Monatsarchive: Juni 2013

Die unglaubliche Ausnahme?

Ich habe einen Kostenfestsetzungsantrag gestellt, der – wie üblich – auf dem Tisch des Bezirksrevisors landet. Und dort passiert Unglaubliches auf Blatt (Bl.) 78 der Akte:

Bezirksrevisor

Daß ich das noch erleben durfte!

Aber glaube niemand, daß jetzt die Auszahlung kommt. In Stichworten die weitere Entwicklung:

  • Bl. 79 Übersendung der vom Betreuer unterzeichneten, auf mich lautende Vollmacht.
  • Bl. 80 Aufforderung zum Nachweis der Betreuung (Betreuerausweis)
  • Bl. 81 bis 86: Versandt der Akte zwischen Gericht und StA und zurück. Auszug: „Es wird um Rücksendung der Akten oder Angabe der Hinderungsgründe gebeten.
  • Bl. 88 Betreuerausweis
  • Bl. 89 Prüfung der Justizkasse: Aufrechnungslage gegeben?
  • Bl. 89R „Keine offenen Forderungen“ gegen meinen Mandanten
  • Bl. 90 Auszahlungsanordnung („1. Aktenausfertigung“)
  • Bl. 91

    Auszahlungabeschluß

  • Bl. 92 Reinschrift des obigen Beschlusses
  • Bl. 93 Vermerk: Vom Beschluß vom [Datum 2013] wurden heute abgesandt an …

Die Gutschrift dieses Betrages erfolgte dann ein paar Tage später …

Das glaubt einem keiner, dem man das erzählt.

Und nebenbei bemerkt:
Es ist dem Gericht seit 5 Jahren bekannt, daß ich den Mandanten verteidige. Es gibt ca. 10 Kopien des Betreuerausweises in den verschiedenen Akten. Auch in der „Hauptakte“ zu diesem Verfahren.

Nur mal kurz überlegen:
Ich bin nicht der einzige Verteidiger, der beim größten deutschen Amtsgericht Kostenfestsetzungsanträge stellt.

Wundert sich hier irgend jemand noch?

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Lieber Heinrich, mir wird kalt!

Selbstverständlich hat es den betroffenen Protagonisten Gustl Mollath am schlimmsten erwischt. Die Details sind hinreichend bekannt. Betrachtet man aber die größere Fläche, auf der sich dieses Drama abspielt, läuft es einem eisekalt den Rücken runter.

Gestern habe ich über das Ermittlungsverfahren berichtet, das seit zwei Monaten gegen den Verteidiger, Rechtsanwalt Gerhard Strate, geführt wird, um mit einer einspännigen Retourkutsche von eigenen Fehlern abzulenken.

Ziemlich zeitgleich wird auf Telepolis berichtet, daß vertrauliche Telefonate zwischen der Verteidigerin Erika Lorenz-Löblein und Gustl Mollath von Mitarbeitern der forensischen Psychiatrie in Bayreuth abgehört wurden.

Die Gesprächsinhalte wurden laut Telepolis in einer vom Leiter des Bezirkskrankenhauses, Dr. Klaus Leipziger, sowie von der Oberärztin Ines Bahlig-Schmidt, verfaßten Stellungnahme verarbeitet, um die erneut prognostizierte Gefährlichkeit von Mollath weiter zu untermauern.

Eine vertrauliche Beschwerde des Patienten Mollath bei seiner Verteidigerin über kontroverse Sachverhalte, die sich innerhalb der forensischen Psychiatrie in Bayreuth abgespielt haben, wird abgehört und anschließend als Argument dafür benutzt, die Fortdauer der Unterbringung zu empfehlen. Ich glaub das einfach nicht!

Gegen diesen Eingriff wehrt sich laut Telepolis in einem Beitrag vom 23.06.2013 nun wohl auch die Münchner Rechtsanwaltskammer, die sich für meinen Geschmack aber nicht stark genug macht.

Es reicht meiner Ansicht nicht aus, wenn die Kammer dezent auf ein mögliches Verwertungsverbot von Inhalten dieses mitgehörte Telefonat verweist, und um Unterstützung der Rechtsanwaltskammer in Bamberg nachsucht. Es genügt auch nicht, wenn sich die Vorstandsmitglieder der Rechtsanwaltskammer dafür einsetzen, dass Mollath „die Möglichkeit geschützter Telefonate mit seiner Verteidigerin eingeräumt wird.“

Dafür gibt es ein eindeutiges Gesetz, das die Vertraulichkeit von Verteidigergesprächen regelt und sie schützen soll! Es ist unter Strafe gestellt, wenn die Vertraulichkeit des Wortes verletzt wird! Jedenfalls in den meisten Teilen Deutschlands.

Den Lauschern gehören die Ohren abgeschnitten; ein Bewurf mit Wattebällchen ist nicht das geeignete Instrument, um öffentlich-rechtliche Rechtsbrecher wieder in die Spur zu bringen.

Seit 1844 ist zwar schon reichlich Wasser den Roten Main runter geflossen. Mit einer kleinen Korrektur paßt der alte Heine aber immer noch ganz gut:

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland Bayern, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben!

[…]

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt –
Wir weben, wir weben!

Heinrich Heine: Die schlesischen Weber

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Ermittlungen gegen Rechtsanwalt Gerhard Strate

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat gegen den Verteidiger von Gustl Mollath, den Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dem Strafverteidiger wird ein Verstoß gegen § 353d Nr. 3 StGB (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) vorgeworfen.

Wie Herr Strate in einer Pressemitteilung vom 20.06.2013 mitteilt, laufen die Ermittlungen der Hamburger Strafverfolger gegen ihn bereits sei gut zwei Monaten.

Gegenstand der Vorwürfe ist die Dokumentation des Verfahren gegen Gustl Mollath, die derzeit auf dem Stand vom 20.6.2013 ist und von Gerhard Strate fortlaufend ergänzt wird.

Herr Strate berichtet, daß die Staatsanwaltschaft Hamburg – wohl auf Betreiben der Staatsanwaltschaft Augsburg – beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Hamburg beantragt habe, alle Dokumente – mit Ausnahme der Schriftsätze der Verteidigung – aus dem Netz zu nehmen. Diesem Antrag ist Gerhard Strate – „in Absprache mit meinem Verteidiger“ – mit einer Erwiderung entgegen getreten, die er ebenfalls der Dokumentation beigefügt hat. (Nebenbei: Die darin enthaltene Argumentation sollte sich jeder bloggende Strafverteidiger auf der Zunge zergehen lassen.)

Bis zum heutigen Tage habe der Ermittlungsrichter nicht entschieden.

Bemerkenswert an dem gegen Gerhard Strate geführten und vermutlich von der Staatsanwaltschaft Augsburg initiierten Ermittlungsverfahrens ist der Umstand, daß die dieselben Strafverfolger auf seine 50 Seiten umfassende Strafanzeige vom 4.1.2013

gegen den 2004 als Richter am Amtsgericht Nürnberg tätig gewesen Herrn E. (Beschuldigter zu 1) sowie den damals wie heute als Leiter der Klinik für Forensische Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus in Bayreuth tätigen Herrn Dr. L. (Beschuldigter zu 2) wegen Verdachts der schweren Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB)

noch nicht einmal ein Ermittlungsverfahrens eingeleitet, sondern die Strafanzeige nach § 152 Abs. 2 StPO (!) in die Rundablage befördern wollten.

Die Abgründe, die sich in diesem Komplex um Gustl Mollath auftun, sind für mich unfaßbar. Statt nun die bayerischen Ställe Augias‘ endlich mal aufzuräumen, greifen die Stallknechte denjenigen an, der den Mist sichtbar gemacht hat.

Gerhard Strate vermutet, daß das Thema „Mollath“ vor allem für Jurastudenten interessant sein dürfte; ich meine, daß sich das Verfahren um den Menschen Mollath hervorragend dazu eignet, den Nachwuchsjuristen zu zeigen, wie Rechtsstaat nicht funktionieren darf.

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PC statt Igel

Diese Thin Clients sind ja gut und schön, aber in ihrer Funktionalität doch ein wenig eingeschränkt. Einen dieser Stacheltiere haben wir nun erst einmal wieder aus dem Dienst ins Freie entlassen und ihn durch einen ernsthaften Rechner ersetzt:

Neuer PC

Alles ein wenig flotter und komfortabler, wenn etwas höhere Ansprüche gestellt werden.

Ich weiß nicht, ob wir das mit den Igeln fortsetzen werden. Für reine Diktatarbeitsplätze beispielsweise, (die wir nicht haben) wären sie sicher gut geeignet. Aber schon für das Lesen von umfangreicheren PDF-Dokumenten ist die Leistung eines Thin Clients zwar ausreichend, mehr aber auch nicht.

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Schnelle Versicherung

In einer Unfallsache wurde nach fiktiver Abrechnung auf Gutachtenbasis von der Versicherung ein Prüfbericht übersandt, wonach eine Reparatur deutlich billiger möglich sei. Die Kürzung war recht deftig und der Mandant wenig begeistert. Ich hatte der Versicherung noch ein wenig Butter bei die Fische getan. Heute kam die Antwort der Versicherung.

Das Fahrzeug Ihrer Mandantschaft ist älter als 3 Jahre. Es wurde erstmals am … zugelassen und weist einen Kilometerstand von … km auf.

Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss sich der Geschädigte bei einer Abrechnung auf Gutachtenbasis auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit, die mühelos ohne weiteres zugänglich ist, verweisen lassen (z.B. BGF VI ZR 53/09 vom 20.09.2009).

Wir haben bei der … Karosseriebau in der …straße … in … Berlin die Preise ermittelt. Diese regionale Werkstatt befindet sich in der Nähe des Wohnorts des Klägers. Diese Firma bietet günstigere Stundenverrechnungssätze an. Die Qualität der Reparatur unterscheidet sich nicht von derjenigen einer Markenfachwerkstatt.

Wir können keine weiteren Reparaturkosten übernehmen und bitten um Verständnis.

Wenn die Versicherer doch bei der Schadenregulierung so schnell wären, wie bei der Umsetzung der neuesten Sparanleitung vom BGH.

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Honorarzahlung für Hühnerbeine

Blogbeiträge über die Gegenleistung des Mandanten an seinen Rechtsanwalt werden gern gelesen. Und diskutiert. Ich bin mir nicht ganz sicher, in welche Schublade ich die meisten Kommentatoren packen soll, die die Ansicht vertreten, Rechtsanwälte seien zu teuer. Vielleicht auch nur zu teuer für sie. Jedenfalls gibt es oft anregende Diskussionen und fesselnde Statements von Menschen, die ohnehin im Lebtag keinen Strafverteidiger beauftragen werden.

Denen sei eine kleine Geschichte gewidmet, die ich einem Büchlein entnommen habe, das mir vor kurzem ein sehr freundlicher Zivilrechtler als Gastgeschenk überreicht hat.

Sinngemäß ging es um folgendes:

Beim Hühnchen-Essen auf der Grillparty verschluckt sich Gottfried Gluffke an einem Knochen. Gluffke hustet minutenlang und läuft dann irgendwann dunkelblau an, weil irgendwas da hinten im Hals querhängt, das ihn am Durchatmen hindert.

Ein „Lassen-Sie-mich-durch-ich-bin-Doktor-Bullmann“ weiß, an welcher Stelle er zupacken muß, und Gluffke freut sich erleichtert über die frische Luft in seinen Lungen.

Am nächsten Tag erscheint Gluffke bei Dr. Bullmann und fragt ihn nach der Höhe seines Honorars für diese lebensrettende Heilbehandlung. Dr. Bullmann möchte es seinem Patienten überlassen, die Höhe festzulegen. Nicht ohne Hintersinn antwortet er:

Lieber Herr Gluffke, ich möchte die Hälfte von dem, was Sie zu zahlen bereit gewesen wären, kurz bevor ich Ihnen das Hühnerbein aus dem Hals gezogen habe.

Wenn ich die Quintessenz richtig verstanden habe: Der richtige Zeitpunkt für Honorar-Verhandlungen scheint mir demnach der zu sein, der unmittelbar vor Beginn der Arbeit liegt. Dann fällt es den meisten Menschen am leichtesten, die Gegenleistung zu honorieren. Weil sie wissen, daß sie sie nicht bekommen, wenn sie nicht zahlen.

Warum fällt die Begleichung von hohen Rechnungen für dieselbe Leistung „hinterher“ manchen Kandidaten immer wesentlich schwerer als vorher? Wo der einzige Unterschied doch nur im Zeitpunkt der Zahlung besteht.

Übrigens:
Daß Richter, Staatsanwälte und Bezirksrevisoren nach demselben Prinzip entlohnt werden – nämlich monatlich am Ersten im Voraus -, hat jetzt hiermit gar nichts zu tun. Das hat ganz andere Gründe.

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Schöner Wohnen

Noch nicht ganz fertig:

SchönerWohnen

Aber schon von den ersten ca. 15 Häftlingen bewohnt. Eine moderne Haftanstalt deren Ziele nach Auskunft ihrer Leiterin sind: Resozialisierung der Gefangenen und Schutz der Gesellschaft. Letzteres gelänge am besten durch Resozialisierung.

Ich bin kein Freund von Haftanstalten, aber wenn es denn unbedingt eine sein muß, dann sowas wie der Heidering, der mit seiner Mannschaft eine gute Chance hat, an der Verbesserung der Welt mitzuwerkeln.

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Zulässig: Die Vollmacht im Kreis

Das Kammergericht hatte sich schon wiederholt zu dieser Frage geäußert, die den Verteidigern in Bußgeldsachen von ihren Mandanten häufig gestellt werden:

Muß ein Betroffener in jedem Fall persönlich vor Gericht erscheinen, wenn er mit der Entscheidung der Bußgeldbehörde nicht einverstanden war?

Selbstverständlich nicht! lautet jedenfalls die Antwort an unsere Mandanten.

Das hat Rechtsanwalt Tobias Glienke gestern anhand des Beschluß‘ des Kammergericht vom 12. Juni 2013 (3 Ws (B) 202/13) dargestellt.

In jenem Beschluß steckt aber noch ein weiterer nützlicher Hinweis, den unser Fachanwalt für Verkehrsrecht und Strafrecht zusammen faßt:

Sollte der Verteidiger es versäumt haben, sich eine schriftliche Vollmacht zur Vertretung des Mandanten in der Hauptverhandlung ausstellen zu lassen, so kann er dies auch noch nach Aufruf der Sache vor den Augen des Richters in eigenem Namen nachholen.

Es kommt nur darauf an, dass er von dem Mandanten auch dazu ermächtigt wurde. Diese Ermächtigung ist nicht an eine Form gebunden.

Der ungewöhnliche Anblick eines Verteidigers, der eine Vollmacht auf sich im eigenen Namen unterschreibt, um einen Dritten zu vertreten, ist möglicherweise nicht jedem Amtsrichter bekannt. Im Zweifelsfall hilft auch hier die Rechtsbeschwerde

Wie die schon zitierte Entscheidung des Kammergerichts vom 12.06.2013 belegt: Der Verteidiger ist bevollmächtigt, eine Vollmacht für sich selbst auszustellen.

Längst bekannt, nur eben nicht dem Richter der Abteilung 295 beim Amtsgerichts Tiergarten. Vielleicht jetzt aber, nach der Lektüre dieses Blogbeitrags. 8-)

Übrigens:
Wer mit dem Gedanken spielt, es einmal anders herum zu versuchen – also als Betroffener vor Gericht erscheinen, aber ohne Verteidiger – und wissen will, wie man so etwas anstellt, kann sich fortbilden. Mit unserem kostenlosen eMail-Kurs Selbstverteidigung in Bußgeldsachen.

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Das Ende der fiktiven Abrechnung?

Der BGH, der kürzlich noch entschied, dass bei fiktiver Abrechnung eines Unfallschadens selbstverständlich auch die auf Lohnkosten einer Werkstatt entfallenen Sozialabgaben und Lohnnebenkosten ersetzt werden müssen, hat nun in seiner unendlichen Weisheit einen neuen Kriegsschauplatz in der Schadenregulierung eröffnet, wenn nicht sogar das Ende der fiktiven Schadenabrechnung eingeläutet.

Eigentlich ein alltäglicher Fall. Der Unfallgeschädigte hatte seinen Fahrzeugschaden von einem unabhängigen Kfz-Sachverständigen kalkulieren lassen und wollte fiktiv abrechnen. Tatsächlich hatte er in Eigenregie und (das darf vermutet werden) etwas preiswerter repariert. Das ist völlig legitim und es geht insbesondere den Versicherer nichts an, was der Geschädigte mit dem zu zahlenden Schadenersatz anstellt und ob er anstelle die Karosse auszubeulen, lieber in den Urlaub fliegt.

Natürlich suchen die Versicherer nach Möglichkeiten, gerade in solchen Fällen zu sparen. Erst kamen dubiose Restwertbörsen zum Einsatz, die seltsamerweise immer mehr für ein Fahrzeug boten, als die von eigenen Sachverständigen benannten regionalen Anbieter. Dann erfand man die Prüfberichte, verfasst von „Car-Experten“ und den Verweis auf günstigere Alternativwerkstätten.

Der BGH hatte mehrfach Gelegenheit, dazu Entscheidungen zu treffen. Grundsätzlich könne ein Unfallgeschädigter seinen Schaden auf Grundlage der von seinem Sachverständigen ermittelten Preise von markengebundenen Fachwerkstätten auch fiktiv regulieren, es sei denn, der Versicherer verweist ihn auf eine preisgünstigere Werkstatt, die mühelos erreichbar, zu gleicher Qualität repariere wie eine Markenwerkstatt.

Man stritt vor den Instanzgerichten nunmehr erbittert um die Frage der Gleichwertigkeit, wobei die Versicherungen immer nur diese Prüfberichte und zum Nachweis der Gleichwertigkeit bunte Expertisen vorlegten, wonach die benannten Werkstätten zertifiziert und Mitglied in irgendwelchen Zusammenschlüssen waren. Das reiche nicht, entschied kürzlich das Landgericht Berlin. Die Versichererung hätte dem Geschädigten schon ein konkretes Werkstattangebot vorlegen müssen.

Der BGH liefert den Versicherern nun die Anleitung zum sparen. Jetzt dürfen diese so ein konkretes Angebot nämlich nachholen, sogar noch im Klageverfahren.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Schädiger den Geschädigten, der fiktiv abrechnet, noch im Rechtsstreit auf günstigere Reparaturmöglichkeiten in einer Referenzwerkstatt verweisen kann, ist nicht zu beanstanden.

a) Der Geschädigte darf, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (Senatsurteile vom 29. April 2003 – VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 4 – Porsche-Urteil; vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09, BGHZ 183, 21 Rn. 7 f. – VW-Urteil; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096 Rn. 6 – Audi-Quattro-Urteil; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rn. 6 – Mercedes-A 170-Urteil). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besteht grundsätzlich ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (vgl. z.B. Senatsurteile vom 23. März 1976 – VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241; vom 29. April 2003 – VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 3).

Allerdings ist unter Umständen ein Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder “freien” Fachwerkstatt möglich, wenn der Schädiger darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und der Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen (Senatsurteile vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09, aaO Rn. 12 ff. – VW-Urteil; vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09, VersR 2010, 923 Rn. 9, 11 – BMW-Urteil; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096 Rn. 7 – Audi-Quattro-Urteil; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rn. 7 – Mercedes-A 170-Urteil; vom 13. Juli 2010 – VI ZR 259/09, VersR 2010, 1380 Rn. 7 – Mercedes-A 140-Urteil).

b) Hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem der Verweis spätestens erfolgen muss, bestehen unterschiedliche Auffassungen. Vertreten wird etwa, der Kfz-Haftpflichtversicherer könne den Unfallgeschädigten bei fiktiver Abrechnung des Unfallschadens an einem fünf Jahre alten Fahrzeug auch noch zu einem späteren Zeitpunkt, der mehrere Wochen nach dem Unfall liege, und zu dem das Fahrzeug bereits repariert worden sei, auf eine von ihm konkret benannte und dem Geschädigten zumutbare und zugängliche, technisch gleichwertige, aber kostengünstigere Reparaturmöglichkeit verweisen, es sei denn, der Geschädigte habe das Fahrzeug in einer markengebundenen Fachwerkstatt reparieren lassen (z.B. OLG Braunschweig, Urteil vom 27. Juli 2010 – 7 U 51/08, juris Rn. 18). Zum Teil wird es für ausreichend gehalten, dass im Fall der fiktiven Schadensberechnung der Schädiger auch noch erstmals im Prozess auf eine günstigere Werkstatt verweist (LG Frankfurt, Urteil vom 19. Januar 2011 – 2-16 S 121/10, juris; LG Stuttgart, Urteil vom 19. Juli 2010 – 4 S 48/10, juris Rn. 14; AG Flensburg, Urteil vom 8. Januar 2013 – 62 C 131/12, juris Rn. 8 ff.; AG Nordhorn, Urteil vom 19. Juni 2012 – 3 C 1596/11, juris Rn. 28 ff.). Die Möglichkeit, erst im Prozess auf freie Werkstätten zu verweisen, wird von anderen abgelehnt, wobei u.a. darauf abgestellt wird, der Verweis müsse in dem Zeitpunkt bekannt sein, in dem der Geschädigte gewöhnlich seine Dispositionsentscheidung treffe, also zeitnah nach dem Unfall (vgl. LG Kiel, Urteil vom 25. November 2011 – 1 S 37/11, juris Rn. 23 ff.; LG Frankenthal, Urteil vom 7. März 2012 – 2 S 180/11, juris Rn. 7 ff.; AG Hechingen, Urteil vom 28. Juni 2012 – 2 C 416/11, juris Rn. 16 ff.; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Juni 2008 – I-1 U 246/07, DAR 2008, 523, 525; Nugel, jurisPR-VerkR 18/2008 Anm. 1).

c) Nach Ansicht des erkennenden Senats ist der Verweis noch im Rechtsstreit möglich, soweit dem nicht prozessuale Gründe, wie die Verspätungsvorschriften, entgegenstehen.

Für den Geschädigten, der fiktiv abrechnet, ist es im Prinzip unerheblich, ob und wann der Versicherer auf die alternative Reparaturmöglichkeit verweist. Dem steht nicht entgegen, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen. Entscheidend ist, dass in solchen Fällen der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln ist. Der Geschädigte disponiert dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf dieser objektiven Grundlage zufrieden gibt. Hinweise der Schädigerseite auf Referenzwerkstätten dienen hier nur dazu, der in dem vom Geschädigten vorgelegten Sachverständigengutachten vorgenommenen Abrechnung entgegenzutreten.

BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 – VI ZR 320/12

Ein Geschädigter hat genau zwei Möglichkeiten, seinen Schaden abzurechnen. Er kann konkret abrechnen und den Schaden genau zu dem Preis, den sein Sachverständiger im Gutachten kalkuliert hat, in der Markenfachwerkstatt seines Vertrauens gegen Rechnung reparieren lassen. Die andere Möglichkeit ist, sich den für die fiktive Wiederherstellung erforderlichen Netto-Betrag auszahlen zu lassen.

Das Urteil greift in diese vom Gesetz her vorgesehene Dispositionsfreiheit des Geschädigten ein. Wie soll er denn disponieren, also planen, wenn die Versicherung später noch günstigere Werkstätten benennen darf? Für den Geschädigten, der fiktiv abrechnet, ist es nicht unerheblich, ob und wann der Versicherer auf die alternative Reparaturmöglichkeit verweist. Denn der Geschädigte hat in aller Regel schon disponiert und möglicherweise (preiswerter) repariert.

Der Geschädigte „verdient“ auch nicht am Schaden, denn er hat Anspruch auf den Betrag, der objektiv zur Herstellung erforderlich ist. Und diesen Betrag hat sein Sachverständiger ermittelt. Wenn der BGH schreibt, der Geschädigte disponiert dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf dieser objektiven Grundlage zufrieden gibt, meint er damit, der Geschädigte der in Eigenregie oder preiswert repariert, hätte auch das Billigangebot der Versicherung nehmen können. Weil mehr sei ihm sein Kfz anscheinend ja nicht wert. Das stellt den Gedanken, der in § 249 BGB steckt, völlig auf den Kopf.

Die Einschränkung durch den BGH, dass der Benennung einer konkreten Alternativwerkstatt im Prozess möglicherweise die Verspätungsvorschriften entgegenstehen können, hilft nicht weiter. Verspätung findet in den Instanzgerichten mal statt, wenn ein Prozessbevollmächtigter den Bus verpasst. Verspätungen in Sinne von § 296 ZPO kommen nicht vor. Die Versicherungen werden angesichts dieser Steilvorlage, die der BGH ihnen liefert, künftig weiter kürzen, ihre Prüfberichte vorlegen und auf angeblich reparaturbereite Alternativwerkstätten verweisen. Sollte der Geschädigte auf die Idee kommen, gegen die Kürzung zu klagen, legt man einfach ein konkretes Werkstattangebot vor. Letzdendlich kann man sich dann noch um die Frage der Gleichwertigkeit streiten, um mehr aber auch nicht.

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Das Kammergericht und die alten Kamellen

Es ist zwar inhaltlich eine alte Kamelle, aber offensichtlich noch nicht bei jedem Richter angekommen. Deswegen mußte das Kammergericht dem Richter der Abteilung 295 beim Amtsgericht Tiergarten noch einmal Nachhilfe geben.

Das OLG Karlsruhe (2 (6) SsRs 279/12) hat in einer vergleichbaren Sache das Thema so zusammen gefaßt:

Ist unmissverständlich klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen eines Bußgeldbescheids wegen Geschwindigkeitsüberschreitung im Hauptverhandlungstermin keinerlei weitergehende Aufklärung zu erwarten ist, weil sein Verteidiger erklärt hat, dass der Betroffene Fahrzeugführer gewesen sei und er aber weiter nichts sagen werde, so liegen die Voraussetzungen für eine Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht vor.

Verständlicher formuliert es Rechtsanwalt Tobias Glienke, Fachanwalt für Verkehrsrecht und Strafrecht:

Eine Besonderheit im Bußgeldverfahren ist die Möglichkeit, den Mandanten von der Pflicht zur Teilnahme an der Gerichtsverhandlung entbinden zu lassen. Das ist auch ganz nützlich. Es geht oft um technische Details und Fragestellungen bei Geschwindigkeitsmessungen. Das muss sich der Mandant nicht anhören.

Überhaupt sollte der Verteidiger das Verfahren für den Mandanten nicht nur erfolgreich, sondern auch so angenehm wie möglich gestalten.

Zugleich entzieht man den Mandanten dem Einfluss des Richters, der schon mal versucht, am Verteidiger vorbei einzuwirken.

Außerdem ist es für den berufstätigen Mandanten ein Problem, sich für einen in der Regel 15 – 30 minütigen Termin frei zu nehmen.

Ein solcher Antrag kann auch noch nach Aufruf der Sache gestellt werden. Das kann sehr praktisch sein, wenn sich der Verkehr mal wieder staut, die Bahnschranke unten ist etc. Es darf nur durch die Anwesenheit des Mandanten keine weitere Aufklärung zu erwarten sein. Das bedeutet, dass bekannt sein muss, wer gefahren ist und das der Verteidiger sämtlich geplanten Angaben machen kann. Dazu muss eine schriftliche Vollmacht vorgelegt werden.

Sollte der Verteidiger auf einen Richter aus der Steinzeit geraten, der dieses Vorgehen nocht nicht kennt, hilft zum Glück die Rechtsbeschwerde.

Wie im vorliegenden Fall, in dem das Kammergericht (3 Ws (B) 202/13) das Urteil des AG Tiergarten (295 OWi 1130/12) aufgehoben hat.

Wir gratulieren Rechtsanwalt Bert Handschumacher, der die Entscheidung erstritten und uns die den Beschluß übermittelt hat.

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