Über zwei Fälle aus dem Bereich Verkehrsstrafrecht, die von den kriminalen Fließbandarbeitern in Moabit zu bearbeiten waren, berichtet Rechtsanwalt Tobias Glienke, Fachanwalt für Strafrecht.
Fall 1:
Der Autofahrer fährt nachts mit eingeschaltetem Fahrlicht in einer für den Gegenverkehr aufgrund von Baumaßnahmen gesperrten Straße. Ihm kommt ein Roller entgegen, besetzt mit zwei Personen.
Der PKW hält an, weil für zwei Fahrzeuge nebeneinander der Platz knapp wird.
Der Rollerfahrer erschrickt, zieht heftig am Bremskabel, rutscht auf dem sandigem Untergrund aus und fällt um.
Der Autofahrer steigt aus und hilft dabei, den Roller wieder aufzustellen. Er fragt beide Gestrauchelte, ob alles in Ordnung sei. Weder sind Verletzungen an den Personen noch Schäden an der alten Schwalbe zu sehen. Der Rollerfahrer nickt.
Nach weiteren 5 Minuten steigt der Autofahrer wieder ein und fährt weg.
Späterer stellt sich heraus: Ein Schaden am Roller in Höhe von ca. 50 Euro und zweimal blaue Flecken an den Knien; keine Schäden an der Kleidung.
Die Amtsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren gegen den Autofahrer ein und wirft ihm Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) vor.
Fall 2:
Die Autofahrerin stößt auf einem Parkplatz gegen ein anderes Fahrzeug der E-Klasse. Es splittert an der gegnerischen Karosse. Sie steigt aus, sieht sich den Schaden an und findet alles nicht so schlimm. Dann fährt sie weg. Die Polizei besucht sie unmittelbar nach dem Unfall zuhause; die Autofahrerin räumt den Vorfall wie beschrieben ein.
Rechtsfolgen:
Im Fall 1 wird dem Autofahrer vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen (§ 111a StPO). Eine Beschwerde gegen die Entziehung ist erfolglos. Er kommt zur Anklage, Termin zur Hauptverhandlung in etwa 3 bis 4 Monaten. Der Autofahrer ist war Außendienstler, der in den vergangenen 5 Jahren 2 Flens angesammelt hatte.
Im Fall 2 wird das Verfahren nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Auflage in Höhe von 800 Euro eingestellt; die Fahrerlaubnis der Autofahrerin bleibt unangetastet.
Ich möchte die Ergebnisse hier nicht öffentlich kommentieren.
Im ersten Moment dachte ich: unfassbar. Ist es eigentlich auch immernoch.
Wenn man weiter drüber nachdenkt, sieht man aber auch schon wesentliche Unterschiede zwischen den Fällen. Bei Fall 1 handelt es sich um einen Unfall mit Personenschaden und es stellt sich ganz klar die Frage, wie die Gegenseite den Fall geschildet hat.
In der hier geschilderten Variante hätte es ja gar keinen Sinn gemacht Ihren Mandanten anzuzeigen. Ist ja klarer Fall von Schuld Eigene. Da bekommt man ja nix von der Gegenseite (wenn man nicht lügt).
Es beschleicht mich das Gefühl, dass die knappen Berichte vielleicht doch nicht alle entscheidungsrelevanten Details enthalten…
Bei Fall 1 würden mich mal die Aussagen des Rollerfahrers und seiner Begleitung interessieren…
Sofern der Sachverhalt 1 stimmt weiss jeder Jurastudent im 1. Semester, dass § 142 hier aufgrund der Einwilligung der Rollerfahrer durch Kopfnicken (mindestens jedoch durch konkludentes Verhalten) auf eine Feststellung verzichtet wurde.
Der arme Mann.
Die Ergebnisse hier öffentlich kommentieren würde ich schon gerne, sehe mich aber leider durch die §§ 185 ff. StGB daran gehindert.
Heißt das dann, dass man als Unfallhelfer auf jeden Fall immer die Polizei rufen muss, damit man im Zweifel nicht noch so ein Verfahren am Bein hat?
Oder mit dem mutmasslich Verletzten/Geschädigten/Beteiligten die Personalien austauschen und sich bestätigen lassen, dass kein Schaden entstanden ist bzw. der Schaden reguliert wird. Würde ich jedenfalls jetzt so machen, nachdem ich das gelesen habe.
Unerlaubtes Entfernen von Unfallort heisst ja eigentlich in etwa, dass der Geschädigte nicht weiss, mit wem er es zu tun hatte und bei wem er ggf. Ansprüche geltend machen kann.
Da der Rollerfahrer und/oder sein Beifahrer in Fall1 ja offenbar Anzeige erstattet haben, scheinen die den Sachverhalt entschieden anders wahrgenommen zu haben als er hier dargestellt wird.
Aber so sind sie halt, die Strafverteidiger, glauben ihrem Mandanten, den treuen Seelen, jedes Wort (immer vorausgesetzt, es geht nicht um die Bezahlung ihres Honorars) …
Nunja, natürlich steht der Anwalt hier auf Seiten seines Mandanten.
Aber unabhängig von der Frage, wie sich die Dinge nun tatsächlich zugetragen haben: Ich freue mich, dass es im Verkehrsrecht offenbar doch nicht nur darum geht, notorischen gemeingefährlichen Rasern möglichst lange den Führerschein zu erhalten und sich über „Abzocke“ der Kommunen zu beklagen, die nur dafür sorgen, dass das geltende Recht eingehalten wird, sondern es auch Fälle gibt, in denen man die vom Anwalt vertretene Position mit deutlich mehr Sympathie verfolgt.
Ich hätte da noch einen fall 3 beizusteuern:
EIn junger Mann fährt mit einem Auto auf einer schwach befahrenen Autobahn und kommt an einer Aquaplaningstelle ins Schleudern. Nach einem Ausflug gegen die Linke und die rechte Leitplanke bleibt er schließlich rückwärts auf der Überholspur stehen. Ihm gegenüber steht Klaus-Erwin schlecht, der seinen Opel Omega ca. 100m vor ihm zum stehen gebracht hat.
Der junge Mann braucht ca 3 Minuten, um zu realisieren, was gerade überhaupt passiert ist. Dann startet er nach mehreren erfolglosen versuchen seinen Motor und fährt auf den standstreifen.
Herr schlecht sieht sich nicht genötigt, mal nach dem rechten zu sehen und/oder zu fragen, ob bei dem jungen Mann alles in Ordnung ist. Scheinbar hat er es eilig, nach Hause zu kommen, denn sobald der junge Mann die überholspur geräumt hat fährt Herr schlecht seines Weges…
Der junge Mann verbringt noch ca 20 Minuten auf dem standstreifen, wartet bis sein Puls wieder unter 180 ist, sammelt unter schock noch teile von der Autobahn (dummerweise nicht sein Nummernschild!), macht eine provisorische Reparatur an seinem Auto, bis er dann mit dem Gedankengang ‚ist ja keinem anderen Verkehrsteilnehmer außer mir etwas passiert!‘ weiterfährt.
Zu Hause stellt Herr schlecht fest, dass er einen neuen Kratzer auf seiner Motorhaube hat, der muss von einem Teil des Autos kommen, das eben vor ihm den Unfall hatte. Also fahren wir doch mal bei der Polizei vorbei und zeigen diesen strolch an!
Ergebnis: der junge Mann, der sich innerhalb angemessener zeit NICHT von der Unfallstelle entfernt hat, gibt 9 Monate seinen Führerschein ab, bekommt hinterher nicht klasse 3 sondern c1e zurück und Herr schlecht hat wirklich Glück, dass der junge Mann nicht verletzt war, sonst hätte er sich mit 323c StGB auseinandersetzen dürfen…
@ Oldschool: …wobei der Leitplankenschaden ja wohl auch Fremdschaden ist, so dass das Verhalten des jungen Mannes m. E. durchaus den Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort erfüllen dürfte.
@pit
Was zweifelsohne richtig ist – woran der junge Mann aber im schock nicht gedacht hat. Was aber letztenendes der Grund war, warum man nicht gegen den Strafbefehl vorgegangen ist.
Fakt ist jedoch:
Der unfallfluchtparagraph Führt zu so manchen kuriosen Auswüchsen und Idiotien und sollte dringend angepasst werden.
Hmmm, in Fall 1 gab es immerhin Personenscahden. Das ist bei Parkremplern selten. Korrekt wäre also gewesen, der Außendienstler ruft die Polizei zur Aufnahme des Unfalles, selbst wenn es die zwei Schwalbefahrer eilig hatten. Vielleicht weil getrunken oder so. Hätten sich die Schwalbefahrer in der Zwischenzeit vom Unfallort entfernt, hätten diese das wohl unerlaubt getan, oder?
@Pit: Nicht unbedingt… ich habe auch mal ein Auto so geschrottet, die hinzugezogene Polizei nahm mir nur 35€ wegen überhöhter Geschwindigkeit, den Leitplanken (Beton) war ausser ein bisschen Farbe nix passiert. (die 6000€ Strafe durch Totalschaden am Auto mal außer Acht gelassen ;) )
Ich meine, hier liegen wie in 99% der bei der deutschen Justiz bearbeiteten Fälle klare Willkürentscheidungen vor.
Wann wird das Kriminalgericht Moabit endlich für verfassungswidrig erklärt?
noch jemand, der am Anfang was von ‚kriminellen Fließbandarbeitern‘ gelesen hat?
Zum ersten Fall sind mir zwei Dinge unklar:
1.) „in einer für den Gegenverkehr gesperrten Straße“ – wer von beiden durfte denn nun fahren und wer nicht? Der Text legt nah, daß das Zweirad widerrechtlich die Straße befuhr.
2.) Hat überhaupt Feindberührung stattgefunden? Dem Bericht zufolge stand der PKW, als der Rollerfahrer die Beherrschung über sein Fahrzeug verlor. Damit schließt sich für mich jede Unfallbeteiligung aus.
Ach ja, „Fahrlicht“ – heißt das Fernlicht oder Abblendlicht?
@ Oldschool: Dann verstehen wir uns vollkommen.
Ich gebe Ihnen auch insoweit unzweifelhaft Recht, dass manche Entscheidungen zum Stichwort der „Unfallflucht“ nicht ganz den Kern treffen. Ich kenne das aus dem eigenen Kanzleigeschäft.
Genauso kenne ich aus eigener persönlicher Erfahrung aber einen „Parkrempler“, bei dem die Fahrerin beim Zurücksetzen mit nicht unerheblicher Geschwindigkeit auf einem Parkplatz eines Supermarktes ein Fahrzeug rammte und dies um einige Meter durch die Kollision versetzt wurde. Als ich die Fahrerin ansprach, weil ich merkte, dass sie im Begriff war, sich zu überlegen, sich vom Acker zu machen, erntete ich die Antwort: „Das ist mir doch sch***egal. Verp*** Dich, Du Wi*****!“.
Sprachs und verschwand…
Da fand ich die strafricherliche Entscheidung knapp ein Jahr später dann doch höchst befriedigend, wobei da zur Flucht noch die Beleidigung kam, die ich ausnahmsweise mit einiger Genugtuung beanzeigt und mit einem Strafantrag versehen hatte.
Tja, und aus dem Grunde hab ich technische Massnahmen ergriffen in der Hoffnung mir passiert sowas nicht.
#k.
Besser am Fließband, als gar nicht zu arbeiten. Im Raum Bremen durchaus normal. So kommt ein Unfallflüchtiger, der später durch Zeugenaussagen und die Polizei ermittelt wurde, scheinbar unbehelligt davon. Der Trick: „Ich wars nicht ;)“ – Nun wäre hier die Staatsanwaltschaft am Zuge, die sich offenbar tot stellt.