Monatsarchive: April 2013

Schämt Euch!

Rosemarie F. war am Donnerstagnachmittag in einer Wärmestube gestorben, zwei Tage nachdem ihre Wohnung in der Aroser Allee zwangsgeräumt worden war.

[…]

Bis zuletzt hatte F. vor Gericht versucht, wegen „Räumungsunfähigkeit“ in der Wohnung bleiben zu dürfen – die Richter lehnten den Antrag aber ab, da die Rentnerin kein fachärztliches Attest vorlegen konnte.

Bericht im Tagesspiegel

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Rechtsbeugungsverfahren gegen Richter und Oberstaatsanwalt

Die Pressestelle des Bundesgerichtshofs teilt am 11.04.2013 mit:

Freispruch im Rechtsbeugungsverfahren gegen Richter aufgehoben, gegen Oberstaatsanwalt hingegen bestätigt

Das Landgericht Potsdam hat einen 45 Jahre alten Richter und einen 55 Jahre alten Oberstaatsanwalt vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung freigesprochen. Eine zunächst ergangene Verurteilung beider zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren bzw. einem Jahr und acht Monaten hatte der Senat wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09; Pressemitteilung Nr. 158/2010).

In dem nunmehr ergangenen Urteil hat das Landgericht zum Teil abweichende tatsächliche Feststellungen getroffen. Auf deren Grundlage ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass die Angeklagten zwar erhebliche Verfahrensverstöße begangen, den Rechtsbeugungstatbestand aber gleichwohl nicht verwirklicht hätten, da ausreichende Anhaltspunkte für eine den Verfahrensfehlern zugrunde liegende sachwidrige Motivation und die Gefahr einer falschen Entscheidung zum Nachteil der Betroffenen nicht gegeben seien. Bei dieser Bewertung ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die in erster Linie in Frage stehenden Entscheidungen – die Beantragung bzw. der Erlass von Haftbefehlen durch die Angeklagten – inhaltlich zumindest vertretbar gewesen seien.

Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der beiden Nebenkläger den Freispruch gegen den Richter aufgehoben, weil bei ihm eine sachwidrige Motivation bei den Haftentscheidungen nicht rechtsfehlerfrei verneint wurde. Zwar waren die Haftentscheidungen inhaltlich nicht unvertretbar; die Zuständigkeit des angeklagten Richters für den Erlass der Haftbefehle war hingegen unter keinem Gesichtspunkt gegeben. Die Sache wurde deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen. Der Freispruch gegen den angeklagten Oberstaatsanwalt hat hingegen Bestand, weil dieser nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts von der Zuständigkeit des Richters ausging.

Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12

Landgericht Potsdam – Urteil vom 8. Dezember 2011 – 25 KLs 4/10 456 Js 47221/05

Nun, der OStA wird in diesem seit 2011 andauernden Verfahren sicherlich keine Freude gehabt haben. In seiner Position ist ein Freispruch zwar sicherlich hilfreich – u.a. was seine Pensionsansprüche angeht; die Nerven, die er in diesem Verfahren sicherlich verloren hat, repariert ihm allerdings auch niemand mehr.

Der Richter hat dann wohl noch einige Monate lang Gelegenheit, den Strafprozeß von der anderen Seite der Theke zu beobachten. Und ob das Ganze dann auch so ausgeht wie bei dem Mitangeklagten, steht noch in den Sternen.

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Butter bei die Fische

Rechnet der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall seinen Fahrzeugschaden fiktiv, d.h. auf Basis eines Gutachtens ab, lässt eine Reparatur tatsächlich aber nicht durchführen, z.B. weil er das Geld anderweitig einsetzen möchte, stutzen die gegnerischen Versicherungen das vom Geschädigten eingereichte Gutachten seines freien Sachverständigen gern unter Verweis auf eigene „Prüfgutachten“ zurecht. Sehr beliebt sind dabei Positionen wie die Stundenverrechnungssätze markengebundener Fachwerkstätten, Verbringungskosten oder Ersatzteilaufschläge. Dem Geschädigten wird dann auch gleich eine Alternativwerksatt empfohlen, die unschlagbar günstig mindestens genauso gut repariere, wie eine Markenfachwerkstatt.

Die Versicherungen berufen sich dabei auf das sog. „Porsche-Urteil“ des BGH (Urteil vom 29.04. 2003, VI ZR 398/02). In dieser Entscheidung hatte der BGH der Praxis der Versicherer die gutachterlich festgelegten Stundenverrechnungssätze von Markenwerkstätten zu kürzen und die Geschädigten auf einen abstrakten Mittelwert der Stundenverrechnungssätze einer Region zu verweisen, zwar eine Absage erteilt. Allerdings stellte der BGH auch klar, dass ein Geschädigter, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und qualitativ gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich wegen seiner Schadenminderungspflicht auf diese verweisen lassen muss.

Als die Versicherungen daraufhin anfingen, den Geschädigten sog. „Partnerwerkstätten“ vorzuschlagen, bestätigte der BGH in einer weiteren Entscheidung nochmals, dass der Geschädigte sich an eine günstigere, gleichwohl gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt verweisen lassen müsse, aber nur, wenn die dortigen Preise nicht auf Sondervereinbarungen der Versicherung mit der Werkstatt beruhen (BGH, Urteil vom 22. 6. 2010 – VI ZR 337/09). Die „Partnerwerkstätten“ hießen danach „freie Fachwerkstätten“ und die Versicherungen kürzten munter weiter.

Maßgeblich ist allein die Frage der Gleichwertigkeit der Reparatur, welche die Versicherungen darlegen und beweisen müssen. In den Klageverfahren werden dann bunte „Expertisen“ eingereicht, wonach es sich bei dem Alternativwerkstätten um Meisterbetriebe handelt (was gesetzliche Notwendigkeit ist), die Originalersatzteile verwenden (was denn bitte sonst?) und so weiter und so fort. Das sind Selbstverständlichkeiten. Die z.B. gern als „Qualitätsmerkmal“ angeführte Zertifizierung nach DIN ISO 9001 bietet lediglich Anhalt dafür, dass die Betriebsabläufe geordnet und die einzelnen Arbeitsschritte einer Person nachgewiesen werden können. Ebenso nichtssagend für die Gleichwertigkeit ist, ob die Werkstätten die Eurogarant-Qualitätsnorm erfüllen und Mitglied im Identifica Verbund sind.

Zur Frage welche Stundenverrechnungssätze bei fiktiver Abrechnung denn nun gelten sollen, gibt es unzählige Amts- und Landgerichtsentscheidungen, die entweder zu dem Ergebnis kommen, der Geschädigte müsse sich auf eine konkrete und günstigere Möglichkeit einer technisch einwandfreien Reparatur verweisen lassen oder könne auch bei einer fiktiven Abrechnung die Stundenverrechnungssätze einer Markenwerkstatt zu Grunde legen.

Jetzt gesellt sich eine Entscheidung des Amtsgericht Mitte dazu, dass sich von den bunten Expertisen erfreulicherweise nicht hat blenden lassen, sondern von der Versicherung genauer wissen wollte, woraus sich denn die behauptete Gleichwertigkeit der Reparatur ergebe. Nachdem die Versicherung das nicht konnte oder wollte und zur Zahlung verurteilt wurde, legte man erfolglos Berufung ein. Der 42. Kammer beim Landgericht Berlin war der Vortrag der Versicherung auch zu bunt, sie wollte kein Prüfgutachten, sondern ein konkretes Angebot der Werkstatt sehen.

Nach der von der Berufungsklägerin selbst genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 22. Juni 2010 – VI ZR 337/09 – Rn. 6 f., zit. nach juris = NJW 2010, 2725) verhält sich der Geschädigte – und so auch der Berufungsbeklagte – entsprechend dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH, a.a.O.). Die Ausnahme von diesem Grundsatz ist, dass der Schädiger den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturrnöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen kann, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 7).

Diese Darlegung ist die Berufungsklägerin auch unter Berücksichtigung ihres Prüfgutachtens (…) schuldig geblieben. In dem Gutachten wird unter Hinweis auf die Eigenschaft als .Identica-Fachbetrieb“ bzw. „zertifizierter KFZ-Fachbetrieb“ die Qualifikation eines Betriebes umschrieben, ohne dass dabei mit der erforderlichen Mühelosigkeit deutlich würde, welche Qualitätsstandards darunter zu verstehen sind. Im Übrigen werden lediglich nach Art eines Textbausteins bestimmte Eigenschaften des Betriebes umschrieben, aus denen sich nach Auffassung des Gerichts nicht, jedenfalls aber nicht ohne Weiteres (i.e. ,mühelos“), die Gleichwertigkeit der Werkstatt herleiten lässt.

Soweit die Berufungsklägerin vorträgt, es sei ihr nicht möglich, ein Angebot vorzulegen, wohingegen es dem Geschädigten möglich sei, das Angebot einzuholen, greift diese Argumentation nicht durch. Streitig waren allein die höheren Stundenverrechnungssätze bzw „Lohnkosten“ (…) und nicht die sonstigen Arbeiten. Dementsprechend ist nicht ersichtlich, warum die Berufungsklägerin kein konkretes Angebot vorlegen konnte.

LG Berlin, Beschl. v. 16.01.2013, 43 S 136/12
AG Mitte, Urt. v. 04.07.2012, 110 C 3390/11

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Prozeßbericht >>Faschomike<<

Die sächsischen Ermittlungsbehörden und Gerichte haben in der Vergangenheit für reichlich – nennen wir es mal höflich – Erstaunen gesorgt. Da sitzt ein halbnackter Fußballspieler mit einem auf den Oberarm tätowierten Hakenkreuz herum und wird fotografiert.

Nazispieler

Und gegen wen ermitteln die sächsischen Strafverfolger? Genau, gegen den Fotografen, der das Bild von dem tätouwierten Oberarm ins Netz – auf die Mannschaftshomepage vom Roten Stern Leipzig – gestellt hatte. Wegen Verstoßes gegen § 86a StGB.

Unter der Überschrift Fußball, Nazis und Staatsanwaltschaft in Sachsen habe ich mich mit meinem Beitrag eingereiht in eine umfangreiche Berichterstattung (siehe die Linksammlung beim Roten Stern Leipzig) über diese seltsame Entscheidung.

Offenbar hat dieser weit verbreitete Aufreger zum Nachdenken bei Entscheidungsträgern der Staatsanwaltschaft geführt, die nicht auf beiden rechten Augen blind sind.

Der Fotograf, Carsten G., teilte mir nun mit, daß Eva-Maria Kasimir in der Leipziger Internetzeitung einen Prozeßbericht über das Verfahren gegen den Hakenkreuzträger Mike L. geschrieben habe.

Mike L. ist demnach erstinstanzlich zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Urteil des AG Leipzig ist dem Bericht zufolge noch nicht rechtskräftig; der Verurteilte soll Berufung eingelegt haben.

Na, denn. Schauen wir, was das Landgericht mit diesem Fußballnazi macht.

Danke an meinen Namensvetter für den Hinweis und Gratulation zu diesem Erfolg.

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Ein richterlicher Kommentar aus schwäbischen Provinz

Zu meinem Beitrag über den Geständnishandel hat sich freundlicherweise ein Richter am Amtsgericht die Zeit genommen, ein paar Zeilen aus seiner Sicht zu schreiben. Ich teile die amtsrichterliche An-sicht zwar nicht in jeder Hin-sicht, meine aber, daß sie nicht in den Kommentaren „untergehen“ sollte. Deswegen zitiere ich den Kommentar gern vollständig in diesem Beitrag.

Es ist mir natürlich klar, dass es für „die Szene“ wesentlich interessanter ist, wenn sich ein BGH-Richter zu der Thematik äußert als wenn dies ein kleiner Amtsrichter aus der schwäbischen Provinz tut, gleichwohl hoffe ich, dass RA Hoenig es mir nachsieht, wenn ich die Gelegenheit nutze, an dieser Stelle etwas eigenen Senf hinzuzugeben:

Die Äußerungen des BVerfG sind – bei allem schuldigen Respekt – teilweise unangemessen. Es ist zwar sicher nicht zu bestreiten, dass in manch Verfahren in unzulässiger Weise „gedealt“ wurde. Dennoch schießt das Gericht über das Ziel hinaus, wenn es nicht nur die Vorgehensweise in denihm vorliegenden Fällen beanstandet, sondern in recht oberlehrerhafter Weise die bahnbrechende Erkenntnis verkündet, dass sich ein Instanzrichter an das geltende Recht zu halten hat. Dies dürfte dann doch den allermeisten Kollegen auch vorher bekannt gewesen sein, und Fehlverhalten Einzelner rechtfertigt keine Pauschalohrfeigen für den gesamten Berufsstand, und zwar erst recht nicht, wenn der Stand in so einer massiven Weise in seiner Berufsehre angegriffen wird. Ich darf für mich und nahezu alle Kollegen in Anspruch nehmen, nach bestem Wissen und Gewissen Recht zu sprechen (sollte dies, was ehrlicherweise kein Gericht der Welt für sich ausschließen kann, in Einzelfällen misslingen steht der Weg zum LG und/oder OLG zur Verfügung), da ärgern mich solch allgemein gehaltene Vorhaltungen. Es ist schließlich auch unangemessen, den ganzen Berufsstand anzugreifen, wenn sich z.B. ein einzelner RA an Mandantengeldern vergreift.

Auch stört mich die Darstellung, wonach jedes Instanzgericht quasi allmächtig über die Verfahrensbeteiligten herrscht, die ihm schutzlos ausgeliefert sind. Versucht ein Gericht – was schon immer zurecht als unzulässig angesehen wurde -, einen „Deal“ zu erzwingen, indem es für den Fall des nicht zustande kommenden „Vergleichs“ eine unverhältnismäßige Strafe androht, müsste jeder Verteidiger, der in seinem Handkommentar bis zu § 24 StPO blättern kann, wissen, was er zu tun hat. Ich wage daher zu bezweifeln, ob die Annahme, jedes Gericht könne den Angeklagten problemlos zum „dealen“ zwingen, in dieser Allgemeinheit richtig ist, zumal der Wunsch nach dem eine Verständigung einleitenden Rechtsgespräch nicht selten nicht vom Gericht, sondern von der Verteidigung ausgeht, wobei des öfteren der Verständigungsbereitschaft „nachgeholfen“ werden soll (jeder Richter kennt die Ankündigung, man werde andernfalls um die Stellung zahlreicher Beweisanträge „leider“ nicht herumkommen).

Die Schärfe, mit der uns das BVerfG abgewatscht hat, ist zudem auch geeignet, an der Basis eine Verunsicherung hervorzurufen, mit der niemandem gedient ist. Wie verhält es sich beispielsweise mit der an jedem AG alltäglichen Situation, dass in einem Cs-Verfahren der Verteidiger den Richter anruft und einmal „vorfühlt“, ob beispielsweise in einer Verkehrssache hinsichtlich des Fahrverbots „was drin“ sei. Muss ich diesem RA nunmehr kommentarlos den Hörer auflegen, da ich andernfalls in eine verbotene „informelle Absprache“ einsteige oder handelt es sich noch um eine Erörterung im Sinne der §§ 202a, 212 StPO? Darf ich, um beim Fahrverbotsbeispiel zu bleiben, noch in Aussicht stellen, dass hier im Falle eines Geständnisses und/oder einer Einspruchsbeschränkung Spielraum vorhanden wäre oder nicht? Ich möchte nicht derjenige sein, an dessen Beispiel irgendwann einmal geprüft wird, wie sich eine solche – nach meinem Eindruck an allen AG übliche – Vorgehensweise mit § 339 StGB verträgt. Auch zeigt doch das Bespiel, dass es nicht immer zu Nachteilen für den Angeklagten führt, wenn zwischen den Verfahrensbeteiligten Gespräche geführt werden. Besteht nach einer Erörterung wie oben dargestellt eine greifbare Möglichkeit, um ein Fahrverbot herumzukommen oder wenigstens dessen Dauer zu reduzieren kann mit der entsprechenden Verteidigung ein (mit Blick auf die oft erheblichen beruflichen Konsequenzen eines Fahrverbots u.U. enorm wichtiger) guter Erfolg erzielt werden. Sieht es dagegen nach der aktuellen Sachlage schlecht aus bleibt wenigstens die Möglichkeit, die Kosten für einen aussichtslosen Verhandlungstermin zu sparen.

Um ein anderes Beispiel zu nennen: gerade beim Schöffengericht sind oftmals Verfahren anhängig, wo sich ein Strafmaß von einem Jahr und neun Monaten ebenso gut begründen ließe wie ein solches von zweieinhalb Jahren. In einer solchen Konstellation wird der Angeklagte oftmals ein ebenso erhebliches wie legitimies Interesse daran haben, nach Möglichkeit zeitnah zu erfahren, was ein Geständnis wert ist. Lässt sich bei ungünstiger Aktenlage mit einem Geständnis noch eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich erzielen, schadet es, so jedenfalls mein persönlicher Eindruck, sicher nicht, das Gericht ein Stück weit zu binden und den weiteren Verfahrenslauf nach Möglichkeit beherrschbar zu machen. Umgekehrt dürfte doch die Begeisterung eines Mandanten überschaubar sein, wenn ihm vom Verteidiger ohne „Deal“ zum Geständnis geraten wird und er hinterher dann erfährt, dass er nicht für zweieinhalb, sondern dank des Geständnisses „nur“ für zweieinviertel Jahre ins Staatshotel Lochhausen einfährt.

Ich würde mir daher wünschen, dass sich die zuweilen recht aufgeregte Diskussion wieder etwas beruhigt und sich alle Beteiligten daran erinnern, dass eine Verständigung nicht immer und zwangsläufig den Ruch des Unanständigen tragen muss, sondern durchaus auch zu für alle Beteiligten akzeptablen Ergebnissen führen kann.

So, nun ist diese Beitrag doch um einiges länger ausgefallen als zunächst beabsichtigt. Ich will dann mal hoffen, dass er nicht im Spam-Ordner landet, und jenen, die ihn bis zum Ende gelesen haben und sich nun fragen warum, seien mit dem Zitat eines Verteidigers gegrüßt, der ein, wie er später eingeräumt hat, etwas zu lang geratenes Plädoyer mit den Worten schloss:

„Vielen Dank, dass Sie mir so lange zuhören mussten.“ :-)

Ich habe Ihnen, sehr geehrter T.H., (auch jetzt in meinem Urlaub) sehr gern „zugehört“ und ich denke, der eine oder andere Verteidiger wird sich auch über Ihren Artikel freuen. Vielen Dank also.

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Geständnishandel

356795_web_R_B_by_Dieter Schütz_pixelio.deNoch einmal ein paar Gedanken zum Thema Deal, das in den vergangenen Wochen „in der Szene“ streitig diskutiert wurde und nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 – 2 BvR 2883/10 – 2 BvR 2155/11) sicherlich auch künftig auf der Tagesordnung der Praktiker stehen wird: „Tausche „milde Strafe“ gegen Geständnis.

Was sagt ein Richter dazu?

Wer einer Straftat beschuldigt wird, darf schweigen oder die Tat bestreiten. Er hat das Recht auf einen Verteidiger, der ausschließlich seine und nicht heimlich die Interessen der Justiz vertritt. Er hat das Recht Zeugen zu benennen und gegen ihn sprechende Beweise zu prüfen. Diese Rechte hat er unabhängig davon, ob Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht dies für „sinnvoll“ halten oder für Zeitverschwendung, unabhängig davon, ob er dem Richter sympathisch ist, ob er sich einig und unterwürfig zeigt oder als harter Hund geriert.

Erstaunlich viele Bürger denken, diese Rechte seien nur für die Guten da (also vor allem für sie selbst), nicht aber für die Bösen. Sie wissen schon beim Frühstück, ob Kachelmann schuldig und Ackermann unschuldigt ist, kennen die richtige Strafe für U-Bahn-Schläger und die passende Entschädigung für Mißbrauchsopfer. Wenn man so denkt, kann man am Deal nichts Schädliches finden, außer daß einem die Strafen ein wenig zu niedrig erscheinen. Hier zählt nicht die Form, sondern allein das „passende“ Ergebnis.

kommentierte RiBGH Thomas Fischer in „Die Zeit“ (Printausgabe), 27.3.2013, Politik 11

Thomas Fischer teilt die Ansicht von Rudolf von Jhering (1818 – 1892):

Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit.

Der Richter stellt zutreffend fest, daß die Formenstrenge des Strafprozesses die unverzichtbare Aufgabe hat, den Bürger vor dem maßlosen Zugriff des Staates zu schützen. Pointiert:

Wer den Prozeß zerstört, zerstört das Recht.

Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus ist der Deal abzulehnen, eben weil er geeignet ist, den Schutz des Beschuldigten durch das formelle Recht ins Leere laufen zu lassen oder gar abzuschaffen. Das Bundesverfassungsgericht sah sich dazu veranlasst, Richter und Staatsanwälte dazu aufzufordern, die Regeln des Strafprozesses einzuhalten. Dazu gehören auch die Regeln des Deals. Es ist ungeheuerlich, daß Richter und Staatsanwälte eine solche Aufforderung, die Verfassung, insbesondere die Grundrechte (Art. 20 III GG), zu respektieren, überhaupt nötig haben.

Trotzdem: Der Braunschweiger Strafverteidiger Werner Siebers hat Recht, wenn er sagt:

Ein schlechter Deal kann „besser“ sein, als ein noch schlechteres Urteil.

Das kann aber „nur“ für den konkreten Einzelfall gelten, in dem der Beschuldigte den Schutz der StPO nicht braucht, darauf verzichten kann. Dann, nur dann darf ein Verteidiger mit Richtern und Staatsanwälten dealen. Und dabei muß er immer im Auge behalten, welche Schäden dieser Geständnishandel (und der der anderen Strafverteidiger) im Gesamtsystem anrichten wird.

Bild vom Basar in Marrakesch: Dieter Schütz / pixelio.de

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verspäteter Aprilscherz?

Nach einem Auffahrunfall mache ich für unseren Mandanten Schadenersatz geltend. Der Kfz-Sachverständige hatte ausgerechnet, dass die Reparatur inklusive Mehrwertsteuer rund 6.800 Euro kosten wird. Nachdem sich die Versicherung des Unfallgegners etwas Zeit ließ, um die volle Haftung zu übernehmen, hat unser Mandant die Instandsetzung vorfinanziert. Die Werkstatt wollte ein wenig mehr, nämlich inklusive Steuern sage und schreibe 6.900 Euro. Jetzt überweist die gegnerische Versicherung 6.000 Euro und schreibt folgendes:

Wir haben den SV um Rechnungsüberprüfung gebeten. Dieser ist nicht bereit diese durchzuführen, da wir seine Rechnung gekürzt haben. Bitte veranlassen Sie, daß der SV unabhängig von der Frage seiner Rechnung, seiner Verpflichtung nachkommt.

Erst kürzt man die Rechnung und wundert sich dann, wenn der Sachverständige keine Lust verspürt, eine Differenz von 100 Euro zu erläutern? Hätte ich auch nicht.

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Selbstverständnis eines Strafverteidigers

Aus einem Bericht über einen Strafprozeß im Moabit der noch jungen Weimarer Republik:

Acht Tage kämpfte ich einen aussichtslosen Kampf. Kämpfte ich für Schumann? Nein. Ich kämpfte einfach dafür, daß trotz aller Last der Beweise, trotz allen Abscheus ihm das Recht [zuteil] wurde, das jedem Menschen zusteht: Solange als unschuldig zu gelten, bis das Gericht über ihn sein Urteil gesprochen hat und dieses Urteil rechtskräftig geworden ist. Ich kämpfte damit nicht für Schumann, sondern für das Recht schlechthin. Ich kämpfte damit auch für die Richter. Denn nur wenn ich alle Möglichkeiten, die für den Angeklagten sprechen konnten, erschöpft hatte, konnte der Richterspruch Bestand haben und über jeden Zweifel erhaben sein.

Abgeschrieben von

Erich Frey, Ich beantrage Freispruch

Hamburg, 1960

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