Verteidigung in den Knast

Das Vorstrafenregister des Mandanten hat einen beträchtlichen Umfang: 18 Eintragungen. Vergleicht man das mit dem Führungszeugnis des Durchschnittsbürgers könnte man meinen, man hat es mit einem Schwerverbrecher zu tun.

Der Mandant hatte jedoch nicht den Hauch einer Chance, die jedem dieser besagten unbestraften Normalos mitgegeben wurden. Gegen den Drogen- und Alkoholkonsum seiner Mutter während der Schwangerschaft konnte er sich genauso wenig wehren wie gegen die Mißhandlungen in den wechselnden Heimen.

Den Verstand, den ihm der liebe Gott aber dennoch zur Verfügung gestellt hatte, hat der Mandant durch den Konsum ungesunder Substanzen nicht gerade gefördert. Seine Fluchten in den Rausch haben nicht dazu beigetragen, daß er die allgemeine Hochschulreife erlangen konnte. Im Gegenteil. Der Psychiater bescheinigt ihm:

einen suchtbedingten Persönlichkeitsabbau mit Kritik- und Urteilsschwäche, allgemeiner Nivellierung des Wertgefüges und Einengung des Interesses auf die Beschaffung und den Konsum von Rauschmitteln.

Nun hat man ihn wieder einmal erwischt. Er betritt einen Laden, obwohl ihm ein paar Wochen zuvor dort ein Hausverbot erteilt wurde. Die Verkäuferin erkannte ihn und verweist ihn nach draußen. Darum kümmert er sich nicht. In der Ermittlungsakte lese ich:

Er habe sie jedoch ignoriert und sei zielstrebig zu dem Regal mit Haarspray gegangen. Dort habe er zwei Dosen der Marke „taft classic“ aus dem Regal genommen und habe den Laden verlassen.

Wenig später wurde er von der Polizei festgenommen. Die beiden Dosen wurde bei ihm sichergestellt. Eine davon war bereits leer.

Welche Möglichkeiten hat der Strafrichter? Er ist u.a. an das Gesetz gebunden. Das sieht Freiheitsstrafe oder Geldstrafe für den Hausfriedensbruch und den Diebstahl vor. Wegen der Vorstrafen – 15 von den 18 sind Diebstähle von Haarspray! – kommt eine Geldstrafe nicht mehr in Betracht. Also Knast. Zusammen mit den beiden offenen Bewährungen wird das wohl nicht unter zwei Jahren abgehen.

Es sei wohl das Beste, wenn er ins Gefängnis gehe, sagte mir der Mandant. Da gebe es wenigstens keinen Haarspray. Ja, das sei so wohl die einzige Möglichkeit, von dem Zeug wegzukommen. Stellt er sich so vor.

Ich weiß, daß der Mandant sich irrt. Aber ich sehe keine realistische Alternative. Denn unsere Gesellschaft gibt solchen Schicksalen kaum eine Chance zum menschenwürdigen Überleben. Das Gesetz gibt dem Strafrichter keine Möglichkeit, nach seinem Gewissen zu entscheiden. Und dann ist ein Verteidiger auch schon mal hilflos.

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19 Antworten auf Verteidigung in den Knast

  1. 1
    RA Neldner says:

    Bescheidene Situation.
    Erneute Bewährung würde die Sache allerdings auch nicht besser machen, weil die Welle nur größer wird, bevor sie bricht.
    Wenn es der Mandant will, in Richtung Maßregel gehen. Ob Haarspray als berauschendes Mittel im Sinne des § 64 durchgeht erscheint mir allerdings fraglich.
    Evtl. Geldstrafe die in Arbeitsstunden umgewandelt wird, mit der Argumentation, dass die äußerst geringe Schwere der Tat auch bei vielfacher Wiederholung keine Freiheitsentziehung rechtfertigt. Das setzt aber einen sehr verständnisvollen Richter voraus.

  2. 2
    ??? says:

    Geschmickt und gestylt in den Knast.
    Bei diesem Wetter pfeife ich auf Frisur und Fönwelle, auf Haarcreme und sonstiges und ziehe eine Wollmütze fest über die Ohren.

    Aber der Verbrecher hat sich von der Fernsehwerbung beeindrucken lassen:
    Beim Ladendiebstahl – die Frisur sitzt.
    Bei den Bullen – die Frisur sitzt.
    Im Gerichtssaal – die Frisur sitzt.
    Im Knast – die Frisur sitzt.

    Hoffentlich war es Drei-Wetter-Taft und nicht irgendein Billig-Produkt.

  3. 3
    !!! says:

    Werter Inhaber von drei Fragezeichen auf der Tastatur: Selbst wenn mir Zeit meiner bürgerlichen Drogenkarriere allein der Alkohol manche Gehirnzelle geraubt hat, leuchtete es mir unmittelbar ein, dass der Mandant das Spray benutzt haben wird, um sein Gehirn zu benebeln – nicht dazu, die Haare schön zu haben.

    Die Geschmacklosigkeit, Scherze auf Kosten eines Sprayschnüfflers zu machen, wollte ich Ihnen nicht unterstellen. Also lieber Unverständnis.

  4. 4
    Sebastian says:

    @??? – Unter aller Sau dein Kommentar! Zum mal er kein „Verbrecher“ ist, sondern ein Straftäter. Verbrechen hat er keine begangen.

  5. 5
    RA Will says:

    Das sind immer ganz ganz schwierige Sachen.
    Strafaussetzung mit der Auflage eine Therapie zu machen, ist da immer mein erster Gedanke. Viel mehr bleibt ja auch nicht.

  6. 6
    tom says:

    @???
    Und wenn Sie den Artikel erst einmal gelesen hätten, bevor Sie ihn kommentieren, so hätten Sie sich selbst die Frage nach der Marke des Haarsprays sparen können, auch die ist dort bereits beschrieben.

  7. 7
    Jonathan says:

    Naja, die ganzen Hintergründe sind sicherlich eine Erklärung. Aber auch keine Rechtfertigung..

    Das führt dann im Zusammenhang mit den anderen Vorstrafen unweigerlich früher oder später zu den genannten Konsequenzen.

    Wenn man da mal die Kosten des Strafvollzugs dem entstandenen Schaden entgegenstellt, würde jeder Betriebswirt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aber so ist es nunmal. Und ein Gesetz ist auch nur was wert, wenn es auch durchgesetzt wird.

  8. 8
    Martin says:

    Man müsste den Menschen persönlich kennen, um mehr zu sagen, aber eine „schwere Kindheit“ ist auch keine Rechtfertigung für Straftaten. Irgendwann muss Schluss sein. Ich habe übrigens auch einige schwere Erlebnisse in der Kindheit, die Hochschulreife geschafft und bin nicht vorbestraft.

  9. 9
    Hans says:

    @Martin: Die schwere Kindheit würde ich auch nicht als Rechtfertigung für die Straftaten ranziehen. Aber die aktuelle Drogenabhängigkeit wohl schon. Können Sie das überhaupt auch nur im Ansatz nachvollziehen was „Suchtdruck“ bedeutet? Wenn das alles so einfach wäre, hätte der Mann sicher längst aufgehört, wobei lange vor den rechtlichen Gründen als viel wichtiger Grund käme, daß man sich mit Schnüffeln immer weiter das Gehirn vernichtet.

    Also ein reichlich dummer Kommentar von Ihnen!

  10. 10
    Anne O. Nym says:

    Ich wusste bisher gar nicht dass man von Haarspray high werden kann. Ich dachte zuerst beim Lesen des Beitrags, das sei ein neuer, ungewöhnlicher sexueller fetisch.

  11. 11
    Deutsche Gabbana says:

    Der Mann braucht akut eine Entziehungskur (in der Psychiatrie) und eine anschließende langjährige Psychotherapie und keinen Knast. Wenn man will, gibt das Gesetz vieles her, auch das, was ich gesagt habe, nämlich als Auflage einer weiteren Bewährung. So sehe ich den Fall jedenfalls.

  12. 12
    Todd says:

    Nix da! Langjährige Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung bitte! Unsere Gesellschaft mußt doch geschützt werden!!einsdrölf

    OK ernsthaft, also wer Spray oder Klebstoff schnüffelt dem gehts doch kaum noch um ein Hochgefühl, sondern nur noch darum, seine Sinne zu betäuben und von der Welt nichts mehr mit zu bekommen.

    Klar, klauen ist böse aber Ihr Mandat tut mir in erster Linie leid.

  13. 13
    Wild Bill says:

    Ja, das ist schon schwer. Vielleicht dem Guten mal einen gerichtlich bestellten Betreuer an die Hand geben der dann versucht, mal einen Entziehung zu organisieren.

  14. 14
    kinder-sind-unschlagbar says:

    Allein die Kosten, die Prozesse und Pflichtverteidigung verursachen…
    Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Sicher hat nicht jeder die gleichen Chancen. Aber auch nicht jeder, der so schwierig startet, endet im Knast. Irgendwann muss man die Verantwortung für sein eigenes Leben selbst übernehmen und kann sich nicht mehr hinter der schlimmen Kindheit verstecken.

  15. 15
    John says:

    @Hans: Das mit dem Suchtdruck ist schon richtig. Aber was sollen wir mit Süchtigen denn machen? Nicht bestrafen und Haarspray kaufen?

    Jeder Süchtige war mal nicht süchtig und hat sich einmal für den Drogenkonsum entschieden. Das ist ein bisschen wie betrunken Auto fahren und dann auf unzurechnungsfähig wegen hohem Alkoholpegen machen.

    Auf jeden Fall schwierige Sache. Die Idee von Wild Bill scheint mir da am Sinnvollsten. Oder die Möglichkeit Knast mit Entzug zu kombinieren. Aber das gibt es nicht, oder?

  16. 16
    Mirco says:

    Betriebswirtschaftlich sinnvoller wäre es, dem Mandanten täglich seine Taft zu schenken.

    aber nur, wenn man den Menschen aufgegeben hat. Was sagen denn die Ärzte, Psychiater?

  17. 17
    Sebastian LL.M: says:

    @Hans

    „Jeder Süchtige war mal nicht süchtig und hat sich einmal für den Drogenkonsum entschieden. “

    Wie Sie sicher gelesen haben, hat der Betroffene bereits süchtig das Licht der Welt erblickt…

  18. 18
    Lurker says:

    @Hoenig:

    Ich bin über die aktuellen Haarspraypreise nicht informiert – ich hatte aber bei geringwertigen (X < 5 €) Diebstählen noch die staatsanwaltliche Weisung im Kopf, doch um Gottes Willen niemals eine Haftstrafe zu beantragen. Das sei zwar in extremen Fällen denkbar, aber als verhältnismäßigkeits- wie zweckmäßigkeitsgründen zu vermeiden.

    Natürlich löst das die Problematik nicht, da eine Geldstrafe zielsicher zumindest in die Ersatzhaft führt und den Betroffenen auch nicht einsichtsfähiger macht – trotzdem verstehe ich das Problem mit der zwingenden Haftstrafe nicht. Sollte das ausgerechnet in Berlin anders gehandhabt werden?

  19. 19
    Alan Shore says:

    Viele Täter werden leider für Ihre Herkunft und Ihre Dummheit bestraft. Der typische kleine Betrüger und Ladendieb stammt oftmals aus einem desolaten Elternhaus, hat, nicht selten aufgrund der Drogen- oder Alkoholabhängigkeit der Eltern, einen IQ knapp über Zimmertemperatur, viele sind Analphabeten, haben kaum eine Schulbildung genossen.

    Bei ihren ersten fünf bis zehn Aburteilungen sind sie jedesmal unverteidigt, da nach Meinung der Gerichte kein Fall der Pflichtverteidigung vorliegt, da ja „nur“ eine Geldstrafe oder eine geringe Bewährungsstrafe droht. Daß der Angeklagte eine Pampelmuse statt ein HIrn im Kopf hat, trägt niemand vor. Der Angeklagte selbst kann es nicht. Bevor das irgendjemanden auffällt, hat er bereits drei rechtskräftige Bewährungsstrafen eingefangen, die mitunter formell- und materiellrechtlich gar nicht tragfähig waren. Nicht selten hatte man diesen armen Ahnungslosen auch noch einen Rechtsmittelverzicht aus der Nase gezogen, so daß die Urteilsgründe auch recht kurz sein durften und nicht zur obergerichtlichen Überprüfung gelangten.

    Die 11. oder 12. Aburteiiung ist dann vielleicht ein Fall der notwendigen Verteidigung, wofür gerne ein „Urteilsbegleiter“ engagiert wird, der den Angeklagten endgültig in den Knast bringt. Abgeurteilter Gesamtschaden in 12 Verfahren insgesamt: 87,50 Euro (Verkaufspreis).

    Für 1 Million Euro Steuerhinterziehung oder einen kräftigen Bankrott werden hingegen – wider die Rechtsprechung des BGH – gerne Bewährungsstrafen verteilt.