt werden.

Auch wenn mir als Strafverteidiger in vielen Fällen Entscheidungen von Haft- und Ermittlungsrichtern als unvertretbar erscheinen: In diesem Fall ziehe ich mit großem Respekt meinen Hut vor dem entscheidenden Richter, der sich weder der Medien-Meute und erst Recht nicht den Brandstiftern „unserer“ Landesregierung gebeugt hat.

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Richter, Strafverteidiger veröffentlicht.

11 Antworten auf Presseerklärung zum „Fall Jonny K.“

  1. 1
    RA Neldner says:

    Gegen einen geständigen Beschuldigten besteht kein Verdacht, an der Tat zu Lasten des später Getöteten beteiligt gewesen zu sein.

    Verstehe ich nicht, wenn er der Tat beschuldigt wird und geständig ist, muss ja wohl ein Verdacht bestehen, falls es kein falsches und widerlegtes Geständnis war.

    • Ihnen fehlt „da unten“ wohl die Information, daß es eine weitere Straftat geben soll, die sich nicht gegen den Verstorbenen, sondern gegen dessen Begleiter gerichtet habe. Für diese – weitere – Straftat (gef. KV?) liegt wohl das Geständnis vor. crh

    Zu der Entscheidung an sich kann man sicher unterschiedliche Meinungen vertreten. Aber die Art der Kritik war schon unter aller Kanone.

  2. 2
    titus_shg says:

    Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. weist erneut darauf hin, dass Untersuchungshaft allein der Verfahrenssicherung dient. Der Vollzug der Untersuchungshaft gilt als schwerer Eingriff in die Unschuldsvermutung und darf nur unter sehr engen Voraussetzungen verhängt werden. Untersuchungshaft bedeutet keine vorweg genommene Strafe und dient erst Recht nicht der Abschreckung. Die Unschuldsvermutung ist ein tragendes Prinzip aller demokratisch legitimierten Strafprozessordnungen.

    Aha. Und dann muss man sich das hier mal zu Gemüte führen:

    http://www.mainpost.de/regional/franken/385-Gramm-Haschisch-im-Rucksack-Richter-erliess-Haftbefehl;art1727,7100691

    Noch Fragen?

    MfG Andy

    • Ja: In welchem Bundesland spielt Ihr Fall? crh
  3. 3
    Denkt Selbst says:

    Haftgrund Fluchtgefahr nicht gegeben? Auch wenn bereits zwei aus der Totschlägerbande ins Ausland zu ihrer Heimatethnie geflohen sind?
    Ich bin wohl nicht intelligent genug um das zu verstehen.

  4. 4
    titus_shg says:

    @ crh:

    Steht doch im Link. –> Randersacker (Lkr. Würzburg) , also Bayern.

    Wenn dort die Verhängung von U-Haft möglich ist, sogar ohne dass vom (mutmasslichen) „Täter“ irgendein Schaden angerichtet wurde und ohne, dass es ein Opfer gab, ist es mir unverständlich, warum im Berliner Fall trotz der Schwere der Tat und angesichts der zu erwartenden Strafe (und evtl. Fluchtgefahr?) keine U-Haft erfolgte.

    Aber das kennt man ja irgendwie auch schon: wer die ganze „Volksgesundheit“ (durch Drogenbesitz) „bedroht“, den erwartet meist wesentlich mehr an Strafe, als denjenigen, der Menschen wirklich verletzt/geschädigt hat.

    Das mag vielleicht alles nach geltender Gesetzelage irgendwie möglich sein, mit meinem persönlichen Rechtsempfinden deckt sich das allerdings absolut nicht.

    MfG Andy

  5. 5
    Hisham says:

    Die Empörung über diese Entscheidung mag in diesem konkreten Fall nicht gerechtfertigt sein. Aber wenn man sich vor Augen führt, welche… ähm, ich nenne es mal ganz sachte „schwer nachvollziehbaren“ Urteile die Berliner Justiz gegen Gewalttäter in letzter Zeit gefällt hat, wird man erkennen, dass da ein eklatantes Übermaß an Milde und Nachsicht herrscht. Man erinnere sich nur mal an den Fall der Brutalos, die ohne jeden Grund und Anlass Giuseppe Marcone vor ein Auto gejagt haben. Giuseppe Marcone ist tot. Der Haupttäter bekam Bewährung. Wer will so etwas verstehen?
    Und der mutmaßliche Haupttäter im Fall Jonny K. ist mehrfach vorbestraft, u.a. musste er ein Antigaggressionstraining absolvieren. Das scheint ihn ja überaus beeindruckt zu haben.

  6. 6
    dumdidum says:

    @denkt selbst

    1) mutmaßlich
    2) Vom Handeln einer Person auf ne andere Person zu schließen, das geht nicht (so einfach).

    @Andy

    Naja, man kann der Pressemitteilung nicht wirklich viel entnehmen. Vielleicht hatte der Kerl ja noch einige Bewährungen offen, Flugtickets im Rucksack und wurde vorm Flughafen festgenommen, als er gegen den Polizeiwagen gepinkelt hat. Sowas kommt gar nicht gut! Insbesondere nicht in Bayern. Who knows.

  7. 7
    jj preston says:

    Laut Pressemitteilung der Bayerischen Polizei (http://www.polizei.bayern.de/news/presse/aktuell/index.html/166574) wurden die Beamten in der Wohnung des Beschuldigten fündig: Cannabissamen, Drogenutelsilien, Tütchen mit Resten von Amphetamin… Daraus wird der Ermittlungsrichter vermutlich geschlossen haben, dass der Beschuldigte auch während der Ermittlungszeit bis zur Verurteilung nicht davon absehen wird, Handel zu treiben (und 385 Gramm Haschisch sind gemeinhin das, was man unter einer nicht-geringen Menge zum Handel versteht) ==> Wiederholungsgefahr.

    Wie stichhaltig das ist, kann man bei dieser Faktenlage schlecht beurteilen. Dass sich das in Bayern so zugeträgt, gibt noch mal einen Extra-Spin.

  8. 8
    Martin says:

    Die Annahme, dass es sich nur um eine Köperverletzung mit Todesfolge handelt, ist ein Hohn für alle, die Abends einfach nur heil wieder zu Hause ankommen wollen. Der Fall Marcone wurde ja oben bereits angesprochen. Da muss sich die Justiz nicht wundern, wenn ihre Entscheidungen mit Unverständnis aufgenommen werden. Solche Gewaltexzesse sollten für jeden normalen Menschen inakzeptabel sein. Aber offensichtlich ist es für einige Richter nicht schlimm genug, dass ein Mensch zu Tode geprügelt wurde, einfach weil einige Durchgeknallte ihren Probleme in Aggression und Alkoholkonsum kanalisieren.

  9. 9
    tifi says:

    So so, um die Entscheidung der Richter zu kitisieren reichen die verfügbaren Infomationen nicht.
    Um ihr aber Respekt zu zollen schon!?

    Sehr nette Sterotypisierung in der Pressemitteilung:

    die (gesamte) Polizei (im Allegmeinen und im Speziellen vermutlich)
    aber nur Teile der Presse.
    Da will man es sich offensichtlich nicht mit allen verscherzen ;)

  10. 10
    Hardy says:

    Das wird sich erst ändern, wenn mal der Sohn eines Richters oder Staats-/Rechtsanwaltes „dran“ war.
    Konservative sind ehemalige Liberale, deren Tochter vergewaltigt wurde.

  11. 11
    jansalterego says:

    Danke, Hardy! Jetzt weiß ich endlich, was bei den Schwarzen und den Gelben kaputt ist.

    @ Martin: Nur weil Sie sich nachts in Berlin gruseln ändern sich aber Straftatbestände und die Definition von Tatbestandsmerkmalen nicht, genausowenig wie die Rechtssprechung des BGH zur Hemmschwelle beim Tötungsvorsatz. Urteile werden mit Unverständnis idR von denjenigen aufgenommen, die nicht verstehen wollen. Wenn man nix zum Thema weiß und sich auch nicht informiert, was bleibt dann übrig, als mit Unverständnis zu reagieren. Das kann man aber bei aller Liebe nicht den Richtern ankreiden.