Verbrauchende Beleidigung

Der klassische Freispruch ergeht, wenn dem Angeklagten die ihm zur Last gelegte Tat nicht nachgewiesen werden kann. Zum Beispiel, wenn er ein Alibi hat.

Es gibt weitere Möglichkeiten, die zu einer freundlichen Beendigung des Verfahrens vor dem Strafrichter führen müssen. Eine Variante ist der Strafklageverbrauch. Damit hatte sich das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss v. 20.03.2012 – III-3 RVs 28/12) beschäftigen müssen.

Gegenstand der rechtsrheinischen Entscheidung war ein Standardfall. Der Betroffene, also Wilhelm Brause, wurde von einem Polizeibeamten, Bulli Bullmann, gebührenpflichtig verwarnt, weil er – Brause – zu schnell gefahren war. Bullmann gab Brause einen entsprechenden Zettel.

Das gefiel Brause nun gar nicht, er belegte Bullmann mit ehrkränkenden (hier nicht zitierfähigen) Titeln und schmiss dabei den Zettel in die Gegend. Bullmann schrieb weitere Zettel, die Brause dann mit der Post bekam: Eine Strafanzeige wegen Beleidigung, die von einer Verunreinigung der Straße begleitete wurde – eine Straftat und eine Ordnungswidrigkeit.

Allerdings wurden daraus zwei Verfahren gemacht – wohl wegen der unterschiedlichen Zuständigkeiten. Das Verfahren wegen der Straßenverunreinigung lief zügiger und wurde vom Amtsgericht in der Hauptverhandlung eingestellt.

Mit dieser Verfahrenseinstellung war dann aber auch die Beleidigung erledigt, es war Strafklageverbrauch eingetreten.

Die bösen Worte und die Knolle fielen in einem Rutsch. Es handelt sich dabei um eine einzige Tat im prozessualen Sinn. Das Wegwerfen des Köllchens ist untrennbar mit der Beleidigung verbunden, sozusagen ein homogener Lebenssachverhalt.

Hat nun ein Richter abschließend über diese (eine) Tat entschieden, kann ein anderer Richter diese (selbe) Tat nicht noch einmal be- oder verurteilen, nur weil er sie jetzt aus einer anderen Richtung betrachtet. Das hat nun kein Strafverteidiger erfunden, sondern das steht im Gesetz: § 84 II OWiG.

Der Verteidiger muß in solchen Konstallationen nur darauf achten, daß das „billigere“ Verfahren schneller durch einen Richter beendet wird. Das heißt im vorliegenden Fall: Gas geben vor der Bußgeldbehörde wegen der Verunreinigung und gleichzeitig Bremsem bei der Staatsanwaltschaft wegen der Beleidigung.

In der Düsseldorfer Entscheidung ist Brause trotz begangener „Umweltverschmutzung“ und „Beamten-Beleidigung“ ohne gekrümmte Haare aus dem Verfahren gekommen. Clever gemacht !

Ausführlicher über diesen Fall berichtet Carsten Krumm im Beck-Blog.

Dieser Beitrag wurde unter Strafrecht, Strafverteidiger veröffentlicht und mit den Begriffen verschlagwortet.

10 Antworten auf Verbrauchende Beleidigung

  1. 1
    ohje says:

    Ist das gerecht? Ich denke eher nicht.
    Es ist beschämend, wenn sowas auch noch als klever Strategie verkauft wird. Sicher soll ein Strafverteidiger sich nur um die Belange des Beschuldigten kümmer, aber welches Signal geht von so einer Taktik aus? Ich dachte immer es geht bei der Juristerei um Gerechtigkeit. Wie man sich über so ein Tritt in den Rücken von Justitia freuen kann entzieht sich mir.

    Man stelle sich das ganze mit einer deutlich schweren Straftat vor. Raub oder Totschlag…
    Ich weiß Sie hören das öfter, aber ich könnte nicht mit der Gewissheit einschlafen, einen (erwiesenen) Straftäter durch solche Tricks zur Straffreiheit zu verhelfen. (ja, ja, ist ja kein Straftäter da nicht verurteilt…)

  2. 2
    Klaus says:

    @ohje:
    Wenn jemand einen Zettel wegwirft und gleichzeitig Jemandem die Kehle aufschlitzt, dann kann auf die Anklage wegen Umweltverschmutzung, finde ich, ruhig verzichtet werden. Dann kann das auch gar nicht passieren.
    Bei Tateinheit sollte jeweils nur das Schlimmste Vergehen angeklagt werden.
    Die Situation ist doch nur so, weil da jemand dem Beschuldigten maximal was reinwürgen wollte. Vielleicht hat er sogar noch gepupst. Das müsste man auch noch anzeigen können. Bestimmt!

  3. 3
    Andreas says:

    @ ohje

    Wie war das noch… „moralische Entrüstung ist die Würde der Idioten“ (Marshall McLuhan)

    Materielles Recht und Rechtsfindung sollten sich in einem Rechtssteit nicht zu weit von der gefühlten Gerechtigkeit entfernen. Zugleich ist es aber in einem Rechtsstaat auch erforderlich, dass es ein ordentlichens Gerichtsverfahren gibt, das festen Prinzipien folgt. Eines dieser Prinzipien ist, dass es für eine Tat nur eine Strafe geben kann (ne bis in idem).

    Es gehört zum absoluten Standardwissen, dass eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer prozessualen Tat zum Strafklageverbrauch wegen aller in dieser Tat begangenen Delikte führt. Falls Sie dies schockiert, gibt es hier noch meinen Lieblingsfall zum Straklageverbrauch zur Abhärtung:

    Nach BGH, Urteil vom 11.04.1995 – 1 StR 64/95:
    Der Täter fuhr ohne Führerschein zur Bank, überfiel diese und flüchtete wieder per Auto. Nach der Verurteilung wegen Fahren ohne Führerschein wurde der Täter wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt. Der BGH hob das Urteil wegen schwerer räuberischer Erpressung auf. Beide Stratabestände wurden während einer prozessualen Tat begangen, insofern hatte die Verurteilung wegen Fahren ohne Führerschein zum Strafklageverbrauch geführt.

    Wenn man so etwas nicht weiß, kann man die Revisionsklausur im Staatsexamen gleich vergessen. Und wenn man überall im Verfahrensrecht so große Lücken hat, kann man das zweite Staatsexamen komplett vergessen. Insofern werden die Heinis, die nur mit Gerechtigkeit argumentieren schon ausgesiebt…

  4. 4
    RA Anders says:

    Bei der dargestellten Methode muß man aber auch verhindern, daß die möglicherweise verschiedenen Geschäftsstellen beim Amtsgericht nichts von dem jeweils anderen Verfahren mitbekommen. Bei meinem kleinen Amtsgericht ist dieser Versuch mal gescheitert, weil die Geschäftsstelle für Strafsachen auch die OWis macht. Es waren zwei verschiedene Richter aber halt nur eine Geschäftsstelle, dann wurde leider nur in der OWi eingestellt.

  5. 5
    TAB says:

    @Ohje

    Die Illusion wird jedem Studenten bereits im ersten Semester genommen. Es geht darum, dass Kontrukt „Jura“ am laufen zu halten und dass geht halt nur mit Kompromissen und manchmal auch der „subjektiv“ empfundenen Ungerechtigkeit.

    Als Anwalt muss man eben auch solche prozesualen Tricks nutzen, um das beste Ergebnis für den Mandanten rauszuholen – schon alleine deshalb, weil man sich ansonsten schadensersatzpflichtig machen könnte.

    Um sie zu beruhigen, gilt das Verfahrenshindernis „ne bis in idem“ nicht für ihr Beispiel :)

  6. 6
    Steffen says:

    Angenommen Brause hatte den Blaumann an Ort und Stelle kaltgemacht, wer das dann auch hinfällig???

  7. 7
    Steffen says:

    *wär* ;-)

  8. 8
    Mirco says:

    Für Verbrecher stellt dies einen Anreiz dar, für ein in Tateinheit begangenes Wenig ein Verfahren schnell rechtskräftig werden zu lassen. Irgendein Vergehen, dass man reumütig gesteht und gegen kleines Geld abschließt findet sich doch immer.

  9. 9
    ohje says:

    @Andreas

    Und Sie sind wirklich der Meinung, dass man allen mit latenten Beleidigungen begegnen muss, die vielleicht etwas anders ticken als man selbst? Wenn es Ihrem schäbigem Ego hilft – geschenkt!

  10. 10
    Schnorri says:

    Da hat doch nur in den Vorgängen der wechselseitige Verweis gefehlt.
    Generell kann der Strafrichter die Owi mit urteilen, ganz unabhängig von Zuständigkeiten…