Monatsarchive: August 2013

Oh, Omertà – der reuige Rocker

Jeweils ein zweistelliges Ergebnis haben sich gestern zwei Angels gefangen: Sie wurden vom Landgericht Potsdam u.a. wegen versuchten Mordes zu zwölf und zwölfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Dritte im Bunde wurde freigesprochen.

Den beiden rot-weißen Rockern wird vorgeworfen, an Weihnachten 2011 ein Mitglied des MC Gremium einige häßliche Schnittwunden zugefügt zu haben. Die Potsdamer Strafkammer unter Vorsitz von Richter Frank Tiemann war davon überzeugt, daß dieser Vorwurf zutreffe.

Laut mündlicher Begründung des Urteils hatte zu dieser Überzeugungsbildung maßgeblich der zerschnittene schwarz-weiße Rocker beigetragen. Er will die Angels anhand ihre auffälligen Tätowierungen im Gesicht beziehungsweise am Hals wieder erkannt haben.

Das Wieder-Erkennen ist eine Sache, die andere ist die Weitergabe dieser Informationen an die Ermittlungsbehörden. Sogar die Polizeibeamten, die in dieser Sache ermittelt hatten, zeigten sich (freudig) überrascht. Offenbar hatte die ansonsten unter Rockern verbindliche Omertà für diesen Pentito nur einen Empfehlungscharakter.

Ein solches Aussageverhalten hat für den reuigen Rocker weitreichende und leicht vorstellbare Konsequenzen. Deswegen haben die Brandenburger ihn jetzt auch ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen und ihm eine neue Vita verpaßt. Na, denn …

Ob die Potsdamer Entscheidung Bestand haben wird, dürfte der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auswürfeln. Das Ergebnis hängt entscheidend von der Qualität der schriftlichen Urteilsbegründung ab. Bis diese vorliegt, wird sicherlich noch den einen oder anderen Mond dauern. Und wenn die roten-Roben-Träger dann schlußendlich entschieden haben werden, ist noch reichlich weiteres Wasser durch die Havel geflossen.

Liebe Medienvertreter, bis dahin ist das Urteil nicht rechtskräftig! Was wiederum heißt: Für die Verurteilten gilt die Unschuldsvermutung. Auch wenn’s schwerfällt. Aber so ist es nun mal in einem Rechtsstaat. In dem auch die Freiheit besteht, relativ viel Unsinn in Zeitungen zu schreiben.

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Der Strafverteidiger empfiehlt – 50

Strafverteidiger,Berlin,Kreuzberg,Paul-Lincke-UferHeute:

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Präsentierte Vermutungen

Die Durchsuchungsbeschlüsse ergingen wegen vermuteter Waffen. Ja, wegen einer Vermutung. Mehr braucht es im Grunde nicht, damit 280 zweibeinige Polizeibeamte mit ihren vierbeinigen Freunden ausrücken, um nach Revolvern, Schrotflinten und Munition zu schnüffeln suchen.

Wenn man sich in Fachkreisen umhört, gelten für einen behördlichen Besuch diese Voraussetzungen (Achtung, der nächste Absatz ist ausnahmsweise keine Belletristik!):

Verdächtiger iSd § 102 StPO ist diejenige Person, von der aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte oder kriminalistischer Erfahrungen angenommen werden kann, dass sie als Täter oder Teilnehmer einer Straftat in Betracht kommt. Als Verdachtsgrad genügt damit ein Anfangsverdacht (BGH NStZ 2000, 154; NJW 2000, 84). Ausreichend ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die Straftat bereits begangen oder versucht und nicht nur vorbereitet worden ist. Anders als bei § 103 StPO rechtfertigt bereits die allgemeine Aussicht, irgendwelche relevanten Beweismittel zu finden, die Maßnahme nach § 102 StPO (BGH NStZ 2002, 215, 216). Der Tatverdacht darf allerdings nicht ganz vage sein; auch bloße Vermutungen genügen nicht (vgl BVerfG NJW 2006, 2974; BGH StV 1988, 90). Es muss mindestens im Bereich des Möglichen liegen, dass der Verdächtige durch das ihm vorgeworfene Verhalten eine Straftat begangen hat (BVerfGE 20, 162, 185).

Und da ist sie wieder, die neue japanische Weisheit: Nichts ist unmöglich bei Rockern. Deswegen reiten knapp 300 Zwei- und Vierbeiner in Wohnungen und Lokalen ein, um schlußendlich ein paar Tütchen mit Marihuana zu finden.

Spannend wäre jetzt noch zu wissen, ob die Sprengstoffsuchhunde das Gras in raffinierten Verstecken gefunden haben. Oder ob es die paar Reste waren, die irgendwelchen Kneipenbesuchern beim Tütenbauen auf den Boden gefallen sind.

Aber vielleicht ging es ja auch gar nicht um Waffen (oder Betäubungsmittel). Sondern um einen Betriebsausflug, um mal wieder ein wenig Präsenz zu zeigen. Einfach, weil es mal wieder an der Zeit war …

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Träumer

Martin_Luther_King_-_March_on_Washington

28. August 1963

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Keine Nachtzeit im Germanenhof

In der einschlägigen Vorschrift heißt es:

Zur Nachtzeit dürfen die Wohnung, die Geschäftsräume und das befriedete Besitztum nur bei Verfolgung auf frischer Tat oder bei Gefahr im Verzug […] durchsucht werden.

Der kluge Gesetzgeber weiß, daß es unterschiedlich Ansicht über die Bedeutung des Begriffes „Nachtzeit“ gibt. Der Gemüsehändler am Beusselmarkt hat da eine andere Vorstellung als der 30-jährige Langzeitstudent aus Schwaben. Deswegen hat er – der Gesetzgeber, nicht der Schwabe – dafür eine Definition erfunden:

Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraum vom ersten April bis dreißigsten September die Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens […].

Diesen Text haben auch 280 Polizisten und ihre Sprengstoffsuchhunde gelesen, die heute morgen um 5 Uhr – also für den Studenten mitten in der Nacht – in in Berlin und Brandenburg eine Besuchungsmaßnahme gestartet haben. Es ging einmal mehr um illegale Waffen, die angeblich in Wohnungen, Büros und Lokalen der Hells Angels herumliegen sollen.

In Eberswalde, Fredersdorf, Teltow sowie in mehreren Berliner Bezirken, selbstredend auch im „Germanenhof“ in der Zingster Straße, führten die Polizeibeamten ihre Hunde aus. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen wird berichtet, daß es in keinem Fall zu lautem Gebell gekommen sei und alle schwäbischen Studenten ihre Nachtruhe ungestört fortsetzen konnten.

Ob und gegebenenfalls mit welchen Fundstücken die Asservatenkammern geschmückt werden können, wird wohl noch im Laufe des Tages bekannt gegeben werden.

Update:
Gefunden wurde nichts, nach dem gesucht wurde.

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Der umständliche Rechtsmittelverzicht des Staatsanwalts

Das Gericht hat zwei Beschlüsse verkündet, mit denen die Strafkammer auf die Anträge der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung reagiert, die in der Hauptverhandlung gestellt wurden. Ich habe den Vorsitzenden gebeten, mir Abschriften der Beschlüsse zu übermitteln. Bereits am übernächsten Tag hatte ich sie in der Post.

Seitdem habe habe ich mit dem zuständigen Staatsanwalt eine paar andere Sachen per eMail erörtert. Ich zitiere aus einer seiner letzten eMails:

Nur noch eine Frage: Haben Sie inzwischen die Leseabschrift erhalten? Wenn ja, und Sie hätten Sie elektronisch, dürfte ich Sie um Übersendung bitten (ich fürchte sehr, das geht schneller, als wenn ich mich bemühe)? Andernfalls würde ich noch mal beim LG nachhaken.

Selbstverständlich habe ich der Bitte des Staatsanwaltschafts entsprochen, allerdings nicht ohne das folgende Anschreiben:

Anbei übersende ich Ihnen die beiden Beschlüsse, verbunden mit der Androhung ganz empfindlicher Übel für den Fall, daß Sie eine Beschwerde mit den Worten einleiten: „Gegen den Beschluß vom 10.08.2013, den mir der Verteidiger übermittelt hat, … “

Ich glaube aber, der Staatsanwalt hat mit seinem Wunsch lediglich etwas umständlich einen Verzicht auf das ihm grundsätzlich zustehende Rechtsmittel erklären wollen. ;-)

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Alles egal, meint der Senat

Da schlage ich mich seit dem ersten Jura-Semester bis ins hohe Alter mit dem Problem der Abgrenzung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit herum. Und jetzt kommt der Bundesgerichtshof – naja nur der 5. Senat – daher und sagt (BGH, Beschluss des 5. Strafsenats vom 15.5.2013 – 5 StR 182/13 –) , is eh alles Wurscht:

Die Einzelstrafaussprüche geraten durch die Schuldspruchänderung in Wegfall. Die Gesamtstrafe kann jedoch als Einzelstrafe aufrechterhalten bleiben. Die Änderung der Konkurrenzen lässt den Unrechtsgehalt der Tat unberührt. Es kann daher ausgeschlossen werden, dass die Freiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre, wenn das Tatgericht das Gesamtgeschehen als einheitliche Tat gewürdigt hätte.

Übersetzt heißt das, es ist völlig gleichgültig, ob es eine einzige Tat war oder mehrere. Entscheidend ist, was am Ende hinten raus kommt.

Übrigens ein ganz tolles Ergebnis für den Revisionsführer: Sein Rechtsmittel deckt einen Fehler der Strafkammer auf, trotzdem bleibt der Revision der Erfolg verwehrt. Und dafür bekommt er auch noch pekuniär die Rechnung:

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

lautet Satz 2 des Beschlußtenors.

Alles egal, findet auch Richter Carsten Krumm im beck-blog , bei dem ich den Hinweis auf diese Entscheidung gefunden habe.

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Der Strafverteidiger empfiehlt – 49

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Selige Staatsanwälte

Hier nochmal ein Beispiel für eine Aktensicht, wie ich sie mir wünsche:

Akteneinsicht-in-Hannover

Etwa 100 Akten-Ordner als Dateien im PDF-Format, sauber gescannt, im OCR-Verfahren les- und durchsuchbar gemacht, anschließend in einer nachvollziehbaren Verzeichnis-Struktur übersichtlich abgelegt, und zum Schluß mit TrueCrypt verschlüsselt. Das ca. 40-stellige Paßwort zum Entschlüsseln haben wir ein paar Tage vorher per Briefpost bekommen; die DVD, gefüllt mit 1,1 GByte Daten, trudelte gestern hier ein.

Den Wunsch, mir auch die eine oder andere Excel-Tabelle zur Verfügung zu stellen, wird mir sicherlich auch noch erfüllt werden.

In einem vom Umfang und auch von der Materie vergleichbaren Verfahren – da wie dort geht es um „Straftaten im Internet“ – verweist mich die Staatsanwaltschaft Potsdam auf die Regale in einem eigens für die Akten eingerichteten Raum:

Akteneinsicht-in-Potsdam

Nun, ich hatte irgendwann einmal Kontakt mit der General-Staatsanwaltschaft in Potsdam. Dort sicherte man mir zu, die Staatsanwaltschaft im Lande Brandenburg sei eine fortschrittliche Behörde, die auf technisch höchtsten Niveau arbeitet. Ich glaube einem General eigentlich alles und immer.

Aber vielleicht liegt es ja auch nicht an der Behörde, sondern an den Staatsanwälten, die die konkreten Sachen bearbeiten. Der eine weiß eben, wozu ein Computer eingesetzt werden kann; der andere blättert lieber in verstaubten Akten, selbst dann noch, wenn er „organisiertes Cyber Crime“ verfolgt.

Jeder nach seiner façon …

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Zwei Zivilrechtler, vier Viertelchen und eine Dosis Haloperidol

Auf der Anwalt-Mailingliste bat ein Zivilrechtler die versammelte Kollegenschaft um Mithilfe bei der Lösung eine gewaltigen Problems:

Ich habe ein Treuhandguthaben von 2.004,94 Euro zu gleichen Teilen an vier Gläubiger meines Mandanten auszuzahlen. Da bleiben aber zwei Cent übrig. Gibt’s irgendeine berufsständisch anerkannte best practice, um diese zwei Cent »gerecht« zu verteilen?

Meinem Taschenrechner zufolge ist ein Viertel des Guthabens 501,235 Euro. Der Kollege hat also ein Problem mit diesen 4 Viertelchen in Höhe von 0,005 Euro. Und keine Beißzange, mit der er zwei Ein-Cent-Stück teilen kann. Deswegen fragt er in die Runde.

Ein anderer freundlicher Zivilrechtler war aber in Minutenschnelle bereit, ihm einen kompetenten Rat zu erteilen:

1. Schreiben an alle Gläubiger mit der Aufforderung, den RA

a) übereinstimmend
b) schriftlich
c) hinsichtlich der jeweiligen Beträge anzuweisen und
d) die jeweiligen Empfängerkonten aufzugeben.

2. Frist: 3 Wochen

3. Hinweis darauf, dass nach Ablauf der Frist der gesamte Betrag i.H.v 2.004,94 EUR bei Gericht hinterlegt wird und die Gläubiger dann dort genau diese geforderten Angaben gegenüber dem Gericht abgeben dürfen / müssen, um ihr Geld zu bekommen.

4. Kopie Mandant

5. WV entsprechend notieren und nach Fristablauf ggf. eine Hinterlegungsanordnung beim AG beantragen

Nein, liebe Leser, das habe ich mir weder aus den Fingern gesaugt, noch ist dieser Dialog ein Scherz. Das meinen die beiden Zivilisten wirklich bitterernst!

Allein diese Frage zu formulieren, hätte sich ein nur mittelmäßig begabter Strafverteidiger nicht getraut.

Aber für diese Antwort, für den Vorschlag wegen zwei zauseliger Cent vier Gläubiger anzuschreiben, denen unter Fristsetzung die Hinterlegung anzudrohen und das am Ende dann auch noch durchzuziehen … da kann man schonmal 5 mg Haloperidol für geben.

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