Richterliche Kontrolle in Zeiten des Cyber Crime

Seit gestern stapeln sich die Meldungen über einen gewaltigen Polizeieinsatz im deutschsprachigen Teil Europas. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main sind quadratkilometerweise Wohn- und Geschäftsräume in Deutschland, Österreich und in der Schweiz durchsucht worden.

Ein paar Jungs machten sich nach einem Bericht im Spiegel zufolge:

einen neuen Passus im Telekommunikationsgesetz zunutze. Dieser ermöglicht es Netzbetreibern, sogenannte Mehrwertdienstleistungen über die Telefonrechnung einzuziehen.

Das soll zur Wanderung von vielen kleinen Beträgen in die Taschen einer Gruppierung um ein paar technisch begabter Telefondienstleister geführt haben. Es ist die Rede von 1,6 Millionen Euro die auf diesem Wege zusammen gekommen sein sollen.

Ich hatte bereits Anfang Januar in einem Blogbeitrag auf einen Artikel von Holger Bleich in der ‚ct hingewiesen. Bleich beschrieb darin „innovative Abrechnungsmodelle“ mithilfe der Mobilfunkanbieter, die von findigen Unternehmer als „undolose Werkzeuge“ ;-) genutzt werden.

Ähnlich informativ liest sich nun der Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Januar 2012. Auf rund fünf Seiten beschreibt die Richterin, die den Beschluß erlassen hat, ein Verfahren, daß auch IT-erfahrene Juristen erst nach dem zweiten oder dritten Mal Durchlesen verstehen. Die Staatsanwaltschaft wird da sicherlich einmal mehr eine hervorragende Textvorlage für die Durchsuchungsbeschlüsse und Haftbefehle geliefert haben. Hoffentlich gleich auf einem Datenträger, damit dem Gericht die Abtipperei erspart geblieben ist.

Wenn man das Verfahren kennt, mit dem solche Beschlüsse auf Antrag der Staatsanwaltschaft entstehen, wird sich die Frage stellen: Hat die Richterin wirklich ein hohes technisches Know How oder nutzt sie lediglich die Kompetenz der Spezialisten bei den Kriminalämtern? Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß eine Prädikatsjuristin auch eine Prädikatsinformatikerin ist.

Unsere Verfassung verlangt bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen – wie Wohnungsdurchsuchungen oder Verhaftungen – die Kontrolle der Exekutive durch einen Richter. Es scheint zunehmend Gründe zu geben, keine juristischen, aber intellektuelle und tatsächliche, die diese richterliche Kontrolle aushebeln.

Ein interessantes Spielfeld für spannende Anträge einer engagierten Verteidigung.

Dieser Beitrag wurde unter Cybercrime veröffentlicht.

11 Antworten auf Richterliche Kontrolle in Zeiten des Cyber Crime

  1. 1
    Norbert says:

    Faustus im Knast?

  2. 2
    Canpo says:

    Fassen wir den Blogeintrag einmal zusammen:
    – Ein RA der das im Durchsuchungsbeschluss beschriebene IT-Verfahren zur Abzockerei nicht beim ersten mal durchlesen versteht. Daraus folgt die ausstellende Richterin konnte das folglich auch nicht gleich verstehen (vermutlich hat sie sich mit der Materie NIEMALS auseinandergesetzt). Folglich wurde Ihr von der Staatsanwaltschaft ein Schreiben diktiert. Folglich eine Sauerei wie hier in die Grundrechte eingegriffen wurde aufgrund eines Verfahrens das keiner verstehen kann.

    Die Kette besteht aus Vermutungen, richtig weiß das der Verfasser eigentlich nicht, aber egal, immer drauf ! ;)

  3. 3
    W says:

    Also, ich persönlich habe beim Lesen bemerkt, dass es sich um Vermutungen handelt. Gut begründete Vermutungen mit recht hoher Eintrittswahrscheinlichkeit. Aber Vermutungen.

    Jemanden auf seinem eigenen Webspace zu verteidigen, wirkt immer etwas anbiedernd. Aber diese Kritik verstehe ich wirklich nicht.

  4. 4
    SirhanSirhan says:

    Es gibt leider keine Entschuldigung mehr dafür, kein (Prädikats–) Informatiker zu sein, gleich welchem Broterwerb man nachgeht. Das hat sich bloß bei vielen Juristen (Anwesende explizit ausgenommen!) noch nicht herumgesprochen. Viele verwenden sogar die teure Branchendienstleistung einer Anwalts-Email, die unverschlüsselt über das Netz geht. Oder meinen, ein Mobiltelefon sei überflüssig/nicht standesgemäß. Es wird Zeit, dass das Beispiel von CRH Schule macht.

  5. 5
    eborn says:

    @ canpo:
    wichtig (für uns Leser) ist doch nur zu wissen, dass es tatsächlich IT-erfahrene Juristen gibt.

  6. 6
    ??? says:

    Vielleicht auch eine Frage der Jahrgänge.
    Eine junge Richterin, mit Technik, Computer und Internet kann das vielleicht besser nachvollziehen als eine kurz vorm Ruhestand.
    Zudem ist jeder Jurist auf Gutachter angewiesen.

    Bei Ärztepfusch kommen auch Professoren oder Personen von der Krankenkasse zur Zeugenaussage bzw. erstellen Gutachten.

    Bei einem Prozess um einen Fernfahrer (Verkehrsunfall, sehr hoher Sachschaden) hat der Angeklagte einmal verlangt, dass der Richter ein Mann mit LKW-Führerschein ist. So abwegig ist das nicht, wenngleich es abgelehnt wurde.

    Aber wie weiß ein Richter, der mit der U-Bahn zum Gericht kommt, was auf den Autobahnen wirklich los ist und wie der Preisdruck in der Branche aussieht?

    Genau könnte man anzweifeln, dass ein kinderloser Richter Mitte 40, Eigentumswohnung, genau weiß wie eine Alleinerziehende mit drei Kindern und Sozialhilfe klarkommen soll?

    Das ist ein ewiges Feld. Es steht und fällt mit verantwortungsvollen Gutachtern, die alles so erklären, dass es schlüssig nachvollziehbar ist.
    Da kann nicht jeder.

  7. 7
    Lexus says:

    Und woher hat der Staatsanwalt sich seinen Text dann zusammenkopiert?

    Die Wahrscheinlichkeit, dass der Staatsanwalt sich seinem eigenen IT-Verstand oder externen Quellen bedient hat, ist doch genauso, wie es die Richterin getan hat?

  8. 8
    ITler says:

    Ich sehe hier eigentlich keine grundsätzlichen Probleme: Es gibt genügend Informatiker, die auch eine normal verständliche Sprache beherrschen. Sollten in den Anträgen der StA „Textbausteine“ enthalten gewesen sein, die der Richterin nicht geläufig waren, so könnte sie sich vor Beschlussfassung ja fachlich beraten (vulgo: übersetzen) lassen haben.

    Es kann für eine Verteidigung natürlich hilfreich sein, das genau zu hinterfragen – und wenn mit dem Ergebnis, dass die Rechtstaatlichkeit gewahrt geblieben ist.

    Anders sehe ich die Ausrede der Mobilfunker, sich beim Inkasso bitte direkt an den Anbieter zu wenden, bei allfälliger Sperre des Vertrages im Falle einer Nichtleistung des Inzahlunggenommenen. Solange dieser den unbestrittenen Forderungsbetrag fristgerecht bezahlt, wird sich für den Mobilfunker eher keine Möglichkeit zur SIM-Sperre ergeben ohne gleichzeitig vertragsbrüchig zu werden (und schadenersatzpflichtig zu werden – Vorsatz wird hier nicht schwer nachzuweisen sein).

    Klar: in der Praxis wird sich die kleine Mutti das nicht antun, aber es soll ja auch härtere Gegner geben. Ich würde mich in so einem Fall nämlich mal entspannt zurück lehnen und den Herren Content-Anbietern eine Klage gegen mich zur Abklärung ihrer Standpunkte empfehlen.

    Sollte die Verteidigung der Abzocker das grundsätzlich anders sehen, könnte umgekehrt eine Mittäterschaft der Mobilfunker wegen Verführung zum einfachen Inkasso im Raum stehen :D

  9. 9
    BV says:

    Ich kann die Kritik noch nicht ganz nachvollziehen. Allein aus der Tatsache, dass die Richterin den Beschluss erlassen hat, soll erkennbar sein, dass sie keine Ahnung von der Materie hat und sie sich auch nicht vorab verschafft hat?! Daran wäre ja ohne weitere Anhaltspunkte nur dann zu denken, wenn in dem Beschluss (technische) Unwahrheiten stünden oder darin sonstige Fehler zu finden sein sollten. Aber davon ist ja vermutlich nicht auszugehen, da ja offenbar eine (gut formulierte?) Textvorlage verwendet wurde.

  10. 10
    Aboking says:

    Was ist denn an dem Geschäftsmodel so kompliziert, dass man 5 Seiten benötigt? Es geht doch um Festnetz, da braucht es keine technischen Tricks wie bei den Mobilfunk“drittanbietern“.

    Man nehme eine normale problematische Forderung für irgendeinen Kram und sucht sich einen hilfsbereiten (Festnetz)-Verbindungsnetzbetreiber. Der darf Forderungen über die Rechnung des marktbeherrschenden Teilnehmernetzbetreibers (i.d.R. Telekom) einziehen. Mit der Beute macht man Kippe/Kippe.

  11. 11

    @5: „Eine junge Richterin, mit Technik, Computer und Internet…“

    Das ich nicht lache, selten so eine absurde Vermutung gelesen. Das hat die gleiche Qualität wie die Annahme, eine heute Autofahrende habe mehr Ahnung von Explosionsmotoren, Reifenwechsel und Auffüllen von Wischwasser als eine Dame, die alterbedingt ihren Lappen gestern abgab.

    Die Frau Richterin dürfte eine gewöhnliche Mausschubse sein, die übliche Panik in den Augen, wenn der Papiereinzug im Drucker Stress macht, wenn vermutlich auch mit einer besseren Hand-Augen-Koordination als ein älteres Semester, das war ’s dann aber auch schon.