Ich habe mich daran gewöhnt, daß über Strafverfahren Berichte geschrieben werden von Journalisten, die keine Ahnung haben, von dem, über das sie schreiben. Nun kann ich nicht fordern, daß ein Journalist neben seiner eigentlichen Ausbildung auch noch ein Jura-Studium abschließt. Ich erwarte aber, daß zumindest so genannte Gerichts-Reporter sauber recherchieren – nicht nur den Sachverhalt, sondern eben auch den Rahmen, in dem sich die Geschichten zutragen, die sie dem Volk erzählen.
Der Anwalt des vom Kieler Landgericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilten Ex-Rockers hat das Urteil angefochten.
lese ich die Agenturmeldung in der Welt Online.
Das ist falsch! Das Urteil ist nicht in einem Verfahren gegen den Verteidiger gesprochen worden. Und wenn der Verteidiger nicht verurteilt wurde, kann er auch in eigenem Namen kein Rechtsmittel einlegen. Das ist nicht schwer zu verstehen.
Der Verteidiger hat seinen Mandanten vertreten. In dem Verfahren vor der Strafkammer, und nun auch im Rechtsmittel. Das heißt dann aber auch, er legt das Rechtsmittel für seinen Mandanten ein.
Richtig formuliert hieße es also:
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Der vom Kieler Landgericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilte Ex-Rocker hat das Urteil angefochten.
Und dann könnte man auch noch ausführen, daß ihm der Rabatt, den ihm das Gericht für den Verrat gegeben hat, nicht ausreichte. Aber das wäre ja auch nur eine tendenziöse und böswillige Unterstellung. Aber ich bin ja auch kein ausgebildeter Journalist.
Naja. Im Vergleich zu dem Unfug, der teilweise im Wirtschaftsrecht verzapft wird, ist das m.E. doch eher eine kleinere Ungenauigkeit, die man verzeihen kann. Den Leuten wird schon klar sein, dass der Anwalt für den Mandanten (und nicht für sich selbst) Rechtsmittel eingelegt hat.
Wenn man ganz technisch arbeitet, kann es auch merkwürdig wirken. Wie im Arzthaftungsrecht, wo dann der schwerstbehinderte dreijährige Kläger seinen umfangreichen Vortrag auf zahlreiche Literaturquellen stützt.
Und ja: Man muß es auch nicht übertreiben, insoweit haben Sie Recht mit ihrem „Kinder-Kläger“. Aber auch das sollte ein Sprachkundiger in den Griff bekommen können. crh
Na ja, das ist mE kein Anlass zum Aufregen über schlechten Journalismus. Das mit dem Anfechten ist bestenfalls unsauber formuliert und steht gefühlt so in jedem fünften Anwaltsschriftsatz (´“namens und im Auftrag meines Mandanten“ vergisst so mancher, auch im Eifer des Gefechts bei der Richterablehnung, aber die Gerichte müssen wohlwollend auslegen, dass der RA natürlich für den Mandanten erklärt).
Umgekehrt gab es gerade wieder einmal- war ja in der Sache nicht neu- eine BGH-Entscheidung zum RA, der keine eigene Revisionsbegründung verfasst hat, sondern nur die Unterschrift unter das Schreiben seines Mandanten setzte.
Das Dilettieren der Journalisten zeigt sich meist beim Verwechseln von Zivil- und Strafprozess („der Verteidiger des Beklagten“), dem Verkennen der Bewährung und der Bewährungsauflage („Bewährungsstrafe von 3 Jahren und eine Geldbuße“)….
So wärs noch besser:
Der Ex-Rocker, der vor dem Kieler Landgericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, ist mit dem Urteil unzufrieden:
Sein Verteidiger hat für seinen Mandanten Revision eingelegt.
Sagen Sie das bitte auch dem Verfasser des Blogbeitrags http://www.kanzlei-hoenig.de/2012/widerruf-der-wuerde/ vom März dieses Jahres („Es war abgesprochen, daß ich [!] Berufung einlege, …“).
Das Traurige ist aber, dass viele der „Gerichtsreporter“ selbst Jura studiert und zumindest ein erstes Staatsexamen haben.
Der Verteidiger hat das Urteil angefochten, wer denn auch sonst?
Der Beschuldigte dürfte gar nicht postulationsfähig sein vorm LG, vgl. § 140 StPO.
Wer vertritt gibt im Übrigen auch zivilrechtlich eine eigene Willenserklärung ab, das unterscheidet ihn vom Boten. Die Folgen der Erklärung treffen hingegen nur den Vollmacht- und Auftraggeber, sofern der Vertreter sich im Rahmen der Vertretungsmacht bewegt.
PS: Ferner ist dem Gericht entweder durch Vorlage einer Vollmachtsurkunde oder anwaltliche Versicherung die Vertretung bekannt. Es ist also vollkommen ausreichend, wenn der Verteidiger mit „ich“ Rechtsmittel einlegt. Die Offenkundigkeit ist gewahrt.
Herr Hoenig,
jetzt sind Sie doch mal nicht so kleinlich. Am Ende lassen Sie Ihre Mandanten auch alleine im Knast schmoren und treten die Haftstrafe nicht gemeinsam mit den frisch Verurteilten an? How shocking.
Wie kann man von Journalisten verlangen, dass sie die Materie kennen, über die sie schreiben? Wozu auch, 60% des Zeitungsinhalts werden von AFP, DPA oder Reuters geliefert, 25% bestehen aus ideologischem Nachgeplapper dessen, was andere gesagt haben, dass politisch korrekt wäre und für die verbleibenden 15% kann man keine qualifizierten Kräfte einestellen, das ist zu teuer und lohnt sich entsprechend nicht.
Dass die Kritik kleinlich ist – geschenkt.
Bedenklich finde ich die Wortwahl „Verrat“ dafür, dass der Angeklagte ausgesagt hat. Ist dies etwa eine persönliche Wertung des Blogautors?
Ich gebe Kollegen Hoenig vollkommen Recht. Die Gerichtsreporter erheben einen besonderen Anspruch gegen die Justiz und in der Öffentlichkeit und sollten deshalb auch juristisch korrekt berichten und nicht wie bei uns in Würzburg in der Hauptverhandlung laut schnarchen.
§ 297 StPO. Der Verteidiger kann aus eigenem Recht und in eigenen Namen Rechtsmittel einlegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 297 Rn. 3). Insofern finde ich die Formulierung nicht falsch.
„Mir sind durchaus einige Journalisten – auch solche von großen Presseagenturen – als sorgfältig und gewissenhaft bekannt. crh“
Mir auch. Aber als ehemaliger Gerichstreporter kenne ich den Laden von innen und weiß daher, dass die sorgfältigen Journalisten wenige sind und die mutigen Journalisten nur eine Teilmenge der sorgfältigen…
Das ist nicht schön, aber noch sehr harmlos.
Absoluten Oberknaller: Angeklater wurde vom AG XY wegen mehrfacher Nachstellung zu fünf Monaten auf Bewährung verurteilt mit der üblichen Bewährungsauflage jeden Wohnortwechsel zu melden.
Radiomeldung am Nachmittag: Von dem AG XY wurde heute ein aggressiver Stalker zu fünf Monaten Bewährung verurteilt. Des weiteren wurde der Stalker dazu verurteilt UMZUZIEHEN.
Verteidigen Sie mal regelmäßig auf dem Lande an einem kleinen Amtsgericht. Da sind sie froh, wenn ein ähnlicher Satz nicht lautet:
„Der Verteidiger des vom Amtsgericht Verurteilten hat gegen die dreijährige Bewährungstrafe Beschwerde eingereicht.“
Bei der Süddeutschen Zeitung hat mal einer als Gerichtsreporter gearbeitet, der hatte Musikgeschichte studiert.
Der SPIEGEL kann sich Frau Friedrichsen leisten, aber was ansonsten auf die Menschheit losgelassen wird…..
Die Monatszeitschrift Eulenspiegel, die ursprünglich eine Wochenzeitung war, hatte mal juristische Reportagen über ungewöhnliche Fälle, aufgeschrieben von einem, der selbst Jurist war.
Die Kategorie hieß:
Herr Richter, was spricht er?
Dass bloggende Strafverteidiger sich im Verdammen der Kronzeugenregelung und dem Einschreiten gegen Hells-Angels-Banden überschlagen, ist ja eine altbekannte, wirtschaftlich motivierte, Erscheinung.
Die Kritikasterei ist aber hier überkleinlich und – wie oben dargelegt – auch in der Sache verfehlt.
Mir würde auch die Bezeichnung Rocker sauer aufstossen. Mitglied eines sogenannten Rocker-Clubs klingt sicher unhandlich, würde aber den Generalverdacht/die Sippenhaft möglicherweise etwas mildern. Vorurteile vereinfachen das Leben so ungemein und verhindern gleichzeitig, daß man etwas Neues in sein Weltbild einbaut, das man gewöhnlich so heftig verteidigt.
@crh:
Wie gesagt, es ist mE nicht gerade der größte Stein des Anstoßes, und ein angeblich bildungsbeauftragter Journalist (+ sein Redakteur, der ihm fürs layout vielleicht noch den Text zusammenstreicht) müssen nicht schlauer formulieren können als die juristischen Berufsträger, abgesehen von dem obigen Hinweis des RA Humbert auf 297.
Nicht auszurotten sind im Zivlirecht die Anträge auf x % Zinsen über dem Basiszinssatz. Statt Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Aber auch da neigen die Gerichte zu wohlwollender Auslegung und verhindern so Haftungsfälle.
Der Satz hätte auch lauten können: Der Anwalt des vom Kieler Landgericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilten Ex-Rockers hat das Urteil in Namen (Auftrag) seines Mandanten angefochten.
Es stellt sich die Frage, muss in der deutschen Sprache „in Namen (Auftrag) seines Mandanten“ auch geschrieben werden, um nicht wegen einer vermeintlichen Unwahrheit (Mehrdeutigkeit) angegriffen zu werden.
Nebenbei bemerkt: In der Rechtsprechung ist es umstritten, inwieweit sich die Mandanten alles, was in den Schriftsätzen ihrer Anwälte steht, sich zu eigen machen müssen.
Insofern ist der angegriffene Satz: „Der Anwalt des vom Kieler Landgericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilten Ex-Rockers hat das Urteil angefochten. “ korrekt und nicht angreifbar, weil verständlich.
@RA N
Schönes Beispiel. Auch die anderen Verfahrensbeteiligten erfreuen sich hin und wieder an Sätzen wie:
„Insbesondere wertete es Richter H. als strafschärfend, dass der Angeklagte kein Geständnis ablegte“.
Ein Kollege von mir pflegt zu sagen: „100 Prozent korrekt formuliert ist 100 Prozent langweilig.“ Womit er oftmals recht hat.
Übrigens darf sich jeder Journalist nennen (also auch ich oder sogar Herr Hoenig) – während die höchst ehrenwerte Berufsbezeichnung Rechtsanwalt nur einem genau definierten Kreis volljähriger Personen beiderlei Geschlechts vorbehalten bleibt, die ganz spezielle Zulassungskriterien erfüllen müssen, was sich dann hoffentlich auch im Einkommen abbildet.
@crh:
Ich will nicht der Kronzeugenregelung in ihrer jetzigen Form das Wort reden; diese ist sicher überzogen (wobei der schwerste Einwand nicht die Anreizsetzung zur Offenbarung schwerer Straftaten ist, sondern dass § 46b StGB zu schuldunangemessen niedrigen Strafen führen kann).
Es dürfte aber wohl unstreitig sein, dass die Offenbarung schwerer Straftaten durch einen Straftäter auch ohne § 46b StGB als Nachtatverhalten im Rahmen des § 46 StGB zu berücksichtigen ist.
Ich finde es daher recht poussierlich,
@ T.H., RiAG: Ihre Version auch nicht unrealistisch aber die weitaus schlimmere: Für den Richter mindestens rufschädigend und für den Verteidiger, der von dem Artikel Kenntnis erlangt, eine Menge zusätzlicher Arbeit.
@ crh:
[Kommentarteil gelöscht. crh]
Was mich noch interessiert, ist, ob Sie meinen Schlusssatz entstellend zensiert haben oder ob der abgebrochene Satz technischen Gründen (oder meinem Unvermögen) geschuldet ist.
@crh:
p.s.: Herr Nebgen regt sich gerade unter dem Titel „der Rechtsanwalt auf dem Weg zum Ich“ über Richter des OLG Braunschweig auf, die den Satz eines Anwalts „hiermit lege ich gegen das Versäumnisurteil Einspruch ein“ ganz genau so wortlautgetreu aufgefasst haben, wie Sie es beim laut Presse revidierenden Verteidiger tun..
Die dafür vom BGH auf die Nase bekommen haben.