Autsch – Revision der Nebenklage unzulässig

Warum der Staatsanwalt „Hängt ihn höher!“ schreiben darf – nicht aber der Hinterbliebene

Die Überprüfung eines Urteils durch die Revisionsinstanz ist seitens des Angeklagten relativ einfach zu bewerkstelligen. Auf die rechtzeitig erhobene „pauschale“ Rüge, das materielle Recht sei verletzt worden, muss sich das Revisionsgericht (mehr oder minder sorgfältig) mit diesem Vorwurf auseinandersetzen.

Wenn Hinterbliebenen ein Urteil missfällt – z.B. weil es Ihrer Meinung nach zu milde ausgefallen ist – gilt es jedoch noch eine Besonderheit:

Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird …

heißt es in § 400 StPO.

Daher hat der BGH auch völlig zu Recht durch Beschluss vom 03.05.2013 (1 StR 637/12) [PDF] die Revisionen gegen ein Urteil des Landgerichts Ansbach als unzulässig verworfen und den Nebenklägern die Kosten aufgedrückt.

Aus den Gründen:

Ausweislich der Revisionsbegründungen soll mit den Rechtsmitteln trotz formal weiterreichenden Antrags lediglich die Verhängung anderer, für die Angeklagten ungünstigerer Rechtsfolgen erreicht werden.

Das Landgericht hat das Tötungsdelikt zum Nachteil des Geschädigten L.M. als Mord i.S.v. § 211 StGB gewertet. Mit dem Ziel der Annahme eines weiteren Mordmerkmals (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1997 – 4 StR 266/97, NStZ – RR 1997, 371), der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld i.S.d. § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB hinsichtlich des Angeklagten H.(vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2001 – 5 StR 45/01, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 12) sowie der Anwendung des allgemeinen Strafrechts statt Jugendstrafrechts hinsichtlich der Angeklagten M. (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 2 StR 599/06, StraFo 2007, 245) kann das Urteil nicht angefochten werden.“

Zu der Trauer um den Angehörigen und dem Ärger über das „milde“ Urteil gesellt sich nun also noch der Ärger über die Verfahrenskostenrechnung in der Revisionsinstanz, die größtenteils aus den Gebühren der Verteidiger der vier Angeklagten bestehen wird.

Na hoffentlich zeigen sich die Kollegen der Nebenklage

    a)
    einsichtig bedröppelt und verbuchen ihre eigenen Gebühren für diese „missglückte“ Revision intern als Fortbildungskosten sowie

    b)
    umsichtig kreativ und rechnen gegen die Forderung der Angeklagten auf.

Die Kosten der Nebenklage vor dem Landgericht werden von den Angeklagten zu tragen sein und die Kosten der Revisionsinstanz deutlich übersteigen. Der Erstattungsanspruch der Nebenklage, welcher in den meisten Fällen gegen Angeklagte derartiger Delikte uneinbringlich sein dürfte, erweist sich hier hoffentlich doch noch als ganz nützlich – wenn die Kollegen denn daran denken …

Unabhängig von der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung stellt sich aber die Frage, ob es denn „richtig“ ist, dass Nebenklageberechtigte kein eigenes Anfechtungsrecht haben, wenn sie eine (härtere) Bestrafung des Angeklagten erstreben.

Die Fähigkeit trotz einer engen emotionalen Beziehung zum Opfer eine rationale Entscheidung – auch in Bezug auf das Strafmaß – zu akzeptieren oder anzufechten, wird den Angehörigen damit per se abgesprochen.

Eine derartige Bevormundung kann ich aus meiner Praxis nicht nachvollziehen. Oft erlebe ich Opfer oder Angehörige, die durchaus in der Lage sind, eine differenzierte und ausgewogene Entscheidung aufzunehmen und damit zu leben. Teilweise werden allerdings auch – gerade in Umfangsstrafsachen – durch verfahrensverkürzende Absprachen „günstige Ergebnisse“ für Angeklagte erzielt, die den Geschädigten und deren Angehörigen schwer vermittelbar sind und auch in Bezug auf die Rechtsfolgen überprüft werden sollten.

Die oben genannte Verurteilung zu lebenslanger Haft bzw. 9-jährige Jugendstrafe gehört zumindest auf den ersten Blick allerdings nicht in diese Kategorie …

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5 Antworten auf Autsch – Revision der Nebenklage unzulässig

  1. 1
    Sergej says:

    a) was sind „Umfangsstrafsachen“ ?

    • Strafsachen, in denen die Akten und/oder die Anzahl der Hauptverhandlungstermin einen größeren Umfang haben. crh

    b) Wie ist das denn normalerweise mit den Kosten der Nebenklage, wenn – wie meist – die Angeklagten nicht zahlen können? Zahlt das die Staatskasse und versucht es sich dann von den Angeklagten wieder zu holen oder muss das der Nebenkläger bezahlen und kann versuchen es sich von den Angeklagten wieder zu holen?

    c) gilt das Gleiche wenn die Nebenklage einen Pflichtrechtsbeistand beigeordnet bekommt?

    d) Wie ist das eigentlich mit Arbeit im Gefängnis? Hat der Gefangene irgendwelche Anreize die Schulden aus seinem Verfahren durch Arbeit im Gefängnis abzubezahlen?

    • Die Bemühungen um die Schadenwiedergutmachungen haben Einfluß auf die Beantwortung der Frage nach Vollzugs-Lockerungen und vorzeitiger Entlassung (Reststrafen-Aussetzung zur Bewährung) crh

    Für die Beantwortung der Fragen dankt,

    Sergej

  2. 2
    Bilbo Beutlin says:

    Hm, 9 Jahre für Mord, weil Jugendstrafrecht. Das bedeuet: mit Mitte 20 – vermeintlich resozialisiert und wahrscheinlich vorzeitig entlassen – ist er wieder auf freiem Fuß. Er hat also noch das ganze (freie) Leben vor sich.

    Da kann man die Nebenklage schon verstehen.

  3. 3
    Gray says:

    Anders betrachtet – wenn er rauskommt, war er ein Drittel seines Lebens im Knast. Bei 2/3-Regelung immer noch etwa ein Viertel. Und zwar den Lebensteil, in dem man eben erst volljährig geworden ist – ich finde, so ohne ist das nicht. Kind – Schule – Gefängnis…

  4. 4
    Bilbo Beutlin says:

    @Gray: Man kann sich die Realität auch zurecht biegen. Mord ist keine Kleinigkeit, welche man versehentlich begeht. Da hört der Spaß wirklich auf! Der Täter muß über 18 gewesen sein und war sich seines Tuns und der Folgen durchaus bewusst.

    Wenn er nach 6-8 Jahren (U-Haft eingerechnet) wieder rauskommt, dann ist er wirklich günstig davongekommen. Die Nebenklage hatte ja auf 15-25 Jahre plus Sicherungsverwahrung plädiert, wobei das Ansinnen „Sicherungsverwahrung“ schon auf außerordentliche Brutalität oder Widerholungsgefahr hindeutet, die man irgendwie begründet haben muß.

    Der Täter kann froh sein mit real 10% seiner Lebenszeit als Strafe davongekommen zu sein. Vermutlich hat er irgendjemand 70% seiner Lebenszeit genommen.

  5. 5
    Joachim Breu says:

    Auf die Gefahr hin, als Positivist geziehen zu werden:

    Es IST richtig.

    Weil der/die Geschädigte und die Angehörigen IMMER lebenslänglich haben und Zweck des Strafrechtes nicht Rache, ja nicht einmal das Strafen selbst ist, sondern das Re-Sozialisieren und – soweit irgend möglich – das Kompensieren. Übt die Nebenklage ihre Funktion aus, nämlich die Pflicht zur Konfrontation des (mutmaßlichen) Täters mit den (tatsächlichen) Folgen der zu verhandelnden Tat, bewirkt das einen effektiveren Lernprozess im Beschuldigten als jede grundsätzlich abstrakte, d.h. nicht-spiegelnde Strafe, die unserer Rechtsordnung bereit hält.

    Wie lange Freiheit entzogen, wie viel Geld gezahlt, wie häufig Arbeit geleistet werden soll bleibt aus Geschädigtensicht zweitrangig. Der Täter soll Verantwortung übernehmen, ent-schuldigen kann er sich ohnehin nicht.