Pressemitteilung: Strafverfahren gegen türkische Rechtsanwälte

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. hat am Mittwoch, den 7. November 2012, die folgende Pressemitteilung veröffentlicht:


Massive Rechtsverletzungen im Großverfahren gegen 46 Anwältinnen und Anwälte in der Türkei – Prozessbeobachtung durch RAV und DAV

„Das, was wir heute im Gerichtssaal erlebt haben, zeigt einmal mehr, dass es dem Gericht ganz offensichtlich nicht um die Aufklärung der angeklagten Taten geht, sondern um einen politisch motivierten Prozess, der jegliche Verteidigungstätigkeit ad absurdum führt und die Menschenrechte verletzt“, so Rechtsanwältin Antonia von der Behrens. Sie beobachtet den Prozess für den RAV zusammen mit dem Deutschen Anwaltverein (DAV) und rund 40 weiteren
Vertretern europäischer Anwaltskammern- und Organisationen.

Anklagevorwurf ist die angebliche Mitgliedschaft der Kolleginnen und Kollegen in der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK). Dieser Vorwurf knüpft nahezu ausschließlich an ihre anwaltlichen Tätigkeiten an. 26 von ihnen befinden sich seit fast 1 Jahr in Untersuchungshaft.

Der Strafprozess hatte am 16. Juli 2012 begonnen, wurde nach 3 Verhandlungstagen auf den 6. November 2012 vertagt. Gestern wurde faktisch nur 2 ½ Stunden verhandelt. Dann gab der Vorsitzende die Vertagung bis zum 3. Januar 2013 bekannt. „Dies stellt erneut einen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz dar. Denn auch die Türkische Strafprozessordnung sieht vor, dass die Hauptverhandlung bei inhaftierten Angeklagten nicht länger als 30 Tage unterbrochen werden darf“, so Rechtsanwältin von der Behrens.

Das sind nicht die einzigen Einschränkungen der Verteidigung und Verstöße gegen türkisches Recht:

  • Auch in dem größeren Gerichtssaal fanden nicht alle Verteidiger_innen Platz.
  • Der Kontakt zu ihrer Mandantschaft wurde ihnen durch eine Polizeikette im Saal verwehrt.
  • Der Verteidigung wurde durch das Gericht nur eine beschränkte Redezeit eingeräumt, bei Überschreitung wurde ihnen das Mikrofon abgeschaltet.
  • Den Angeklagten wurde das Recht verwehrt, sich in ihrer kurdischen Muttersprache zu den Vorwürfen zu äußern, obwohl im Türkischen Parlament bereits ein Gesetzesentwurf vorliegt, der Angeklagten die Verteidigung auf Kurdisch ermöglichen soll.

Das Gesetzesvorhaben ist eine Reaktion auf die Forderungen von rund 6.500 kurdischen politischen Gefangenen, die sich zum Teil bereits seit 56 Tagen im Hungerstreik befinden.

Die Verteidigung stellte den Antrag, die Verhandlung bis zur Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes zu unterbrechen und die Angeklagten solange freizulassen. Als auch dieser Antrag abgelehnt wurde, verließen sämtliche Verteidiger den Gerichtssaal.

Das Gericht setzte die Hauptverhandlung unter Verstoß gegen die Türkische Strafprozessordnung ohne die Verteidigung fort und befragte die Angeklagten auf Türkisch.

Rechtsanwältin von der Behrens: „Der Vorsitzende beantwortete dann die von ihm gestellten Fragen selbst. Dies war eine groteske Situation. Nach einer halben Stunde verkündete er schlussendlich die Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zum 3. Januar 2013 bei Aufrechterhaltung der Haftbefehle“.

Der RAV ist angesichts dieser massiven Einschränkung von Verteidigungsrechten höchst besorgt und fordert die umgehende Freilassung der inhaftierten Kolleginnen und Kollegen. Eine derartig lange Untersuchungshaft, verknüpft mit der Unmöglichkeit, sich effektiv gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen, kommt einer Strafe ohne Urteil gleich.

Berlin, 7.11.2012

Das Verfahren in der Türkei zeigt, daß wir hier in Deutschland bei aller – teils erheblicher – Mangelhaftigkeit unserer Strafverfahren noch eine Justiz haben, die vergleichsweise akzeptabel ist. Deutlich wird aber auch, daß die Türkei noch ein gutes Stück Weg vor sich hat, bis die dortige Justiz einen Standard erreicht, mit dem wir als Bürger Europas leben könnten.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Politisches, Strafverteidiger veröffentlicht.

7 Antworten auf Pressemitteilung: Strafverfahren gegen türkische Rechtsanwälte

  1. 1
    ??? says:

    Was ist denn ein Republikanischer Anwaltverein?
    Nie gehört.
    Kenne nur DAV, also den Namen, ohne Mitglied zu sein, denn ich bin keine Juristin.

  2. 2
    kinder-sind-unschlagbar says:

    Guter Eintrag.
    Gerade weil hier oft (teilweise sicher zu Recht) Polizei und Justiz kritisiert wird, tut der Kommentar, dass wir es in Dtl. mit einem vergleichsweise sehr gutem System zu tun haben, auch mal gut.
    Wie schnell man in der Türkei für viele Monate in U-Haft verschwindet, wissen wir spätestens seit Marco. Hier wurde der Prozess regelmäßig nach 10 min „Verhandlung“ um die erlaubten 30 Tage verschoben.
    Die EU muss hier ganz klar sagen: Solange hier nicht wirklich was geändert wird, denken wir noch nicht mal über Beitrittsverhandlunegn nach.

  3. 3
    JJPreston says:

    *pssst* (Kann man nachlesen bei Wikipedia…)

    Sorgen machen mir nur die Mitbegründer: U.a. Gerhard Schröder, Otto Schily…

    Und nein, mit der Schönhuber-Partei hat der nix zu tun.

  4. 4
    RA N says:

    Der Kontakt zu ihrer Mandantschaft wurde ihnen durch eine Polizeikette im Saal verwehrt.

    Da kann ich ja froh sein, dass das Landgericht München gestern meinem Mandanten sogar „auf besonderen Wunsch“ gestattet hat, neben seinem Verteidiger zu sitzen, anstatt eine Reihe vor mir auf der Arme-Sünder-Bank. :D

    Polizeikette war also ebenso wenig notwendig, wie ein paar unschöne Anträge meinerseits.

  5. 5
    schneidermeister says:

    @RA N
    Beim „LG München“ mit den schönen tabakgelben Rauhfasertapeten können Sie unproblematisch aus der Reihe hinter dem Mandanten mit Ihrem Mandanten direkt vor Ihnen kommunizieren, „unschöne Anträge“, die zu einem erfolgreichen § 338 Nr. 8 Nr. 3 oder 8 StPO führen (wie in der gerne bemühten Entscheidung des OLG Köln mit einem deutlich anderen Sachverhalt), sind bei dieser Situation reine Papier- und Zeitverschwendung.

  6. 6
    RA JM says:

    … eine Justiz haben, die vergleichsweise akzeptabel ist …

    trotz gelegentlicher (heftiger) Ausrutscher.

  7. 7
    Hinz says:

    Wenn von vergleichsweise akzeptabler Justiz gesprochen wird, hätte ich von Herrn Hoenig gerne mal ein Land gehört, in dem die Justiz in besserem Zustand ist als in Deutschland.