Monatsarchive: Mai 2013

Verbeamtete Arroganz

Im heutigen Bericht über den guten Ton im Gericht zitiert der Journalist Holger Schmidt einen hochdekorierten Strafverfolger:

Oberstaatsanwalt beim BGH Jochen Weingarten nahm dazu Stellung und sagte, es sei vom Gesetz vorgesehen, dass nach dem Gericht zunächst die Staatsanwaltschaft die Gelegenheit zur Stellung habe, weil sie im Gegensatz zu anderen Beteiligten zur Objektivität verpflichtet sei.

Hohe Dekorationen kenne ich noch aus meinem Elternhaus, in dem in den Sechzigerjahren meiner Kindheit zu Weihnachten noch mehr Lametta an der Tanne war. An der Story vom Christkind und vom Weihnachtsmann hatte ich bereits präpubertär so meine Zweifel. Von ähnlicher Qualität scheint die Stellungnahme dieses OStA (nein, den naheliegenden Gag verkneife ich mir jetzt) zu sein.

Die Reihenfolge der Befragung von Angeklagten und Zeugen ist üblicherweise: Gericht (Vorsitzender, dann Beisitzer, schließlich Schöffen) – Staatsanwaltschaft – (gegebenenfalls: Nebenklage) – Verteidigung. Aus dieser Übung leitet sich dann oft auch die Reihenfolge der Stellungnahmen ab.

Zwingend und gar im Gesetz festgeschrieben ist das aber nicht. Lediglich den Beginn einer Befragung setzt der Vorsitzende. § 240 StPO enthält keine für die Ausübung des weiteren Fragerechts bindende Ordnung. Vielmehr legt der Vorsitzende die Reihenfolge im Rahmen seiner Verhandlungsleitung fest, § 238 I StPO. Paßt einem Verfahrensbeteiligten diese Entscheidung nicht, kann er beantragen, daß das gesamte Gericht darüber beschließt, § 238 II StPO. Die vermeintliche Objektivität kann dann durchaus das Letzte sein.

Die aus dem Blauen heraus vorgetragene Behauptung, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sei aus gesetzlichen Gründen stets die Nummer Zwei, findet ihre Grundlage allenfalls in einer ziemlichen arroganten Selbstüberschätzung.

Eine gesetzliche Regelung der Reihenfolge besteht lediglich bei den von der Staatsanwaltschaft benannten Zeugen und Sachverständigen. Nur in diesen Fällen darf sie zuerst. Wenn es sich um zu Befragende handelt, die vom Angeklagten benannt wurden, hat der Verteidiger in erster Reihe das Recht zur Vernehmung. Steht so im § 239 StPO.

Die rote Farbe einer Robe (mit oder ohne Lametta) jedenfalls ist kein geeignetes Kriterium bei der Beantwortung der Reihenfolgefrage, sondern allein das pflichtgemäße Ermessen des Vorsitzenden (Hinweis für die Juristen unter uns: vgl. BGH NJW 1969, 437; Gollwitzer LR Rn 11; Schlüchter SK StPO Rn 16).

Das (Schein-)Argument einer angeblichen objektiven (str.) Behörde kann (und soll) durchaus Berücksichtigung finden bei der autonomen Entscheidung des Vorsitzenden, ebenso wie andere, meist sachdienlichere Gründe, eine Reihenfolge zu bestimmen, die dem Hohen Roß unter Umständen einen anderen, fürs Ergebnis geeigneteren Weg weist.

Was glauben solche Beamten eigentlich, wer sie sind?!

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Der Deal aus Sicht der Staatsanwaltschaft

Das Bundesverfassungsgericht hat am 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 – den Justizorganen in deutlichen Worten mitgeteilt, wie man Gesetze auszulegen und anzuwenden hat. Darüber ist bereits lang und breit berichtet worden. In der Praxis gibt es nun reichlich offene Fragen. Und nicht nur Strafverteidiger und -richter fragen sich, wie sie mit diese „neuen“ Regeln nun in der Praxis anzuwenden haben.

Das führte bereits zu einigen Fortbildungsveranstaltungen, in denen versucht wurde, Hinweise für das Stochern im Nebel zu vermitteln.

Die einfachen Soldaten der staatsanwaltschaftlichen Kavalerie haben es etwas bequemer, sie bekommen schlicht eine Dienstanweisung aus der Teppichabteilung auf den Resopal-Tisch. In acht Absätzen teilt der Leitende Oberstaatsanwalt den praktisch tätigen Staatsanwälten mit, was sie zu tun und was sie zu lassen haben.

Verständigung im Strafverfahren

(@Werner: Klick aufs Bild führt zum vollständigem Dokument (pdf))

Diese Verfügung ist eine Fundgrube für die engagierte Strafverteidigung. Stecken doch in jeder einzelnen Anweisung hervorragende Anregungen, z.B. für Anträge, die eine fruchtbare Revision vorbereiten oder sonstwie auf ein Verfahren Einfluß nehmen können.

Aber wenn ein Strafverteidiger diese Richtlinien nun zwar kennt, nach denen die Strafverfolger denken und handeln, aber nicht auch beherzigt, wird so manch lieb gewordene Gewohnheit gefährlich. Unbeschwerte Telefonate mit (scheinbar?) freundlichen Ermittlern beispielsweise dürften nun eine ganz besondere Dynamik entfalten, wenn der Verteidiger nicht aufpaßt, was er ausplaudert. Dann findet er wenig später bei der Akteneinsicht wundersame Vermerke über vermeintlich vertraulich geführte Gespräche.

Ich bin mir ziemlich sicher, daß da in der Praxis noch der eine oder andere Feinschliff vorgenommen werden muß, bis es richtig rundläuft. Oder irgendwann wird das gesamte Regelwerk zur Verständigung wegen der Unmöglichkeit, es umzusetzen und anzuwenden, wieder außer Kraft gesetzt wird.

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Nazifinanzierung

Das sind doch mal wieder klare Worte:

Ausbleibende Abschlagszahlungen könnten die Wahlwerbemöglichkeiten der NPD im Bundestagswahlkampf erheblich einschränken.

Quelle: Das Bundesverfassungsgericht

In diesem Zusammenhang noch ein Zitat:

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.

Quelle: Art. 21 GG

Manche Sachen muß man einfach aushalten können. Auch wenn es wehtut.

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Potsdamer Mühlen

Es war das unter – jedenfalls professionell arbeitenden – Strafjurististen bereits ausgekaute Thema: Die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht ist keine Voraussetzung dafür, daß der Verteidiger die Ermittlungsakte zur Einsicht bekommt. Die anwaltliche Versicherung der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung reicht.

Das sieht eine Amtsanwältin anders. Sie verweigerte mir die Akteneinsicht und verlangte stur die Übersendung der Vollmachtsurkunde. Weil mein Mandant es nicht sonderlich eilig hat, habe ich den Weg über die Dienstaufsicht der Mitarbeiterin bei der Strafverfolgungsbehörde gewählt.

Nun – zwei Monate später – erreichte mich die Eingangsbestäigung des Leitenden Oberstaatsanwalts:

Eingangsbestätigung

Willst Du Butter aus Potsdam, schickte Milch auf dem Dienstaufsichtsbeschwerdeweg.

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Warme Semmeln

Nachbestellt:

Semmeln

Ging weg wie warme Semmeln, die Briefmarke. Es geht eben nicht alles nur per eMail. 8-)

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Schutzpils-Erpressung

Schutzgeld-Erpressungen sind ja hinlänglich bekannt. Nun habe ich eine mir bis dahin unbekannte Variante kennen gelernt.

Die Kneipendichte in Kreuzberg ist wohl eher überdurchschnittlich. An lauen Frühlings- und Sommerabenden vergrößern die Gaststätten zudem ihre Angebotsflächen nach draußen, das Pils wird dann gerne outdoor genossen. So funktioniert das eigentlich seit gefühlten 100 Jahren ganz hervorragend.

Dann gibt es aber auch Genossen, die ungenießbar werden, wenn sie das Treiben tagein, nachtaus miterleben müssen. Das sind aber meist vor Kurzem zugereiste Anwohner, also solche aus Südwestdeutschland. Von einem solche Exemplar berichtete mir ein Gastwirt.

Sparsam wie diese Schwaben nun einmal sind, machte es (das Exemplar, s.o.) dem Gastwirt folgendes Angebot: Er werde darauf verzichten, abends die Polizei anzurufen, um sich über den Lärm zu beschweren. Wenn der Gastwirt bereit sei, ihn kostenlos zu bewirten. Die Reaktion des Gastwirts ist hier nicht zitierfähig.

Das sich aus dieser Reaktion ergebene Problem besteht jetzt darin, daß die Ordnungshüter in schöner Regelmäßigkeit einen Kneipenbesuch machen. Wohlgemerkt nur in der oben beschriebener Gaststätte.

Von der gegenüberliegenden Lokation – mit annähernd doppelt so großer Outdoor-Ausschankfläche – prostet derweil unser Schwabe fröhlich dem Gastwirt zu. Mit einem Getränk, für das er nicht bezahlen braucht.

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Traumhafte Mandate

Ein Online-Marketing-Unternehmen möchte gern, daß auch unsere Kanzlei Werbung auf dessen Internet-Präsentation macht. Und verspricht:

Mit uns erhalten Sie neue Mandate und erzielen mehr Umsatz.

Um mich von der Qualität des Angebotes zu überzeugen, werden gleich ein paar Beispiele geliefert:

Traumhafte Mandate

Traumhafte Mandate, für nur 44,70 € im Monat (zzgl. 19% MwSt.). Ca. 180 solcher Mandatsanfragen jeden Monat; ich glaube nicht, daß das meine Nerven mitmachen würden.

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Befangenheitsantrag – immer schön vorsichtig

In den Medien wurde in den letzten Tagen viel von „Befangenheitsanträgen“ geschrieben und gesprochen. Was unter diesem Begriff zu verstehen ist und wann ein – richtig bezeichnet – Ablehnungsgesuch begründet ist, möchte ich mit den folgenden, Zeilen erläutern.

Ein Ablehnungsgesuch ist begründet, wenn der Angeklagte bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhaltes Grund zur Annahme hat, der abgelehnte Richter nimmt ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der abgelehnte Richter im Grunde tatsächlich befangen ist. Die Befangenheit ist ein Zustand eines Richters, der seine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, seine Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten beeinträchtigen kann (BVerfGE 21, 146 = NJW 1967, 1123). Ein solcher Zustand kann in der Regel nicht mit hinreichender Sicherheit bewiesen werden.

Daher ist die Ablehnung schon begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Es ist also nicht erforderlich, daß der Richter in der Tat parteilich oder befangen ist. Ob der abgelehnte Richter sich selbst für unbefangen hält oder er für Zweifel an seiner Unbefangenheit Verständnis aufbringt, ist deshalb ebenso bedeutungslos (BVerfGE a.a.O.; BVerfGE 32, 288 (290)).

Es kommt entscheidend darauf an, ob der den Richter ablehnende Angeklagte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit, d.h. an der objektiven und zu allen Verfahrensbeteiligten Distanz wahrenden Einstellung des abgelehnten Richters innerhalb des vorliegenden Verfahrens zu zweifeln (BVerfG E 32; 288 (290); BGHSt 24, 336 (338))

Der Text ist Teil eines (bereits schon älteren) Textbausteins, den ich in einigen (wenigen) Verfahren bereits erfolgreich verwendet habe (in einem Verfahren allerdings gleich mehrfach).

Anzumerken ist, was in den Medien oftmals übersehen wird, daß ein Ablehnungsgesuch auch dann „erfolgreich“ sein kann, wenn es „abgelehnt“ wurde. Denn ein solches Ablehnungsverfahren hat immer irgendeine Auswirkung auf den weiteren Gang des Verfahrens, und nicht in jedem Fall ist die Stimmung im Saal danach auf dem Tiefpunkt. So manches Mal hat eine Richterablehnung die reinigende Kraft eines Gewitters, die dem Gang eines fairen Verfahrens durchaus förderlich ist.

Die Verteidiger (bzw. genauer: ihre Mandanten) haben mit diesem Antragsrecht ein scharfes Instrument in der Hand, das aus verschiedenen Gründen sehr vorsichtig zum Einsatz kommen sollte.

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Ziemlich wahrscheinlich

Am Tatort wurde eine Zigarettenkippe gefunden. Der Geschädigte teilte mit, daß einer der Täter geraucht habe. Es gibt noch ein paar andere Hinweise darauf, daß der Mandant am Tatort gewesen sein könnte. Bei seiner Verhaftung hatte er dies bestritten

Es war für die Ermittler nicht weiter schwierig, dem Mandanten eine Speichelprobe zu entnehmen. Dann wurden in der Forensischen Genetik der Charité die Spuren an der Zigarettenkippe mit der Spucke verglichen. Die Rechtsmediziner teilen mit:

DNA-Untersuchung

Ich denke, es wäre nun eine gute Idee, nicht mehr weiter abzustreiten, am Tatort gewesen zu sein.

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Anschlag auf Verteidiger

Es geht los. Verteidiger, die Angeklagte vertreten, die nach Ansicht des gesunden Volksempfindens kein faires Verfahren brauchen, werden attackiert:

Unbekannte schlugen in der Nacht zum Montag Fensterscheiben der Kanzlei [des Verteidigers des ehemaligen NPD-Funktionär Ralf Wohlleben] mit Steinen ein. Außerdem besprühten sie die Fassade mit einem elf Meter langen Schriftzug „NSU-Anwalt – Rassismus tötet!“.

berichtet heute die LTO.

Wo ist die Stelle, bei der ich mich erkundigen kann, welches Leben es Wert ist, verteidigt zu werden, und welches unwert?

Merkt Ihr eigentlich noch was??

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