Bayerischer Elfmeter ohne Torwart

609820_web_R_K_by_Benjamin Wiens_pixelio.deDas Ermittlungsverfahren gegen Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung ist noch nicht abgeschlossen, die Anklage noch gar nicht erhoben, aber schon rauscht es in der Litigation PR, was hinten an Bestrafung rauskommt.

Für die zwei, drei Unwissenden unter den Lesern vorab eine kleine Notiz am Rande: Die Strafe wird durch ein gerichtliches Urteil festgesetzt, nicht durch die Staatsanwaltschaft und auch nicht durch Medienvertreter.

Letztere tönen aber schon herum: Zwei Jahre sollen es werden. Denn nur wenn es nicht mehr wird, kann Herrn Hoeneß noch in den Genuß kommen, daß das Gericht (nicht die Staatsanwaltschaft und nicht der Spiegel) prüft, ob die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Eine Bewährung kommt aber auch nur dann in Betracht, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Nachzulesen in § 56 Abs. 2 StGB. Aber das bekommt man ja dann auch noch hin.

Der Bundesgerichtshof hat 2012 allerdings ein paar Pflöcke gesetzt, die zwischen der Höhe der hinterzogenen Steuern und der verwirkten Freiheitsstrafe eine feste Verbindung herstellen sollen: Liegt die Hinterziehung noch im sechsstelligen Bereich, dürfen es demnach noch zwei Jahre sein. Ab einer Million Euro hinterzogener Steuern geht’s dann über die zwei Jahre hinaus. Sagt der 1. (Bayern-)Senat des BGH in seinem Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11.

Nun hat Herr Hoeneß Glück, daß die Zeit für ihn gearbeitet hat. Ein Teil der Straftaten – also die Nichtabführung von erwirtschaftetem Geld an die Gemeinschaft z.B. für den Ausbau von Kindergärten – wird nicht mehr verfolgt, weil sie in verjährter Zeit begangen sein sollen. Das führt den Medienberichten zufolge zu einem noch „strafbaren“ Betrag, der knapp unter der Bewährungsgrenze liegt.

Nun gut, aber es gibt eine weitere Möglichkeit für den Bayern-Präsidenten, um den Knast herum zukommen. Auch das wird bereits von den Journalisten kolportiert. Nämlich die Verhängung einer Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe.

Ich vermute mal, daß es die Verteidiger des Herrn Hoeneß waren, die die Dunkelnorm des § 41 StGB ausgegraben haben. Die Vorschrift ermöglicht nämlich die Verhängung einer Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, auch dann, wenn der einschlägige Straftatbestand eine Geldstrafe gar nicht (mehr) vorsieht. Oder vorsehen darf, weil der BGH (s.o.) das nicht will.

Die „Geldstrafe neben Freiheitsstrafe“ zielt auf solche Fälle, in denen der Täter über das Freiheitsstrafenübel hinaus am Vermögen getroffen werden soll, um eine nachhaltige spezialpräventive Wirkung herbeizuführen, erbringt also eine Flexibilisierung der Strafzumessung. Und bei dem Bayern mit seinen angeblich hinterzogenen Steuern von insgesamt rund 3,2 Millionen Euro („nur“ gut 2,3 Millionen seien verjährt) ist Flexibilität ernsthaft notwendig, wenn man ihm das Café Viereck ersparen möchte.

Flexibel denkenden Strafverteidigern ist der § 41 StGB allerdings gar nicht so unbekannt; jedenfalls dann nicht, wenn sie vor den Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte Erfahrungen gesammelt haben. Denn der wesentliche Anwendungsbereich dieser Norm ist die so genannte Wirtschaftskriminalität, und zwar in Konstellationen, in denen der Täter an sich eine nicht aussetzungsfähige Freiheitsstrafe verwirkt hat. Die zusätzliche Geldstrafe ermöglicht es dann nicht selten, die Freiheitsstrafe auf ein aussetzungsfähiges Maß „zu drücken“.

Und auch bei den in diesen Kreisen beliebten Verständigungen im Strafverfahren spielt § 41 StGB eine bedeutsame Rolle.

Wir erleben hier also am Rande die hohe Kunst der Strafverteidigung, die bei den Bayernfans in der Staatsanwaltschaft München II einen Elfmeter ohne Torewart schießen darf.

Aber, wie dargestellt, das allerletzte Wort, nach dem letzten Wort des dann anklagten Uli Hoeneß, hat das Gericht.

Bild: Benjamin Wiens / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft, Strafrecht, Verteidigung veröffentlicht.

18 Antworten auf Bayerischer Elfmeter ohne Torwart

  1. 1
    Jochen Hoff says:

    In Bayern und im Bund ist Wahlkampf. Hoeneß steht für die deutsche Leistungselite. So einer wird nicht wirklich bestraft. Das war von Anfang an klar. Ursprünglich wollte man alles bis nach den Wahlen laufen lassen und dann beerdigen. Dagegen aber läuft der Pöbel im Netz und an den Stammtischen Amok.

    Also bringt man eine Quasiurteil, das erklärt, dass alles doch nicht so schlimm war und beruhigt den Pöbel damit, dass der Hoeneß aber bestraft wird. Die Machtverhältnisse bleiben wie sie sind und am Ende gibt es einen unerklärlichen Verfahrensfehler und Hoeneß kommt ohne Strafe davon.

    Oder aber er muss ein paar Peanuts abgeben. Deutsches Recht eben.

  2. 2
    Katharina says:

    Es gibt keine „Bewährungsgrenze“. Selbst bei mehr als 1 Mio. € hinterzogener Steuern kann auch nach Ansicht des BGH „die Verhängung einer Geldstrafe bei Vorliegen von besonders gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein“.
    Konkret bedeutet das: „Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies in den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat einzubeziehen, etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der „Schadenswiedergutmachung“ durch Nachzahlung verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige (§ 371 AO) besondere strafmildernde Bedeutung zu (BGH 1 StR 416/08 – Urteil vom 2. Dezember 2008, Rn. 51).“

  3. 3
    Andreas says:

    Nun ja, wenn man die an die Öffentlichkeit gelangten Fakten einmal nüchtern betrachtet, dann ist eine Bewährungsstrafe naheliegend:

    1. Die noch nicht verjährten Steuerstraftaten sollen sich auf Steuern i.H.v. weniger als EUR 1 Mio. beziehen. Die Summe liegt also nach BGH-Rspr. unter der Schwelle, ab der eine Bewärhung regelmäßig nicht mehr in betracht kommt. So war es auch bei Zumwinkel und der hat Bewährung bekommen.

    2. Im Gegensatz zu Herrn Zumwinkel hat Herr Hoeneß sich selbst angezeigt. Die Strafanzeige wurde zwar nicht den Voraussetzungen für eine strafbefreiende Wirkung gerecht, kann aber sehr wohl strafmindernd berücksichtigt werden.

    3. Herr Hoeneß ist (nach meiner Kenntnis) nicht vorbestraft und eine positive Sozialprognose liegt nahe.

    Sollte dieser zugrunde gelegte Sachverhalt stimmen, dann wäre es argumentativ eigentlich schwieriger gegen eine Bewährung zu argumentieren.

    Eine Lehre sollte man aber aus dem Fall Hoeneß ziehen: Wenn es um brisante rechtliche Probleme geht, dann sollte man sich von einem Anwalt beraten lassen. Die Unsitte mancher Geschäftsleute, zugunsten von Steuerberatern – um die man ja nun leider nicht herum kommt – auf Anwälte zu verzichten, birgt erhebliches Risikopotential. Es erscheint mir einfach unbegreiflich, wie man einen Steuerberater hastig eine Selbstanzeige schreiben lassen kann ohne das – bei diesem gigantischen Risiko – von einem Dritten prüfen zu lassen. Das ist so grob fahrlässig, dass die Denkzettel öffentliche Demütigung und Bewährungsstrafe hoffentlich andere abschrecken werden…

  4. 4
    Anno Nüm says:

    Es gibt auch Spieler, die am leeren Tor vorbei schiessen!

  5. 5
    Philip says:

    Was mir an der Sache stutzig macht ist folgendes:

    „So soll die Hinterziehung von gut 2,3 Millionen der insgesamt rund 3,2 Millionen […] verjährt sein, weil die entsprechende Steuerschuld länger als fünf Jahre zurückliege.“

    Soso, 5 Jahre Verjährungsfrist also.

    Ein Blick in den §376 AO sagt mir aber, dass in einem besonders schweren Fall die Verjährungsfrist 10 Jahre beträgt.

    Für mich bedeutet diese Lesart, dass man keinen besonders schweren Fall annimmt.

    Ein besonders schwerer Fall liegt aber nach §370 Abs. 3 Nr. 1 vor, wenn Steuern in besonders großem Ausmaß hinterzogen werden.

    Ergo: Für die Staatsanwaltschaft München II sind 3,2 Millionen Euro kein „besonders großes Ausmaß“?

    Das sieht der BGH aber ganz anders!

  6. 6
    AndiG says:

    Ist schon interessant welcher Unterton hier plötzlich mitschwingt, nur weil die StA darauf hinweist, dass wohl Verfolgungsverjährung eingetreten sein dürfte.
    Wenn nur Delikt und Angeklagter stimmen heißt es also nicht mehr „Rechtsstaat um jeden Preis“ und „besonnene Beurteilung der Lage“ sondern „Hängt ihn höher!“.
    Das lässt tief blicken. Der Hinweis auf die Kindergärten ist übrigens schon echt boulevardmäßig (Der nimmt den Kindern das Mittagessen weg!). Respekt.

    Vielleicht verteidigen Sie ja auch mal wieder was medienträchtiges und irgendein Schreiberling schreit wegen der Verjährung rum.
    Oder es ergeht ein vollkommen unverhältnismäßger Haftbefehl noch dazu ohne ersichtlichen Haftgrund. Dann ist das Geschrei wieder groß.
    Es sei denn der Mann ist erfolgreich. Dann muss man als guter Kreuzberger natürlich alle prinzipiellen Bedenken der „richtigen Sache“ opfern und sich auf die Seite der entrechteten Bürger stellen.

  7. 7
    Daarin says:

    Wenn man sich aber auch so häufig ansehen muss, dass jemand der in einer (subjektiven) Notlage eine Tat begeht häufig auch zwischen einem und zwei Jahren keine Bewährung bekommt, hier aber ein Herr Hoeneß (den ich zugegebenermaßen nicht mag), der aus reiner Geldgier eine Straftat begeht und nur durch eine (wenn man Philip folgt auch noch fragwürdige) Verjährung überhaupt nur in den bewährungsfähigen Bereich kommt, noch gerade so mit der Bewährung davon kommen soll, und wenn es nicht ganz reicht muss er halt eine Strafe dazu zahlen, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.
    Wenn diese Strafzahlung hoch genug ist, dass er für die nächsten zwei Jahre eher am unteren Rand der Gesellschaft rumdümpeln muss will ich da ja gar nichts gesagt haben, aber ich gehe eher von einer zusätzlichen Strafzahlung von ein paar hundert tausend aus, was für den hier angesprochenen und bei dem Umfang recht wenig ist.

    Müsste der eigentlich die 2,3mio die verjährt sind trotzdem nachzahlen?

  8. 8
    Jens says:

    § 376 AO gilt erst in der Fassung ab dem 01.01.2008 und gilt je Tat, d.h. für die ESt der Jahre 2008, 2009 usw.. Da kein „Griff in die Kasse“ vorliegt, liegt der besonders schwere Fall bei 100.000 € (je Tat). Die Taten, die aber betroffen sein dürften, die sind ohnehin nicht verjährt so dass § 376 AO wegen §§ 77, 78 StGB gar nicht einschlägig ist. Mithin zieht man aber bei 100.000 € je Tat die Verjährungsfrist nicht wie eine Decke über die übrigen Taten, sondern diese gilt nur je Tat. D.h. bei 100.000 EUR Verkürzung in 2006 könnte die ESt 2007 mit 95.000 EUR Verkürzung weiter strafrechtlich verjährt sein. Hier kommt aber jetzt noch (da vor 2008) der grobe Eigennutz hinzu. dieser liegt zwar nach indizieller Betrachtung bei Steuerdelikten immer vor, muss aber durch besondere Kennzeichen getragen werden, zB. extremes Gewinnstreben, Skrupellosigkeit und vieles mehr. Dies dürfte hier nicht vorliegen.

    Die in den Medien kolportierten Summen von 3,2 Mio. EUR könnten aber das gesamte Ausmaß betreffen, also möglicherweise die gesamten 10 Jahre Festsetzungsverjährung, vgl. § 169 Abs. 2 S. 2 AO. Hier spielt die strafrechtliche Verjährung gar keine Rolle, sondern es ist lediglich Mittel zum Zweck. Die Presseberichte sind dazu einheitlich. Jedenfalls halte ich 900.000 EUR Steuerverkürzung für ein Jahr (bei Eintritt der Verjährung) für doch ziemlich weit hergeholt.

    Darüber hinaus war das die Anordnung der Durchsuchung durch den Ermittlungsrichter, was Zweifel an der Verjährungstheorie aufkommen lässt, vgl. aber Fall Zumwinkel.

    PS: ja er zahlt die strafrechtlich verjährten Beträge nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO.

  9. 9
    schneidermeister says:

    @Philip:
    Woher wissen Sie denn, dass die StA tatsächlich über das nachdenkt, was der Spiegel behauptet? Ist schon kurios: ein paar Tage vorher heißt es in anderen Medien: Anklage zum Landgericht im Juli oder August. Der Spiegel hat herausgefunden: der Staatsanwalt schreibt nicht etwa an der Anklage, sondern schon am Plädoyer.
    Die Recherchequalität des Spiegel kann man daran ablesen, dass nicht etwa das Amtsgericht Miesbach zuständig wäre (wenn denn zum Amtsgericht angeklagt würde). Denn in Bayern gibt es Schwerpunkt- Amtsgerichte für Wirtschaftsstrafsachen, Hoeneß würde wenn vor dem Amtsgericht dann vor dem AG München landen (§ 56 Nr. 5 GzVJu Bayern)
    Die Vermutung von Herrn Hoenig, dass die ominösen Justizkreise reine Reporterphantasie sind oder Litigation-PR von Seiten Hoeneß dürfte es wohl eher treffen.

  10. 10
    Reinhard says:

    Daarin: „Müsste der eigentlich die 2,3mio die verjährt sind trotzdem nachzahlen?“

    Aber ja. Er muss alle Einnahmen bis zu zehn Jahre nachversteuern. Mit Zins und Zinseszins. Der Hinterziehungszins beträgt grob gesagt 6% pro Jahr (0,5% pro Monat). Das läppert sich auch schon ohne die zu erwartende Geldstrafe.

    Andreas: „Wenn es um brisante rechtliche Probleme geht, dann sollte man sich von einem Anwalt beraten lassen.“
    Das kann Herr Hoeneß durchaus gemacht haben.

    Die Selbstanzeige (blödes Wort, eine tatsächliche Selbstanzeige würde sofort die Strafbefreiung zunichte machen) ist womöglich schief gegangen, weil in der Eile nicht alle relevanten Unterlagen sofort und komplett zur Verfügung standen. Die Erstellung von korrigierten Steuererklärungen für einen Zeitraum von 10 Jahren ist kompliziert und dauert, und Herr Hoeneß hatte es umständehalber recht eilig.

    Die Strafbefreiung ist futsch, wenn bei der Nacherklärung irgend ein Einkommen nicht angegeben wurde. Irrtum oder mangelnde Informationen von Seiten der Bank sind kein Argument.

    In dem Moment, wo man sich ehrlich macht, müssen alle korrigierten Steuerklärungen mitsamt allen nötigen Belegen eingereicht werden, und man muss auch zeitgleich die gesamte Steuerschuld plus Hinterziehungszinsen entrichten. Alles muss stimmen. Man hat nur einen Schuss.

  11. 11
    Jens says:

    Selbst wenn die Selbstanzeige alle relevanten Unterlagen enthalten hätte oder aber eine überschlägige Schätzung der Kapitalerträge zutreffend gewesen wäre, so hätte die Straffreiheit trotzdem nach § 371 Abs. 2 AO gesperrt sein können.

    Erfordernis:

    • Grundsatz der Materiallieferung (Finanzbehörde muss in die Lage versetzt werden, sofort Änderungsfestsetzungen durchzuführen)
    • Vollständigkeit (mehr als 5% Abweichung nach „unten“ sperren die Wirksamkeit)
    • Keine Tatentdeckung (typisiertes Merkmal der Unfreiwilligkeit)

    Da wäre zum einen die objektive Seite der Tatentdeckung, die sich nur aus den Strafakten ergibt, d.h. die Frage danach, wann die Behörden eine Mitteilung über Kapitalanlagen von H. hatten (z.B. von einer Steuer-Daten-CD) und/oder wann ein Inkulpationsakt im Sinne von §§ 157, 158 StPO stattgefunden hat.

    Die subjektive Seite der Tatentdeckung („Wissenkönnen“ oder damit „Rechnenmüssen“) dürfte hier vollendet sein, als ein Sportmagazin darüber berichtet hat, dass ein „hochrangiger“ Sportfunktionär Kapital im Ausland versteckt hat.

    Die Selbstanzeige ist ein schwieriges Konstrukt (vgl. Gehm in NJW 2011) und sollte nicht unterschätzt werden. Darüber hinaus hat Herr H. nach den Medienberichten auch einen ehemaligen Münchener Steuerfahnder in die Erstattung selbiger eingeschaltete. Insofern sollte gewisser Sachverstand vorhanden gewesen sein.

    Es stimmt übrigens nicht, dass man sofort alles zahlen muss. Eine akonto Zahlung ist aber bei unwirksamer Selbstanzeige zu empfehlen. Im Grundsatz hat man mit der Fälligkeit der Änderungsbescheide zu zahlen, andernfalls setzt die StA oder die StraBu / BuStra eine (strafrechtliche) Frist zur Zahlung nach § 371 Abs. 3 AO (Ausschlussfrist), wer dann nicht zahlt, kann nicht straffrei werden (sog. Anwartschaftsrecht).

  12. 12
    Bilbo Beutlin says:

    Die Selbstanzeige ist faktisch (!) NIE strafbefreiend. Es gibt nämlich Niemanden, der es hinbekommt alles genau so steuerlich zu erklären, wie es richtig wäre, zumal das gerade bei größeren Sachen ein Problem darstellt.

    Alles, was man bekommt, ist eine Strafmilderung, weil man versucht hat sich zur Steuerehrlichkeit zu bekennen.

    Wenn also nicht ganz konkret die Gefahr einer Aufdeckung besteht, sollte man die Selbstbeschmutzung tunlichst unterlassen.

  13. 13
    RAbay says:

    Es ist ja interessant zu lesen, was die Experten hier zum Thema Selbstanzeige so verlauten lassen.

    Es ist gängige und zulässige Praxis eine sog. gestufte Selbstanzeige vorzunehmen mit zunächst geschätzten Werten und dann zu Konkretisieren – selbstverständlich muss die Schätzung „passen“ dh im Zweifel eher zunächst zu hoch ausfallen.
    Eine Änderung der Bescheide und sei es im Wege Einspruch und AdV- Antrag ist immer noch möglich wenn die Unterlagen aufbereitet sind.

    Es zeigt sich im Fall Hoeness, dass er besser jemanden gefragt hätte, der sich mit der Thematik auskennt.

    Und natürlich gibt viele Fälle in denen die Selbstanzeige die gewünschte Wirkung hat – wenn der Berater sich entsprechend auskennt.

  14. 14
    Jens says:

    Mitnichten ist die gestufte oder dolose Selbstanzeige noch möglich. Seit der BGH 2010 die Voraussetzungen änderte und der Gesetzgeber § 371 AO (vgl. auch § 24 EGAO) ist eine solche gestufte Selbstanzeige die beste Möglichkeit direkt in die Strafbarkeit (vgl. z.B. Ax, AO & FGO, 19. Auflage). Eine zu hohe Schätzung ist dem Grunde nach das Konstrukt der Strafverteidiger, das von der StraBu auch akzeptiert wird, da die enge Umsetzung von § 371 AO dem Zweck der Norm widersprechen würde. Es ist gleichwohl eigentlich in Form einer überschlägigen Mitteilung (ala ich hab 200.000 € Kapitalanlagen verschwiegen, daraus resultieren 10.000 € verheimlichte Kapitaleinkünfte je strafbefangenem Jahr) gar keine Selbstanzeige darstellt (!) sondern lediglich die Vorankündigung einer solchen („Bis die Bankunterlagen vorliegen“). Bei ganz enger Rechtsauffassung tritt hierdurch die Sperrwirkung § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO (Tatentdeckung) ein.

    Lieber gar keinen Rechtsanwalt einschalten. Ober am besten eine erfahrene Steuerstrafrechtskanzlei. Wir sehen uns im Strafbefehlsverfahren.

  15. 15
    RAbay says:

    @ Jens

    da spricht jemand der keine praktische Erfahrung hat – bei einer Vieluahl (über 100) von gestuften Selbstanzeigen in den letzten Jahren ist es in keinem einzigen Fall zu den von Ihnen behaupteten Konsequenzen gekommen …

    Also Vorsicht bei der Beraterwahl …

  16. 16
    Jens says:

    Ohne praktische Erfahrung. Nun gut. Als Sachbearbeiter in der StraBu weiß ich wovon ich rede. Und außerdem hab ich mehrfach darauf verwiesen, dass die gestuften Selbstanzeigen durch Gesetzgeber und Rechtsprechung überholt wurden. Außerdem geben mir die beantragten Verurteilungen vor dem AG Recht. Juristen sollten die Finger vom Steuerstrafrecht lassen, wenn sie nur selten damit in Berührung kommen….

  17. 17
    Hannes says:

    @Jens:

    Sagen Sie das unbedingt auch dem 1. Strafsenat beim BGH, die wissen das noch gar nicht:

    „Soweit dem Steuerpflichtigen aufgrund unzureichender Buchhaltung oder wegen fehlender Belege eine genau bezifferte Selbstanzeige nicht
    möglich ist, ist er nach Auffassung des Senats gehalten, von Anfang an – also bereits auf der
    ersten Stufe der Selbstanzeige – alle erforderlichen Angaben über die steuerlich erheblichen Tatsachen, notfalls auf der Basis einer Schätzung anhand der ihm bekannten Informationen, zu berichtigen, zu ergänzen oder nachzuholen. “ – 1 StR 577/09.

    Spass beiseite: Das Problem ist, dass der Begriff der gestuften Selbstanzeige uneinheitlich verwendet wird. Diejenigen, die ihre Unwirksamkeit vertreten, verstehen darunter eine zeitlich oder betragsmäßig gestufte Selbstanzeige, keine Schätzung. Sollte man mE deshalb besser Teilselbstanzeige nennen, dann gibt es keine Missverständnisse.

  18. 18
    Jens says:

    Ich würde den Begriff der Teilselbstanzeige lieber nicht verwenden. Der BGH hat diesen – ich glaube sogar in der oben zitierten Entscheidung – entwertet. Dort hieß es, dass die bis dahin von Finanzämtern und Rechtsprechung praktzierte Teilselbstanzeige mit ggf. auch teilweiser Strafbefreiung nicht ausreiche um straffrei zu werden. Dabei hatte das Gericht wohl aber solche Fälle im Blick bei denen der Beschuldigte nur die Konten offenlegte, deren Entdeckung er durch die Behörden befürchtete.

    Die Schätzung im Voraus wird praktiziert. Das weiß ich auch. Sie kann auch zur Straffreiheit führen. Sogar die 5 % Abweichung nach unten sind unschädlich (OLG Hamburg mWn).

    Die Schätzung reicht aber nicht allein aus. Es sollten wenigstens ein oder zwei bekannte Kapitalstände (soweit vom Mandanten geliefert) genannt werden. Von hier aus sollte dann eine Schätzung vorgenommen werden. Diese Kapitalstände sollten zweckmäßigerweise mit einer Depotübersicht / einem Kontoauszug verbunden sein oder ergänzenden Unterlagen (Herkunft der Gelder, etc). Es muss klar sein, ob nur eines und wenn mehrere wieviele und welche (Kontonummer!!) Depots bzw. Konten nachträglich offenbart werden.

    Natürlich weiß die Finanzbehörde auch darum, dass Unterlagen aus der Schweiz nicht so schnell und ohne weiteres erlangt werden können. Eine Selbstanzeige wird durch Straffreiheit honoriert. D.h. aber auch, dass verlangt werden kann, ordentliche Anzeige zu erstatten.

    Die pauschale Nacherklärung von Kapitalerträgen (s.o.) am Besten noch ohne Bank oder Kontonummer (alles schon dagewesen!!) erfüllt schon nicht den Grundsatz der Materiallieferung und ist nach der BGH-Rechtsprechung schon immer mir Argusaugen betrachtet worden.

    Geht man davon aus, dass eine Tatentdeckung nicht droht und der Täter von sich aus in die Steuerehrlichkeit zurückkehren will, dann ist KEINE Eile geboten. Dem Berater steht es frei, die Selbstanzeige ordentlich und minutiös vorzubereiten und aufzubereiten. Es empfiehlt sich sogar hier noch eine Hinzuschätzung (nicht dass noch irgendwo ein inländisches Konto nicht erklärt wurde). Schnellschüsse betreffen ohnehin meist Fälle in denen die Daten auf CDs gehandelt werden und in denen – das zeigen die Presseberichte der Vergangenheit – auch die Banken gewarnt haben (Tatendeckung und Rechnen müssen = Sperrwirkung durch die Bank) . Solche Selbstanzeigen können einen grundrechtsinvasiven Eingriff meist noch verhindern, die Tatentdeckung nicht. (hierzu empfehle ich sehr die Rechtsprechung des BGH).

    Nachtrag:
    Jetzt hab ich doch noch mal nachgelesen… siehe Randnummer 36:

    Zitat: „Diese Angaben müssen in jedem Fall so geartet sein, dass die Finanzbehörde auf ihrer Grundlage in der Lage ist, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen
    (BGHSt 3, 373, 376; BGH wistra 2004, 309 m.w.N.; BGH DB 1977, 1347 m.w.N.). Genügen die Angaben – bei Anwendung eines strengen Maßstabes – diesen Anforderungen nicht, liegt eine wirksame Selbstanzeige nicht vor. Viel-
    mehr ist dann lediglich die Ankündigung einer Selbstanzeige gegeben“.

    Ich befürchte dass ich mit dem BGH auf einer Linie stehe und eben nicht in Widerspruch, wie die vorherigen Kommentatoren meinen.